VfB Stuttgart stellt Bruno Labbadia frei Ein Club ist zurück am Abgrund

Verzweifelter Kapitän: Wataru Endo nach der Niederlage des VfB Stuttgart beim 1. FC Union Berlin. Foto: Baumann/Cathrin Müller

Der Tabellenletzte der Fußball-Bundesliga wechselt erneut den Trainer. Damit ist die jüngste Idee des Neubeginns gescheitert. Und das Risiko eines Totalschadens nach wie vor hoch.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Kürzlich war Jubiläum. Alexander Wehrle als Vorstandsvorsitzender der VfB Stuttgart AG – diese Kombination gibt es nun also etwas länger als ein Jahr. Und wenn man nach Sätzen für die Ewigkeiten aus diesen zwölf Monaten sucht, landet man schnell bei einer Pressekonferenz Mitte September 2022. Wehrle hatte da gerade seine externen Berater Sami Khedira und Philipp Lahm sowie den neuen Leiter der Lizenzspielerabteilung, Christian Gentner, präsentiert. Von deswegen bestehenden Streitigkeiten mit dem damals von den Personalien überraschten Sportdirektor Sven Mislintat wollte er aber nichts wissen. Sein Rat an die Zuhörer und Fragesteller: „Entspannt euch!“

 

Mit der Entspannung ist es längst vorbei.

Auch dafür kann man Alexander Wehrle als Symbol hernehmen. Ort und Zeitpunkt diesmal: das Stadion An der Alten Försterei in Berlin am vergangenen Samstag. Der VfB hatte gerade 0:3 gegen den 1. FC Union Berlin verloren, da eilte der Vorstandschef der Stuttgarter durch die Katakomben. Mit ernster Miene, angespanntem Blick, wenigen Worten. Denn die Lage könnte bedrohlicher kaum sein.

Der VfB steht auf dem letzten Platz der Tabelle der Fußball-Bundesliga, es droht das Schreckensszenario eines dritten Abstiegs innerhalb von sieben Jahren. Und: Alexander Wehrle, vom Aufsichtsratschef und Präsidenten Claus Vogt vom 1. FC Köln zum VfB gelotst, musste seinen im Spätherbst erzwungenen Neuanfang mittlerweile schon wieder beenden. „Letztlich sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass wir einen neuen Impuls brauchen“, musste er eingestehen. Sebastian Hoeneß, einst Jugendspieler des VfB und Sohn von Ex-Stürmer Dieter Hoeneß, übernimmt. Er war zuletzt in Hoffenheim tätig.

Die Idee, dass Bruno Labbadia ein schlingerndes VfB-Team mit altbewährten Methoden auf Kurs bringt, ist jedenfalls nicht aufgegangen. Die Stuttgarter stehen nach elf Ligaspielen unter dem 57-Jährigen schlechter da als zuvor, die Fans, die die Verpflichtung Labbadias mehrheitlich kritisch gesehen hatten, sind sauer, im ganzen Club rumort es auf allen Ebenen. Dazu kommt eine finanzielle Lage, die extrem angespannt ist – und die durch einen Abstieg womöglich vollends aus dem Ruder läuft.

Wer sich zurückerinnert an den Mai 2022, kann nur die Geste wiederholen, die fast wöchentlich nach dem Schlusspfiff bei den VfB-Profis zu sehen ist – sich also fassungslos die Hände vors Gesicht schlagen. Da hatte das Stuttgarter Team mit einem Kraftakt am letzten Spieltag den Klassenverbleib erzwungen, es folgte eine Explosion der Emotionen – und alle Beteiligten versicherten, diesen Booster an Energie in eine positivere Entwicklung fließen zu lassen. Doch es geschah das Gegenteil.

Der Booster aus dem Saisonfinale ist verpufft

Trotz eingehender Sommerpausenanalyse von Wehrle, Mislintat und dem damaligen Trainer Pellegrino Matarazzo gewann der VfB in der neuen Saison von den ersten neun Spielen in der Liga keines. Der Coach, der zuvor für VfB-Verhältnisse ungewöhnlich lange im Amt gewesen war, musste gehen – und es setzte sich in kleinen Schritten die Abkehr fort von dem, was den VfB in den Jahren zuvor zwar nicht in eine sorgenfreie Zeit geführt hatte, doch von vielen Beobachtern als glaubwürdiger und richtiger Weg wahrgenommen wurde.

Das Gefühl des vertrauensvollen Zusammenarbeitens der wichtigsten Führungsfiguren war schnell verflogen, wenn man sah, wie Wehrle und Mislintat sich beäugten, taktierten und eine Farce um eine Vertragsverlängerung des Sportdirektors boten, die sich zog wie Kaugummi und am Ende alle im Verein nur noch nervte. Mislintat wollte bleiben – bei vollem Machterhalt. Wehrle wollte den VfB sportlich breiter aufstellen und die Macht des Westfalen beschneiden. Man fand nie zusammen, was man auch früher hätte einsehen können. Die Suche nach einem Matarazzo-Nachfolger wurde ebenfalls nicht geschlossen zu einem schnellen Ende gebracht. Mit Mislintat wäre die Variante Labbadia nicht machbar gewesen, Wehrle vollzog Ende November daher den kompletten Neustart mitten in der Saison. Eine Harakiri-Nummer, wie sich nun herausstellte.

Der neue Trainer und der neue Sportdirektor (Fabian Wohlgemuth kam aus Paderborn) arbeiteten von Dezember an mit dem alten Kader. Dass sie diesen für nicht zwingend bundesligatauglich halten, klang immer mal wieder durch. Doch ist dafür nicht nur Mislintat, sondern auch Wehrle verantwortlich, der im Sommer noch betonte, er und der damalige Sportdirektor hätten alle Transfers gemeinsam abgewickelt.

Der finanzielle Druck ist groß

Als alleiniger Sündenbock fällt Mislintat also aus – wobei den 50-Jährigen am Ende auch die Tatsache das nötige Vertrauen der Bosse kostete, dass zu viele der verpflichteten Talente das aktuelle Team nicht weiterbringen. Er hatte die Wette auf die Zukunft verloren, weil der VfB wieder im Keller stand. Was er dagegen geschafft hat: dem Club lebenswichtige Transferüberschüsse zu beschaffen. Über deren Höhe gibt es zwar unterschiedliche Ansichten, dass es sie in beträchtlicher Höhe gibt, steht außer Frage.

Auf dieses Modell ist der VfB auch in Zukunft angewiesen, da es zuletzt nicht nur sportlich hakte, sondern auch die finanzielle Lage Sorgenfalten produziert. Coronafolgen, Preissteigerungen, Kreditraten und der Stadionumbau drücken dermaßen auf die Bilanzen, dass zwei Maßnahmen zuletzt unabdingbar waren: der Verkauf von Naouirou Ahamada nach England zu Crystal Palace, der sportlich schmerzte und eigentlich abgelehnt worden war. Und der Deal mit dem Vermarkter Sportfive. Der brachte dem VfB über ein Signing Fee schnelles Geld, dafür kassiert das Unternehmen nun mit, wenn es in Zusammenarbeit mit der VfB Marketing GmbH neue Partner an Land zieht.

Vor allem mit den neuen Businessräumlichkeiten in der umgebauten Arena will der VfB künftig punkten und die Erlöse steigern. Allein den vereinseigenen Leuten hatte man die Vermarktung nicht zugetraut. Als Zweitligist dürfte das aber auch in neuer Konstellation und trotz exquisiten Tunnelclubs deutlich schwerer fallen als im Falle der Zugehörigkeit zum deutschen Oberhaus. Der Verkauf der besten Spieler wäre wohl wieder das Mittel, um die Bilanz einigermaßen zu retten.

Die Warnungen, wie verheerend sich ein neuerlicher Gang in Liga zwei auswirken würden, gab es zuhauf in den vergangenen Wochen und Monaten. Mit den mit einem Abstieg einhergehenden Einnahmeverlusten wurden daher die Ausgaben für Labbadia (Vertrag bis 2025) und sein Trainerteam sowie Gehalt und Ablöse für den neuen Sportdirektor gerechtfertigt. Alles billiger als ein Abstieg, so das Motto. Doch hat vorerst auch Wehrle seine Wette auf die Zukunft verloren.

Zoff in den Vereinsgremien

Was bleibt, ist ein Club am Abgrund, in dem sportliche Entscheidungen in einem viel zu großen Kreis diskutiert werden müssen. Und in dessen ehrenamtlichen Gremien es zugeht wie auf dem Basar der Eitelkeiten. Längst gibt es wieder Lagerdenken, werden neue, machterhaltende Seilschaften gepflegt. Auch Rücktritte gab es, damit verbunden Angaben über ein Klima, das von Vertrauen und Wertschätzung so weit entfernt ist wie das VfB-Team von der Tabellenspitze. Die Versuche, diese Eindrücke kommunikativ zu zerstreuen, misslangen regelmäßig. Auch in der Belegschaft der AG herrscht vielerorts Unzufriedenheit und Unverständnis für Maßnahmen, die eher Geld kosten statt welches sparen. „Es gibt nur einen VfB“ lautet das Motto von Wehrle und Vogt. Wie es scheint, wäre es besser, jedes Gremiumsmitglied bekommt seinen eigenen – zur individuellen Verwendung und Egopflege.

Den Verbleib in der Bundesliga soll nun Sebastian Hoeneß als vierter Trainer dieser Saison erreichen – er ist der Gegenentwurf zu Labbadia und nicht nur eine Entscheidung für acht Spiele. Die bleiben, um sich zumindest für die Relegation zu qualifizieren. Dort könnte dann eine komplett verkorkste Spielzeit noch irgendwie gerettet werden. Für Entspannung wäre aber auch dann nicht gesorgt beim VfB Stuttgart.

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