Auch der VfB Stuttgart ist abhängig von den Launen der Branche – bester Beweis ist die Trennung von Trainer Tayfun Korkut, nachdem der Bundesligist nun Tabellenletzter ist. Doch worin liegen die Probleme des Cannstatter Clubs?

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Matthias Sammer ist kein Trainer mehr, der Europameister von 1996 beobachtet die Dinge aus einer gewissen Distanz, schwebt über den Dingen – als Berater bei Borussia Dortmund, auch als Experte des TV-Senders Eurosport. Als solcher saß er am Sonntag in einem Fernsehstudio in Freiburg, einige Stunden zuvor hatte der VfB Stuttgart die Trennung von Tayfun Korkut verkündet – weshalb sich Sammer flugs auf die Seite seiner früheren Kollegen schlug. „Es kann nicht sein“, grantelte der frühere Mittelfeldspieler und Coach des VfB, „dass der Trainer immer der Depp ist.“

 

In Stuttgart ist der Trainer oft der Depp. Tayfun Korkut, erst Ende Januar verpflichtet, war der 13. Trainer in den vergangenen zehn Jahren. Kontinuität sieht anders aus.

Entlassung war keine Überraschung

Davon sprach auch Wolfgang Dietrich immer wieder, nachdem er im Oktober 2016 das Amt des Vereinspräsidenten beim VfB übernommen hatte. Nun, am Sonntagvormittag, steht der frühere Unternehmer und heutige Aufsichtsratsvorsitzende der VfB AG auf dem Clubgelände an der Mercedesstraße, blinzelt in die Sonne und meint: „Wir waren gefordert, eine klare Entscheidung zu treffen.“ Sie fiel gegen Korkut aus.

Wirklich überraschend kam das Ende der Amtszeit des Chefoaches nicht – auch wenn es am Abend zuvor noch Treuebekenntnisse gegeben hatte. Denn vor diesen Worten hatte es ein Spiel bei Hannover 96 gegeben, nach dessen Ende der Sportvorstand des Clubs, Michael Reschke, der Mannschaft eine nicht bundesligataugliche Leistung attestierte – zumindest in der ersten Hälfte. Es waren die 45 Minuten, die Korkut endgültig zum Verhängnis geworden sind.

 

Defensive Aufstellung gegen Hannover

Schon als am Samstagnachmittag in Hannover die Aufstellung des VfB verlesen wurde, rieb man sich auf der Tribüne verwundert die Augen. Als sich das Gros der elf Auserwählten wenig später tief in der eigenen Hälfte postiert hatte, nahm das Kopfschütteln zu. Und als Hannovers Stürmer Bobby Wood dennoch unbedrängt per Kopf treffen durfte – es waren seine ersten Tore seit über einem Jahr –, schien es darum zu gehen, die angeknackste Psyche des US-Amerikaners aufzupäppeln.

Selbst diejenigen, die es gut mit dem VfB meinen, fragten sich: Was ist da eigentlich alles schief gelaufen? Die Vereinbarung, die die Vereinsoberen vor der Saison mit dem Trainer getroffen hatten, muss einseitig verhandelt worden sein.

Die Welle der Euphorie ist vorbei

Der Club schwebte nach der erfolgreichen Rückrunde der vergangenen Saison auf einer Welle der Euphorie. Als Michael Reschke, der Sportchef, zurückblickte, bekam er das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Seine Augen leuchteten, gleich mehrfach zitierte er die Tabelle: „Rückrundenvizemeister! Rückrundenvizemeister!“

Mit einem Trainer, der alle Kritiker widerlegt hatte. Der den ersten Auftrag mit Rang sieben übererfüllt hatte. Der am zweiten aber scheiterte. „Das Gesamtergebnis“, sagt Reschke nun, „hat nicht gestimmt.“

Die Bilanz nach sieben Spieltagen dieser Runde weist fünf Punkte aus, dazu das Aus im DFB-Pokal – was wohl zu verschmerzen gewesen wäre, wenn der VfB nach grandiosen Leistungen und mitreißenden Partien unglücklich baden gegangen wäre.

Nur auf die Ergebnisse geschaut

„Wir haben nicht nur auf die Ergebnisse geschaut“, versichert Dietrich. Doch der andere Blick war noch viel irritierender. Und kaum einer – intern wie extern – konnte nachvollziehen, warum der Trainer sich einer spielerischen Entwicklung quasi verweigerte.

Womöglich war auch Tayfun Korkut geblendet von den Erfolgen der Rückrunde, von der Vorbereitung ohne Niederlage und dem Potenzial seiner ergänzten Truppe. Reschke versichert zwar, er habe vor Rückschlägen gewarnt, allerdings hatte der Sportchef auch erklärt, sein Team werde mit dem Kampf gegen den Abstieg nichts zu tun haben. Also setzte Korkut auf ein taktisches „Weiter so“.

Dabei sieht der Plan der VfB AG etwas ganz anderes vor. Etablierung in der Liga, ja. Im zweiten Jahr nach dem Aufstieg sollte die Zugehörigkeit noch nicht als Selbstverständlichkeit gelten. Aber vor allem: Ein Mehr an Erlebnis.

Den Zuschauern etwas zurückgeben

Das Team sollte den Zuschauern, die seit Jahren einen Vertrauensvorschuss leisten, „etwas zurückgeben“, sagte Dietrich. Doch nach für den Trainer wohl überraschenden Nackenschlägen zu Saisonbeginn verließ Korkut umgehend der Mut. Selbst Steilvorlagen, wie die zweite Hälfte beim 3:3 in Freiburg oder der Sieg gegen Bremen kehrte er um in einen Rückpass – mit einer Besetzung, der die Zulassung zum Innovationspreis wohl verweigert wird. Reschkes Neuzugänge funktionierten unter Korkut überhaupt nicht. Dabei sagt Dietrich am Sonntag auch: „Die Mannschaft wurde ausreichend verstärkt.“

Lesen Sie hier den Kommentar zu Korkut: „Logische Entwicklung“.

Reschke ist ebenfalls sicher, dass mit diesem Kader mehr drin ist als die Umsetzung einer Destruktivstrategie mit überschaubarer Intensität. Kein Wunder, dass der Manager nun einen Fußball sehen will, der „erfrischender, aggressiver und torgefährlicher“ ist.

Dass sich der bisherige Coach zwar eine professionelle Herangehensweise nachsagen lassen durfte, zum Club aber einen emotionalen Sicherheitsabstand ließ, stärkte das Vertrauen ebenfalls nicht. „Es war die Summe“, sagt Dietrich zu den Beweggründen für die Trennung. Und: „Die Tabelle lügt nicht.“

Es soll ins obere Tabellendrittel

Sie sagt stattdessen Bitteres aus für den doch so ambitionierten VfB Stuttgart. Per Mehrjahresplan soll es von der zweiten Liga dauerhaft ins obere Tabellendrittel gehen. Nun geht es wieder gegen den Abstieg. Der VfB hat als Tabellenletzter im Gegensatz zur vergangenen Saison sogar zwei Punkte weniger gesammelt. Dietrich versichert dennoch: „Wir sind um Dimensionen weiter als vor einem Jahr.“

Er spielt an auf Mitgliederzahlen, auf den Zuspruch der Fans, auf die runderneuerten Trainingsplätze. Auch die Tatsache, dass der Club mehr als 30 Millionen Euro in neue Spieler investieren konnte, markiert diese Entwicklung. Dass sich sein Club trotz dieser soliden Basis nicht unabhängig gemacht hat von Zufällen, Formkurven und Schwankungen, macht den Vereinsboss vermutlich schier wahnsinnig.

„Im Sinne des Vereins“ habe man daher jetzt gehandelt, sagt Dietrich, dessen VfB nach wie vor nach einer gesunden Balance forscht. So sucht er sportlich Orientierung irgendwo zwischen Ergebnis und Erlebnis. So bewegt er sich emotional – extern wie intern – zwischen größter Euphorie und stetem Zweifel.

Die Wirklichkeit gleicht einer Achterbahnfahrt

So sucht er seine Rolle zwischen dem Anspruch, ein deutscher Spitzenclub zu sein – und der Wirklichkeit, ans Limit kommen zu müssen, um überhaupt im Mittelfeld der Bundesliga bestehen zu können. Das Ziel ist klar, doch der Weg dorthin gleicht einer Achterbahnfahrt.

Ergebnisse und Entwicklungen stehen im Pflichtenheft des neuen Mannes, den Reschke nun sucht und der ein „Sowohl-als-auch“ hinbekommen soll. In etwa so, wie es Werder Bremen unter Florian Kohfeldt geschafft hat – und im Idealfall über einen längeren Zeitraum. Damit Matthias Sammer nicht bald den nächsten „Depp“ beklagen muss.