Timo Werner vom VfB Stuttgart und Davie Selke von Werder Bremen gelten als hochbegabt. Doch vor dem Spiel ihrer Teams am Sonntag stecken sie in einer schwierigen Situation.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Von Timo Werner weiß man, dass er noch richtig ins Schwärmen geraten kann. Dass er große Augen bekommt und es aus ihm heraussprudelt, wenn er seinen Kumpels aus den Nachwuchsmannschaften des VfB Stuttgart erzählt, wie es so ist, in ein volles Bundesligastadion einzulaufen. Manchmal schlendert der 19-jährige Stürmer auch nur über das Trainingsgelände an der Mercedesstraße und schüttelt ungläubig den Kopf: Er hat es wirklich geschafft, vom Jugendspieler zum VfB-Profi, ein Kindheitstraum.

 

Allerdings trägt für den Verein auch Werners zweite Bundesligasaison albtraumhafte Züge. Sie könnte in der zweiten Liga enden, und keinen anderen Spieler hemmt diese Aussicht in seinem Spiel mehr als Werner. Jede Partie, jede Minute, jede Aktion könnte im Abstiegskampf entscheidend sein – und den jungen Mann mit der Nummer 19, der das Trikot mit dem Brustring trägt, seit er sechs Jahre alt ist, scheint das teilweise zu überfordern.

Auch Davie Selke hat sein Engagement bei Werder Bremen schon als „Herzensangelegenheit“ bezeichnet. Das war im vergangenen Herbst, als er seinen Vertrag bis 2018 verlängerte. Doch seit Kurzem weiß man, dass Selke die Sache mit seinem Herzen nicht überbewertet. Und seit er seinen Wechsel zu RB Leipzig (Vertrag bis 2020) bekanntgegeben hat, ist der 20-jährige Angreifer in Bremen nicht mehr Everybody’s Darling, sondern eine Art Verräter an der guten Werder-Sache.

Werner gehört in eine Kategorie mit Raúl und Rooney

Das Spiel zwischen dem VfB und Werder an diesem Sonntag wird somit auch zur Begegnung zweier deutscher Sturmhoffnungen, die jeweils in einer schwierigen Situation stecken. „Beide sind aber hochtalentierte Spieler mit außergewöhnlichen Anlagen, auch im internationalen Vergleich“, sagt Marcus Sorg, der Auswahltrainer der deutschen U 19. Mit Selke als Torschützenkönig, aber ohne Werner, der auf eine EM-Teilnahme verzichtete, wurde Sorg 2014 Europameister und beschäftigt sich intensiv mit der Nachwuchsförderung. Am Freitag flog er nach Nyon, um sich anzuschauen, was der Clubfußball in dieser Altersklasse auf der Bühne seiner Besten zu bieten hat: RSC Anderlecht gegen Schachtjor Donezk und AS Rom gegen den FC Chelsea, die Halbfinals in der Youth League, der Champions League für A-Junioren.

Werner würde auf diesem Niveau wohl zu den auffälligsten Erscheinungen zählen. Doch der Stürmer hat nie in der U 19 gespielt, er hat sie aufgrund seiner Schnelligkeit und Klasse einfach übersprungen. „Timo Werner hat mit gerade erst 19 Jahren schon 55 Erstligaeinsätze absolviert“, sagt Sorg, „da muss man auch europaweit lange suchen, um solche Spieler zu finden.“ Diese Bilanz ist eine Bundesliga-Bestmarke und erhebt den Stuttgarter über Ausnahmetalente wie Mario Götze und Julian Draxler. Beim Blick über Landesgrenzen hinaus gehört Werner – rein statistisch – sogar in eine Kategorie mit den einstigen Fußballwunderkindern Raúl (Real Madrid) und Wayne Rooney (FC Everton/Manchester United).

Doch es gibt Faktoren, die sich nicht in Zahlen spiegeln. So scheint Werner in seiner Entwicklung in eine Sackgasse geraten zu sein. Drei Treffer (sieben insgesamt) hat er in dieser Saison erzielt. Obwohl ihm Sorg „einen überragenden Torabschluss“ attestiert. Aber Werner kommt kaum noch zum Torschuss, verheddert sich auch immer mehr in seinen Tempodribblings. „Aber ein Gerd Müller beim FC Bayern oder ein Fritz Walter beim VfB hatten einst auch Phasen, in denen sie nicht getroffen haben – und waren dabei deutlich älter als Timo Werner jetzt“, sagt Sorg.

Leistungsschwankungen gehören zum Reifeprozess, auch bei Davie Selke. Kärgliche 19 Ballberührungen in 60 Minuten wurden bei ihm zuletzt gegen Mainz (0:0) gezählt. Es war das Spiel eins nach Bekanntgabe seines Acht-Millionen-Euro-Transfers zu Leipzig, und einige Werder-Beobachter fühlten sich gleich doppelt bestätigt. Erstens: Selkes Spiel ist noch ziemlich unfertig. Er bringe zwar viel an Dynamik, Laufstärke und Aggressivität mit, doch deutlich weniger an spielerischem Vermögen und technischen Fertigkeiten. Zweitens: die Situation um den klassischen Mittelstürmer (24 Saisoneinsätze in der Bundesliga/sechs Tore) herum hat ihn mehr belastet, als er zugeben mag.

Selke war schon bei vielen Vereinen

Seit Jahresbeginn liefen die Verhandlungen mit dem Red-Bull-Club, ständig umgab sich Selkes Vater Teddy Brunn mit Spielerberatern – und alle vermuten nun, dass sich Selke seinen Schritt in die Zweitklassigkeit mit einem erstklassigen Salär hat versüßen lassen. Das Konzept für den Aufstieg der künftigen Mannschaft sowie das Aufzeigen der persönlichen Perspektiven hat er gratis dazubekommen – durch den RB-Sportdirektor Ralf Rangnick.

Der kannte Selke schon aus seiner Hoffenheimer Zeit und wusste um die Wechselfreudigkeit des Talents. Im Januar 2013 war er für 50 000 Euro nach Bremen gegangen und spielte dort zunächst in der Regionalliga, ehe der damalige Werder-Trainer und jetzige VfB-Manager Robin Dutt ihn zu Rundenbeginn endgültig nach oben zog. Zuvor hatte der in Schorndorf geborene Sohn einer Tschechin und eines Äthiopiers bereits für den VfB, Normannia Gmünd, die Stuttgarter Kickers, den FSV Waiblingen, den TSV Schmiden, den SV Fellbach und den FV Weinstadt gespielt.

Werner kennt nur den VfB und den TSV Steinhaldenfeld, wo er einst mit dem Kicken begonnen hat. Etwas anderes will der Stürmer momentan auch nicht kennenlernen. Und schon gar nicht den Schritt machen, den Selke freiwillig vollzogen hat: den Gang in die zweite Liga.