Nach Monaten ohne Clubchef hat der VfB Stuttgart seit Sonntag einen neuen Präsidenten. Wolfgang Dietrich wurde mit 57,2 Prozent der Stimmen ins Amt gewählt. Die vom Verein geplanten Satzungsänderungen lehnten die Mitglieder in einer hoch emotionalen Versammlung dagegen klar ab.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Ein Vergleich mit 2013, als letztmals ein neuer VfB-Präsident ins Amt gehoben worden ist? Mitnichten. Damals, vor etwas über drei Jahren, stürmte Bernd Wahler auf die Bühne der Mitgliederversammlung, schrie der VfB-Familie das Wörtchen „Wow“ gleich mehrfach zu – weil diese sich so vereint wie selten gezeigt hat. Der ehemalige Adidas-Manager wurde mit über 97 Prozent der Stimmen gewählt. Und nun? Am Sonntag in der Schleyerhalle?

 

Als Wolfgang Dietrich kurz nach halb sechs auf die Bühne schritt, erreichte die hitzige Debatte noch einmal einen Höhepunkt. Die einen applaudierten, manch einer jubelte. Doch es gab auch wieder die lauten Rufe, die schon die gesamte Kandidatur des Unternehmers begleitet hatten: „Spalter!“

Dietrich blieb ruhig, schaute kurz zum Aufsichtsratsvorsitzenden Martin Schäfer, dann sagte er: „Ich nehme die Wahl an und danke für Ihr Vertrauen.“ Kurz zuvor hatten ihn 57,2 Prozent der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder (2952) für vier Jahre ins Amt gewählt. „Ich verspreche“, ergänzte er noch, „Präsident auch derjenigen zu sein, die mich heute einen Spalter nennen.“

Eine emotionale Debatte geht zu Ende

Mit dem knappen Votum für den 68-Jährigen endete nicht nur eine führungslose Phase, die mit dem Rücktritt von Bernd Wahler nach dem Abstieg im Mai begonnen hatte. Es endete auch eine hoch emotionale Debatte rund um die Kandidatur Dietrichs und die Arbeit der VfB-Aufsichtsräte Martin Schäfer, Hartmut Jenner und Wilfried Porth – die Wochen angedauert hatte und sich bis in die Mitgliederversammlung zog.

Das Misstrauen, das dem Verein und seinen Machern seit Beginn des sportlichen Niedergangs entgegenschlägt, wurde in vielen Wortbeiträgen deutlich, ebenso aber bei den Abstimmungen. Da war zum einen die knappe Wahl Dietrichs, der satzungsgemäß vom Kontrollgremium vorgeschlagen worden war. Da war aber auch die klare Ablehnung der vom Verein vorgeschlagenen Satzungsänderungen, da waren die Nicht-Entlastungen von Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2015. Die bezogen sich auch noch auf die mittlerweile ausgeschiedenen Wahler, Robin Dutt und Ulrich Ruf (Vorstand) sowie Joachim Schmidt, Eduardo Garcia und Hansi Müller (Aufsichtsrat).

Pfiffe begleiten Dietrichs Gang auf die Bühne

Damit bekamen die Clubchefs noch einmal die Quittung für die Fehlerkette der vergangenen Jahre, die den VfB in die zweite Liga geführt hat. Dabei hatten Aufsichtsräte, Vorstände und Kandidat im Laufe der Veranstaltung immer wieder den Blick nach vorne angemahnt. Der Einzige, der dafür regelmäßig Zustimmung erntete, war Sportvorstand Jan Schindelmeiser, der mit Cheftrainer Hannes Wolf die Hoffnungen auf Besserung im sportlichen Bereich auf sich vereint. „Gemeinsam bekommen wir das hin“, rief Schindelmeiser den Mitgliedern zu und sagte mit Blick auf den angestrebten Aufstieg zur Mannschaft: „Jungs, gebt Gas!“

Gas geben muss nicht nur das Zweitligateam, das am kommenden Samstag (13 Uhr) bei Dynamo Dresden antritt, sondern vor allem Wolfgang Dietrich. Pfiffe begleiteten seinen ersten Gang auf die Bühne am Sonntag, am Mikrofon wiederholte er zu großen Teilen seine Argumente, die er auch in den vergangenen Wochen immer wieder vorgebracht hatte. Mit „einer Kombination aus Leidenschaft und kühlem Kopf“ wolle er den Verein in erfolgreichere Zeiten führen, Führungsstärke zeigen, dabei „weniger schwätzen und mehr machen“. Eine schnelle Überarbeitung der Geschäftsordnung kündigte er ebenso an wie die zügige Einberufung von Mitgliederausschüssen. Zudem will er für eine Entscheidung über eine mögliche Ausgliederung der Profiabteilung schnell die Voraussetzungen schaffen. „Diese offene Frage lähmt den Verein seit Jahren“, hatte er schon vor der Wahl gesagt. Viel schwieriger als all diese Vorhaben aber wird es sein, den Verein wieder zu einer größtenteils geschlossenen Einheit zu machen.

Der Ruf nach Einigkeit

„Als zerrüttete VfB-Familie brauchen wir jemanden, der den Verein eint“, hatte noch vor der Wahl Benjamin Nagel die Kritik der Ultras an Dietrich begründet. Der neue Präsident versprach: „Ich werde ein Präsident auch derjenigen sein, die mich heute Spalter genannt haben.“ Ob er das schafft, wird sich frühestens in einem, spätestens in vier Jahren zeigen. Dann will er mehr Stimmen bei der Entlastung bekommen als am Sonntag bei seiner Wahl – und erreicht haben, „dass auch ihr da oben sagen könnt: So schlimm war er gar nicht“. Zur Seite steht ihm ein erweiterter Aufsichtsrat.

Ex-VfB-Profi Hermann Ohlicher wurde mit 84,9 Prozent, Franz Reiner, Chef der Mercedes-Benz-Bank, mit 72,2 Prozent der Stimmen ins Kontrollgremium gewählt. Ein weiterer freier Platz soll in einem Jahr mit einem Sportfachmann besetzt werden.