Gegen Wolfsburg will der VfB Stuttgart am Samstag vorzeitig den Klassenverbleib perfekt machen. Denn auf einen Showdown am letzten Spieltag möchte es niemand ankommen lassen.

Stuttgart - Plötzlich lag der Ball frei vor ihm, rund zwanzig Meter vor dem Tor. Krassimir Balakov zögerte nicht lange, mit links zog er ab – und traf rechts unten ins Schalker Tor. Es war das entscheidende 1:0 in der 90. Minute; es war ein legendärer Treffer, der dem von Huub Stevens trainierten Revierclub in der Woche darauf die Deutsche Meisterschaft kosten sollte und dem VfB an jenem vorletzten Spieltag der Bundesligasaison 2000/2001 den Klassenverbleib sicherte. Minutenlang feierten die Stuttgarter Fans hinterher die Mannschaft, während vom Torschützen aus Bulgarien erst allmählich der große Druck des Abstiegskampfes abfiel. Er sei heilfroh, keuchte Balakov, „dass diese Scheiße jetzt endlich vorbei ist“.

 

Ein Spielmacher aus Osteuropa war es auch, der zehn Jahre später tatkräftig dabei mithalf, den VfB in der Bundesliga zu halten. Der Ungar Tamás Hajnal legte mit seinem Treffer zur 1:0-Führung den Grundstein zum 2:1-Sieg gegen Hannover 96, der letzte Zweifel am Klassenverbleib schon vor dem letzten Spiel beseitigte. Bedeutungslos wurde die Reise zum Saisonfinale beim FC Bayern München, was den VfB-Trainer Bruno Labbadia mit Blick auf die Wochen zuvor deutlich vernehmlich aufatmen ließ: „So etwas möchte ich nicht noch einmal erleben“, stöhnte Labbadia und fand wie einst Balakov einen griffigen Slogan zum Thema Abstiegskampf: „Alles, was ich vorher gemacht habe, war im Vergleich dazu Kindergeburtstag.“

Wieder ein Heimspiel, wieder am vorletzten Spieltag

Weitere drei Jahre sind seither vergangen – und wieder bietet sich am Samstag die große Gelegenheit, diesen nervenaufreibenden Abstiegskampf kurz vor einem möglichen Showdown zu beenden. An Parallelelen zur Vergangenheit besteht kein Mangel: Wieder ist es ein Heimspiel, wieder ist es der vorletzte Spieltag. Und sogar an einem osteuropäischen Spielmacher, der das Stuttgarter Stadion rein theoretisch in einen kollektiven Ausnahmezustand versetzen könnte, fehlt es auch diesmal nicht: Zumindest auf eine Einwechslung darf der Rumäne Alexandru Maxim hoffen, wenn der VfB gegen den VfL Wolfsburg die weitere Bundesligazugehörigkeit sicherstellen will.

Bei einem Sieg steht der Klassenverbleib endgültig fest; höchstens theoretischer Natur ist die Gefahr im Falle eines Unentschiedens. Selbst eine Niederlage könnte zur vorzeitigen Rettung reichen – dann nämlich, wenn der Hamburger SV (gegen Bayern) und der 1. FC Nürnberg (gegen Hannover) nicht gewinnen.

Die Reise nach München könnte zum Betriebsausflug werden

Vieles spricht also dafür, dass der VfB auch dieses Mal mit zwei blauen Augen davonkommt. Wieder würde dann die Reise nach München am letzten Spieltag, die allen Beteiligten seit Monaten als größtmögliche Horrorszenario den Schlaf raubt, zu einem lustigen Betriebsausflug werden. Kaum anzunehmen jedenfalls, dass der strenge Huub Stevens dann noch ein weiteres Mal sein Lieblingswort der vergangenen Wochen und Monate bemühen und von einem „Endspiel“ sprechen würde.

Sollte der Klassenverbleib gelingen, wird er auch diesmal eng mit dem Namen des Trainers verknüpft sein. 2001 war es Felix Magath, der im Februar als Feuerwehrmann nach Stuttgart kam. Als Tabellensiebzehnten übernahm er den VfB und bewahrte die Mannschaft mit viel Härte, Disziplin und am Ende auch ein wenig Einfühlungsvermögen vor dem Absturz in die zweite Liga. Vorletzter waren die Stuttgarter auch, als im Dezember 2010 Bruno Labbadia, ein akribischer Arbeiter, die Nachfolge von Jens Keller antrat. Fünf Monate später durfte auch er sich als Retter feiern lassen – und darin bestätigt sehen, dass nur knallharte Maloche und größtmögliche Disziplin zum Ziel führen.

Huub Stevens hatte am wenigsten Zeit

Immerhin auf Platz 15 und damit über dem Strich lag der VfB zwar Anfang März beim Amtsantritt von Huub Stevens, der ähnliche Werte wie Magath und Labbadia verkörpert. Doch hatte der Niederländer am wenigsten Zeit, der Mannschaft jene Tugenden zu vermitteln, die im Abstiegskampf nötig werden. An Ehrbekundungen für den Stuttgarter Trainer wird es also auch dieses Mal nicht fehlen, wenn der Klassenverbleib feststeht, sei es es schon heute oder notfalls erst in einer Woche.

Wieder wird sich danach die Frage stellen, wie die Zukunft des Retters aussieht. Bruno Labbadia ist trotz zweier Europapokalteilnahmen und des Einzugs in das DFB-Pokalfinale nie richtig glücklich geworden. Felix Magath hingegen, der derzeit in England mit dem FC Fulham wieder einmal gegen den Abstieg kämpft, hat es beim VfB geschafft, seinen Ruf als reiner Feuerwehrmann abzulegen. Mit den Bayern und Wolfsburg ist er später Meister geworden – und spricht trotzdem noch heute davon, dass er „die schönste Zeit meiner Trainerkarriere in Stuttgart verbracht“ habe.

So innig dürfte die Liebe zwischen dem VfB und Huub Stevens, dem Jahrhunderttrainer des FC Schalke 04, kaum werden. Immerhin kann aber auch der 60-Jährige heute dafür sorgen, dass sein Verhältnis zum VfB womöglich mehr wird als eine rein professionelle Kurzzeitbeziehung.