Nach achteinhalb Jahren in München, Florenz, Istanbul und Wolfsburg ist der Fußballprofi zurück in Stuttgart. Den 32-jährigen Stürmer haben im Laufe seiner Karriere Zweifel und Missgunst begleitet. Nun will er den VfB zum Klassenverbleib schießen.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Es war kalt im Osten Stuttgarts an jenem Morgen, es war auch nass, und der junge Mann hatte zwischen Schule und Training nicht viel Zeit. Zwei Leberkäswecken erwarb er beim Bäcker, biss hin und wieder in einen der beiden und erzählte, wie das so ist, wenn man die angehende Karriere als Fußballprofi beim VfB Stuttgart und den Schulabschluss am Wirtschaftsgymnasium der Cottaschule unter einen Hut bringen muss. Der Kernsatz von damals, im März 2003: „Ich will Profi werden – dafür tue ich alles.“ Er ist Profi geworden. Und: Nationalspieler, deutscher Meister, Torschützenkönig, Vize-Europameister, türkischer Meister, Gewinner der Champions League, Pokalsieger.

 

Und jetzt ist Mario Gomez wieder da. „Ich bin sehr glücklich wieder zu Hause zu sein“, sagt der 32-Jährige rund achteinhalb Jahre, nachdem er den VfB Stuttgart verlassen hat – und präzisiert seine Definition von Heimat: „Dort, wo alles für mich begonnen hat.“ In Stuttgart, beim VfB, beim Club seines Herzens.

Mario Gomez ist mit 32 Jahren noch lange kein Auslaufmodell – ganz im Gegenteil

Das muss er sein. Sonst, so könnte man meinen, würde einer wie er nicht zurückkommen zu einem Verein, den Gomez zwar mal zum deutschen Meistertitel geschossen hat, der als Aufsteiger derzeit aber ums Überleben in der Bundesliga kämpft. Gut, Mario Gomez ist nicht mehr das Zukunftsmodell früherer Tage. 32 ist er im vergangenen Sommer (am 10. Juli) geworden, seine Karriere befindet sich in ihrem Herbst. Doch ist er deshalb noch lange kein Auslaufmodell. Ganz im Gegenteil.

Sehen Sie im Video: Das denken die Stuttgarter über die Rückkehr von Mario Gomez.

Vor eineinhalb Jahren beendete er die Saison in der türkischen Liga als Torschützenkönig, in der vergangenen Spielzeit rettete er den VfL Wolfsburg mit 16 Treffern vor dem Abstieg – und die Lücke, die er nach seiner Verletzung während der EM 2016 im deutschen Team hinterließ, war nicht eben klein. So einer hat die Wahl, auch als 32-Jähriger. Doch Uli Ferber, Gomez’ Berater seit den Anfängen, sagt: „Es gab mehrere Anfragen für Mario, aber ein Wechsel zu einem anderen Verein wäre für ihn nicht infrage gekommen.“

Er soll die Tore machen, die es braucht, um in der Liga zu bleiben

Der VfB also, der sich viel verspricht vom neuen Stürmer. Simon Terodde, der Garant für den Aufstieg, ist weg (zum 1. FC Köln). Gomez, der Nationalspieler, ist dafür gekommen. Er soll die Tore machen, die es braucht, um in der Liga zu bleiben. Und er soll den Verein nach außen vertreten, wie er es früher schon getan hat. Einen „Torjäger der Extraklasse“ nennt ihn Michael Reschke, der VfB-Sportvorstand. Zudem: einen „Klassetyp“ und eine „Identifikationsfigur“. Doch klar ist auch, was Uli Ferber weiß: „Er wird mit Argusaugen beobachtet werden.“ Denn an Mario Gomez, das haben die Jahre seiner Karriere trotz aller sportlichen Erfolge gezeigt, scheiden sich die Geister. Da ist der Klassestürmer, der Torgarant, der eloquente Gesprächspartner. Für alle seine Clubs hat er seine Tore gemacht. Sportlich enttäuscht hat er nie. Und doch suchte die Öffentlichkeit stets das Haar in der Suppe. Mal galt er als lauffaul (was TV-Experte Mehmet Scholl 2012 überspitzt und beleidigend anmerkte), mal als technisch limitiert (sein Fehlschuss bei der EM 2008, bei dem er freistehend vor dem leeren Tor gegen Österreich verschoss, hing ihm lange nach). Und weil er immer mal wieder das Haar aus der Stirn strich, nannte man ihn einen Selbstverliebten und einen Schönling. Sein Selbstvertrauen legten sie ihm als Arroganz aus.

„Das sind gute Jungs“, sagte einst der Meistertrainer Veh, „die haben ein intaktes Umfeld“

Mario Gomez hat all das nie so richtig an sich herangelassen und stets einen Satz für sich beansprucht, den er schon nach den ersten Erfolgen sprach: „Ich bin der gleiche Mensch geblieben.“ Wegbegleiter, die ihn schon lange kennen, bestätigen das und reihen ihn ein in eine Riege hoch begabter, aber auch bodenständiger Fußballer aus der VfB-Schule, für die einst Frieder Schrof und der kürzlich überraschend verstorbene Gomez-Entdecker Thomas Albeck standen. „Das sind gute Jungs“, sagte einst der VfB-Meistertrainer Armin Veh über Gomez, Sami Khedira und Serdar Tasci, „die haben alle ein intaktes Umfeld.“

Bei Mario Gomez liegt es in Oberschwaben: Das Elternhaus steht in Riedlingen-Unlingen, dort hat auch der Profikicker gebaut. Vater Pepe, ein Spanier, hat einst einen eigenen Malerbetrieb aufgebaut und dem Filius „oft genug erzählt, wie schwer er sein Geld verdient“ (Mario Gomez). Der kleine Mario kickte beim SV Unlingen, in Bad Saulgau, dann ging es zum SSV Ulm. Als Gomez dann in der Auswahl des Württembergischen Fußballverbandes (WFV) beim Länderpokal als Torschützenkönig glänzte, „riefen fast alle Bundesligavereine bei mir an“. Thomas Albeck aber lotste das Talent nach Stuttgart, weil er früh wusste: „Er ist ein Stürmer, der ein Spiel alleine entscheiden kann.“ Und: „Er ist keiner, der abhebt.“ Der sich aber auf sportliche Höhenflüge begibt.

Gomez war der Liebling der VfB-Fans, die ihm den Wechsel zu Bayern übel nahmen

Champions-League-Debüt mit 18, erstes Bundesligator mit 20, Nationalspieler und Deutscher Meister mit 21 – die Karriere nahm Fahrt auf. Gomez war der Liebling der VfB-Fans, die ihm dann aber übel nahmen, dass er 2009 zum FC Bayern wechselte. Dass er seinem Club – auch durch eine vorzeitige Vertragsverlängerung kurz zuvor – die Einnahme von mehr als 30 Millionen Euro ermöglichte, interessierte die wenigsten. Und weil der VfB nichts Gescheites anzufangen wusste mit dem vielen Geld, schmerzte der Gomez-Abgang noch lange. Der VfB begab sich in die Abwärtsspirale, Gomez startete in München durch, wurde Triple-Sieger 2013 – unter dem dann neuen Trainer Pep Guardiola beim Rekordmeister aber nicht mehr gebraucht. Die Karriere setzte er beim AC Florenz fort – doch sie kam ins Stocken. Verletzungen warfen Gomez zurück, sein Spiel, das auf körperlicher Robustheit basiert, funktionierte nicht mehr wie gewohnt. Nach zwei Jahren in Italien suchte er eine neue Chance in Istanbul – und erlebte bei Besiktas seine sportliche Wiedergeburt. Meister, Torschützenkönig (26 Treffer), Comeback in der Nationalmannschaft – Mario Gomez war zurück. Und kam zurück. In die Bundesliga.

Der VfL Wolfsburg sicherte sich seine Dienste, doch statt vorne mitzumischen, ging es gegen den Abstieg. Gomez stellte sich auch dem, steuerte Tore bei, übernahm zur neuen Saison gar das Kapitänsamt. „Er hat sich wohl gefühlt in Wolfsburg“, sagt Uli Ferber, „nun hat er sich aber für den Schritt in Richtung Heimat entschieden.“

„Ich freue mich auf den Verein, die Stadt, auf die Menschen, auf das Umfeld“, sagt Gomez

München gilt als Lebensmittelpunkt von Mario Gomez und seiner Frau Carina Wanzung, die er im Sommer 2016 geheiratet hat (mit VfB-Kapitän Christian Gentner als Gast). Im Frühjahr erwarten die beiden ihr erstes Kind. In Backnang gehört dem Fußballer eine Immobilie, seine Eltern in Oberschwaben besucht er regelmäßig – und auch zum VfB riss der Kontakt nie ab. Zuletzt war er anlässlich des Auswärtsspiels des VfL im September in der Mercedes-Benz-Arena – obwohl er verletzt war und in Wolfsburg hätte bleiben können. „Mario hat immer gesagt, dass er sich vorstellen könnte, noch einmal für den VfB zu spielen“, sagt Ferber, der die Rückkehr zum VfB mit einfädelte. „Mario ist ein außergewöhnlicher Stürmer, einer der besten in Deutschland. Er würde jedem Verein in der Bundesliga gut zu Gesicht stehen.“

Den VfB hat er nun auserwählt. Er sagt: „Ich freue mich auf den Verein, die Stadt, auf die Menschen, auf das Umfeld, auf meine Familie.“ Er will mit dem VfB in der Bundesliga bleiben und mit der Nationalelf zur WM 2018 nach Russland. Über Stuttgart, wo es derzeit so ist, wie einst im März 2003: Kalt und nass. Aber das hat Mario Gomez schon damals nicht gestört.

VfB Stuttgart - 1. Bundesliga

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