Im Gegensatz zu anderen deutschen Standorten führt die Europa League beim VfB Stuttgart ein Schattendasein. Das hat verschiedene Gründe. Eine Ursachenforschung von StZ-Redakteur Thomas Haid.

Stuttgart - Stell’ dir vor, der VfB tritt in der Europa League an, und keinen interessiert’s. Die Zuspitzung trifft das Problem vor der Auswärtspartie am Donnerstag (19.05 Uhr) beim FC Kopenhagen im Kern. Es ist ein Stuttgarter Phänomen, dass dieser Wettbewerb nicht angenommen wird – weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. So waren vor zwei Jahren in den Gruppenspielen gegen Bern, Getafe und Odense 46.000 Zuschauer im Stadion – insgesamt allerdings. Aktuell lautet die magere Bilanz: 17200 Fans gegen Bukarest und 15.000 gegen Kopenhagen. Das hat Gründe. Eine Ursachenforschung.

 

Die Eigenvermarktung Der VfB schafft es nicht, seine Anhänger für die internationale Bühne zu motivieren und dafür eine Begeisterung zu entfachen. Wie das funktioniert, zeigte sich im vergangenen Herbst etwa in Hannover und auf Schalke, wo schon die Vorrundenduelle in der Europa League nahezu ausverkauft waren. In Stuttgart gibt es diese positive Grundstimmung dagegen kaum, wohl auch nicht in der Vereinsführung, die seit Jahr und Tag eher Bedenken äußert. „Der Auftakt ist immer zäh und ein Zuschussgeschäft. Da wird nur das Geld gewechselt. Die Sache ist einfach schwierig“, hat der Finanzchef Ulrich Ruf im Februar 2009 gesagt – und damit sinngemäß nur das wiederholt, was von ihm und anderen Verantwortlichen beim VfB schon zuvor und auch danach zu hören war. Euphorie sieht anders aus. Zumal damit dann oft die Klage einhergeht, ob die Mannschaft die Doppelbelastung mit den Herausforderungen in der Bundesliga und der Europa League überhaupt verkrafte. In der Sache mag das zwar alles richtig sein, aber solche Aussagen erreichen die Kundschaft, die sich fragt, warum sie noch Geld für das internationale Produkt ausgeben soll, das ja der eigene Verein anscheinend selbst kritisch betrachtet. Das ist der psychologische Aspekt – die Leute wenden sich ab.

Die Erwartungshaltung In Stuttgart sind die Ansprüche traditionell sehr hoch. Der internationale Wettbewerb wird im Unterschied zu dem viel genügsameren Hannover fast schon mit der Champions League gleichgesetzt, beispielsweise auch bei den meisten Sponsoren, die mit der Europa League genauso wie die Fans nur ganz wenig anfangen können. Entsprechend gering fallen ihre Prämien dafür aus. Der VfB tut sich sogar schwer, die Bandenwerbung in der Mercedes-Benz-Arena für Spiele wie gegen Bukarest und Kopenhagen zu einem vernünftigen Preis an den Mann zu bringen. „Cup der Verlierer“ hat Franz Beckenbauer die Europa League einmal abschätzig genannt – eine Einstellung, die in Stuttgart offensichtlich ziemlich weit verbreitet ist.

Die Abnützungserscheinungen Weil der VfB seit langer Zeit quasi ein Stammgast auf der internationalen Ebene ist, steht er in der Rangliste der Europäischen Fußball-Union (Uefa) recht weit vorne und besitzt einen ziemlich hohen Koeffizienten. Deshalb gehört er bei der Gruppenauslosung zu den gesetzten Teams und kann in diesem frühen Stadium kaum auf so attraktive Gegner treffen wie jetzt beispielsweise Borussia Mönchengladbach mit Olympique Marseille. Der Alltag in Stuttgart heißt Steaua Bukarest oder FC Kopenhagen, doch solche Kaliber finden im Umfeld des VfB kaum noch Beachtung, weil Mannschaften dieser Güteklasse zuletzt schon zur Genüge zu besichtigen waren. Siehe Young Boys Bern, FC Getafe und Odense BK vor zwei Jahren, siehe Cherno More Varna oder Standard Lüttich in der Saison 2008/09, siehe NK Domzale, Rapid Bukarest oder Schachtar Donezk in der Runde 2005/06. Diese Gegner sind zur Routine geworden – und das Routinegeschäft hat in Stuttgart wenig Reiz.

Die Rahmenbedingungen Viele Fans des VfB wohnen nicht direkt in der Stadt, sondern außerhalb davon und haben eine längere Anreise vor sich, bis sie im Stadion sind. Der zeitliche Aufwand ist für sie also enorm, was sich schon immer vor allem bei den Abendspielen unter der Woche negativ bemerkbar gemacht hat. Besonders zu Buche schlägt das, wenn die Spiele wie teilweise in der Europa League erst um 21.05 Uhr beginnen. Bei den Clubs im Ruhrpott gibt es diese Erschwerniszulage dagegen praktisch nicht, da deren Einzugsgebiet wesentlich überschaubarer und begrenzter ist als jenes beim VfB.

P.S.: Am 6. Dezember kommt dann übrigens Molde FK nach Stuttgart