Die Mitgliederversammlung hat die Kluft innerhalb der VfB-Gemeinde vergrößert. Doch es gibt auch zwei neue Hoffnungsträger: Mit dem Cheftrainer Hannes Wolf und dem Manager Jan Schindelmeiser verbinden die Fans die Sehnsucht nach sportlich besseren Zeiten.

Stuttgart - Zum Ausklang des Tages, an dem er mit 57,2 Prozent der Stimmen zum achten VfB-Präsidenten seit Gründung der Fußball-Bundesliga gewählt wurde, gönnte sich Wolfgang Dietrich beim Blick in die Steak-Karte des Clubrestaurants eine Wein-Schorle. Ein siebenstündiger Versammlungsmarathon lag da hinter dem 68-Jährigen, in dessen Verlauf die hitzige Debatte des Öfteren die Grenzen des guten Geschmacks überschritten hatte – und das Szenario vor rund 3400 Mitgliedern in der Stuttgarter Schleyerhalle ein ums andere Mal ins Groteske abgedriftet war.

 

Der auch aufgrund seiner Vita als einstiger Sprecher des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 häufig als „Spalter“ titulierte Wolfgang Dietrich, das hat die Mitgliederversammlung noch einmal manifestiert, steht nun einem Verein vor, in dessen Innerem tiefe Gräben existieren. „Ich will bei meiner Arbeit alle mitnehmen, die ein Herz für den VfB haben“, sagt Dietrich, der neue Chef, der am ersten Tag sein Präsidenten-Büro bezogen und erste Mitarbeitergespräche geführt hat.

Die Arbeit im Nachwuchsleistungszentrum mit dem neuen Finanzier Porsche, die Vorbereitung einer möglichen Ausgliederung der Profiabteilung sowie die Verbesserung der Außendarstellung des Clubs hat der neue Präsident als Erstes auf die Agenda gesetzt. Besonders der letzte Punkt hat es in sich, denn auf vielen Ebenen herrscht beim VfB alles andere als Harmonie.

Das Fanlager

Die Fans sind in sich selbst gespalten. Sprechen die Anhänger auch sonst selten mit einer Stimme, so tun sie das nach der Dietrich-Wahl noch weniger. Grob gesagt gibt es drei Lager. Da existiert zum einen die Gruppe, die sich klar zu dem 68-Jährigen bekennt: Vereins- und sponsorennahe Getreue sind dies, die bei Heimspielen eher in den Logen zu finden sind. Daneben gibt es die große Masse derer, die sich ihre Entscheidung bis zuletzt offen hielt und die sich am Ende mit knapper Mehrheit für Dietrich aussprach, „um endlich Ruhe in den Verein zu bringen“, wie es Mitglied Siegfried Vetter ausdrückte. Dann wären da noch die lautstarken Ultras als Gegenbewegung. Mit ihren verbalen Attacken setzten der Aufsichtsratschef Martin Schäfer und Dietrich („Ihr seid doch die Spalter!“) Reizpunkte, die zunächst unerwidert blieben.

Das Commando Cannstatt schaltete am Tag danach auf stumm, die Ultras des Schwabensturms gaben sich betont zurückhaltend. „Herr Dietrich wurde durch die Mitgliederversammlung gewählt. Daher werden wir diese Wahl so auch anerkennen“, sagte ein Sprecher der etwa 250 Personen umfassenden Gruppierung. Es ist kein Geheimnis, dass die meisten der Hardcore-Fans dem 68-Jährigen ihre Stimme nicht gegeben haben. Und jetzt? „Dreht sich die VfB-Uhr weiter“, meint der Schwabensturm-Sprecher, der keine Prognosen abgeben will, ob und wie sich die Fehde im Stadion fortsetzen wird. Es sei nun an ihm, Dietrich, die Lager zu einen. Auf die Frage, warum sich die Stimmungsmacher aus der Cannstatter Kurve in der Schleyerhalle nicht deutlicher zu Wort meldeten, antwortete der Sprecher, dass man die eigene Haltung im Vorfeld deutlich gemacht habe: „Daher gab es für uns keinen Grund, vor Ort nochmals schon Genanntes zu wiederholen.“

Gleiches galt in Bezug auf die vom Verein vorgeschlagenen Satzungsänderungen. Diese sahen unter anderem künftig Briefwahlen und die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre vor. Die Ultras – und nicht nur sie – vermuteten dahinter aber vorbereitende Maßnahmen mit Blick auf eine Ausgliederung. Also lehnten sie die Vorschläge ab. Fazit von Mitglied Fabian Schollenberger: „Diese Versammlung hat nicht gut getan, weil die Kluft zwischen zwei Gruppen im Verein größer geworden ist.“

Der Aufsichtsrat

Keine Frage, der vormals dreiköpfige Aufsichtsrat mit dem Vorsitzenden Martin Schäfer (Würth), Wilfried Porth (Daimler) und Hartmut Jenner (Kärcher) hat durch das Desaster der Abstiege der ersten und zweiten Mannschaft des VfB zuletzt viel Kritik einstecken müssen. „Als ich das Amt antrat, habe ich mir nicht vorstellen können, was da alles auf mich zukommt“, sagte Schäfer, der sich seinerseits wenig souverän und zukunftsorientiert zeigte, als er in seiner Replik auf ein Banner in der Cannstatter Kurve anlässlich des Braunschweig-Spiels („Aufsichtsrat, verpisst euch!“) verbal mit gleicher Münze zurück keilte.

Als dann noch Porth am Saal-Mikrofon kundtat, kein Fan müsse glauben, „dass meine Vorstandskollegen beim Daimler Schlange stehen, um einen Job als Aufsichtsrat beim VfB zu übernehmen“, trug dies ebenfalls wenig zu einer versöhnlichen Tonlage bei. Gut tat es da so mancher Fan-Seele, dass neben einem weiteren Manager im Zeichen des guten Sterns auf allen Straßen, dem Mercedes-Benz-Bank Chef Franz Reiner, auch eine VfB-Legende als fünftes Mitglied in den neuen Aufsichtsrat gewählt wurde: Hermann Ohlicher, Deutscher Meister von 1984, erhielt 84,9 Prozent der Stimmen.

Die Sportliche Leitung

Zwei weitere Protagonisten gelten wie Ohlicher innerhalb der viel beschworenen „VfB-Familie“ derzeit als unantastbar: Dem Sportvorstand Jan Schindelmeiser und vor allem dem neuen Trainer Hannes Wolf flogen förmlich die Sympathien der Versammlung zu. Schließlich verbindet die VfB-Gemeinde mit ihnen die Sehnsucht nach sportlich besseren Zeiten. Gerade der erste Heimauftritt unter Wolf, das 4:0 über Fürth, hat der Hoffnung auf den Aufstieg neue Nahrung gegeben. Der 35-Jährige wiederum gibt die Zuneigung gerne zurück: „Es fühlt sich gut an, hier zu sein. Die Atmosphäre im Stadion hat mich beeindruckt.“

Obendrein versteht sich Jan Schindelmeiser („Ich fühle mich hier pudelwohl“), der mit der Verpflichtung des Trios Carlos Mané, Takuma Asano und Benjamin Pavard erste Pluspunkte gesammelt hat, auch in populistischen Tönen: „Es wäre doch geil“, rief er der Masse zu, „wenn wir alle zusammen im Mai eine Party feiern.“

Möglichst zeitnah sollte das Engagement von Thomas Hitzlsperger klarer definiert und kommuniziert werden. Mal wird der Meisterspieler von 2007 von der Clubspitze als „Berater des Vorstandes“, dann als „Botschafter des VfB“ bezeichnet. Öffentlich zu seiner Rolle äußern will (oder darf?) sich Hitzlsperger bisher nicht. Klar ist, dass „The Hammer“ als Integrationsfigur vieles mitbringt, was beim VfB gefragt ist. Der Ex-Nationalspieler verfügt neben Sachverstand über einen tadellosen Ruf – und wird von beiden Lagern geschätzt.