Der Test gegen Manchester City hat gezeigt, warum der neue Trainer Alexander Zorniger das Spiel des VfB Stuttgart radikalisiert. Doch nun beginnt am Samstag in Kiel die Pflicht.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Das Wichtigste vorneweg: Alexander Zorniger ist Alexander Zorniger geblieben. Er trägt noch seinen Mehrtagesbart und seine Trainingsklamotten. Er spricht auch noch den gleichen Dialekt wie vor einer Woche, und er wirkt keinesfalls abgehoben. Das ist gut zu wissen nach so einem 4:2 gegen Manchester City. Denn so ein Fußballspiel kann ja nicht nur ein Fußballspiel sein, sondern ein Statement. Sogar eines mit Ausrufezeichen! Und das Spiel des VfB Stuttgart gegen den englischen Vizemeister hat durchaus das Potenzial zum Statement mit Ausrufezeichen.

 

Die Fans und Fachleute waren jedenfalls erstaunt von diesem Ergebnis. Sind es noch und rätseln, was da passiert ist. Immerhin standen bei ManCity zwei Weltmeister von 2010 und ein paar Hundert Millionen Euro teure Beine auf dem Platz. Immerhin kam das Team von der Insel, um einen letzten Test vor dem Saisonstart zu absolvieren. Doch dann führte der VfB zur Pause 4:0 – und nur Zorniger zeigte sich nicht überrascht. Der Trainer weiß ja, was mit diesem Fußball, seinem Fußball, möglich ist.

Die Balljagd geht in Kiel weiter

Die Menschen um ihn herum ahnen es nun. Zornigers Fußball kann und soll jeden Gegner unter Stress setzen. Auch die besten Teams in Europa. Und wenn es einer Demonstration bedurft hätte, um zu zeigen, warum Zorniger den VfB in seiner Spielweise so radikalisiert, dann hat sich die Begegnung mit ManCity wunderbar in den Vorbereitungsplan der Stuttgarter gefügt. Denn sie hat auf sehr bemerkenswerte Weise manifestiert, wie sich der Coach das mit seinem Eroberungsfußball künftig vorstellt: den Ball im Schwarm jagen, den Gegner kompakt hetzen, und die erkämpfte Kugel ruck, zuck ohne jedes Tiki-Taka ins Tor befördern. „Manchester ist jetzt die Messlatte“, sagt Zorniger.

An diesem Samstagabend (20.30 Uhr/Sky) setzt sich die Treibjagd nun fort. Im DFB-Pokal beim Drittligisten Holstein Kiel – und für den VfB wird es auch darum gehen, dieses eine große Fragezeichen, das sich seit Zornigers Amtsantritt vor knapp sechs Wochen um die Mannschaft und die neue Spielweise aufgebaut hat, kleiner werden zu lassen. Denn bis zur Partie gegen den Champions-League-Teilnehmer ging es in Stuttgart immer auch darum, warum Zorniger vor allem in der Offensive alles ändern will, was am Ende der Vorsaison so gut gelaufen ist. Kostic und Harnik auf den Flügeln, Ginczek in der Spitze, Didavi dahinter – Tore und Tempo.

Jetzt ist noch mehr Tempo gefragt. In alle Richtungen. Ob dabei auch mehr Tore als in den Jahren zuvor herausspringen, wartet der Schwabe aber erst einmal ab. Zorniger weiß das. Er ist ja selbst einer aus Überzeugung und kennt die Skepsis, die den VfB nach Jahren des Abstiegskampfes begleitet: das Manchester-Spiel war schön und gut, doch jetzt ruft die Pflicht. Nach der Partie in Kiel kommt Köln zum Bundesligaauftakt, danach geht es nach Hamburg und so weiter.

Es wird schon noch eine Weile dauern, ehe der VfB sich und seine Umwelt restlos davon überzeugt hat, dass da etwas Neues am Entstehen ist. Mit einer Mannschaft, die sich nominell gar nicht so sehr von der Mannschaft der vergangenen Runde unterscheidet. Acht Spieler aus der Anfangsformation gegen Manchester standen auch in der Startelf von Paderborn am 23. Mai. Nur Sven Ulreich (verkauft), Antonio Rüdiger (verletzt) und Daniel Schwaab (ersetzt) zählten nicht zu Zornigers Auswahl.

Mit Serey Dié fehlt ein wichtiger Spieler

Ein personeller Umbruch sieht jedenfalls anders aus. Die Veränderungen sollen mehr in den Köpfen ablaufen – und die Revolution auf dem Rasen. Weshalb sich der VfB während seiner Generalprobe präsentierte, als sei er einerseits schon ziemlich weit auf seiner ersten Etappe, andererseits aber auch noch ziemlich weit weg von seinem Ziel. Die Stuttgarter entwickelten in ihrer Gier im Spiel gegen den Ball schon so viel Wucht, dass selbst ein ballsicheres Team wie ManCity viele Fehler produzierte. Sie öffneten in ihrem Eifer, ständig zu attackieren, aber auch Räume, die selbst ein Drittligist wie Kiel nutzen könnte.

Doch im Holstein-Stadion geht es nun ohne den verletzten Lückenschließer und Zweikämpfer Serey Dié zur Sache. Damit fehlt Zorniger der Mann, „der mit jeder Faser die Bequemlichkeit aus der Truppe jagt“. Was die Ungewissheit über ein Weiterkommen steigert, da der Trainer das Spiel eins nach Manchester mit einer Frage der Mentalität verbindet: „Ich bin gespannt, wie die Spieler nach dem Highlight-Gedöns nun mit der Situation umgehen.“ Ob sie ihre Spiel- und Denkweisen in kurzer Zeit schon so verändert haben, dass sie sich nicht nur von einem großen Namen motivieren lassen. Das wäre auf dem weiten VfB-Weg ein beachtlicher Fortschritt.