Der Stürmer Mario Gomez verfügt über eine enorme Abschlussqualität. Doch er muss beim VfB Stuttgart auch in Szene gesetzt werden.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Mario Gomez ist in aller Munde. Und er wird es beim VfB Stuttgart bleiben, denn trifft er, dann erfüllen sich beim Fußball-Bundesligisten mit seinen Toren viele Hoffnungen. Doch trifft er nicht, dann wird umgehend über die nicht erfüllten Erwartungen diskutiert werden. Gomez weiß das. „Die Situation ist sehr herausfordernd“, sagt der 32-Jährige, dessen Spiel schon lange von Debatten begleitet wird. Kein anderer Stürmer in Deutschland kennt deshalb die Wellenbewegungen in der Wertschätzung eines Torjägers besser als er. Mal trägt die Welle ihn nach oben, und seine beachtliche Torquote wird bestaunt. Mal drückt ihn die Welle nach unten, da bei Gomez schon nach zwei Spielen ohne Treffer die Torflaute beginnt.

 

In Stuttgart, wo er am Donnerstag den Medizincheck absolvierte, seinen neuen Vertrag bis 2020 unterschrieb und sich die künftige Trikotnummer aussuchte (es ist die 27), wird das nach seiner Rückkehr im neuen Jahr nicht anders sein. Dennoch ist der Manager Michael Reschke sich sicher, in Gomez den Abschlussstürmer geholt zu haben, den er während der Hinrunde so sehr vermisst hatte – und den er bei der Konkurrenz sah. Alfred Finnbogasson beim FC Augsburg, Sebastien Haller bei Eintracht Frankfurt, Max Kruse bei Werder Bremen. Auch Kevin Volland (Bayer Leverkusen), Mark Uth (1899 Hoffenheim) und Guido Burgstaller (Schalke 04). Von den Prachtexemplaren Robert Lewandowski, Pierre-Emerick Aubameyang, Timo Werner beim FC Bayern, Borussia Dortmund und RB Leipzig ganz zu schweigen.

Erst einen Saisontor erzielt

Nur der VfB hatte einen solchen Typen nicht zu bieten, trotz zahlreicher Chancen mehrere Spiele auf die eigene Seite zu bringen. Nun also Gomez, den viele VfB-Fans als Heilsbringer sehen und ihn nach seiner Verpflichtung kurz vor Weihnachten als „Sankt Mario“ willkommen geheißen haben. Doch der Vereinsheilige kehrt erst einmal mit nur einem Tor auf seinem Konto vom VfL Wolfsburg zurück. Am 5. November hat er es erzielt, beim 3:3 gegen Hertha BSC. Und es war ein typischer Gomez.

Aus dem Mittelfeld wurde der Ball steil und flach in den Strafraum gespielt (nicht ganz zufällig vom Ex-Stuttgarter Daniel Didavi). Bedrängt von Verteidiger Sebastian Langkamp und Torhüter Rune Jarstein war der Mann im grün-weißen Trikot schneller, ein Ballkontakt genügte ihm dann. Das ist Gomez’ Qualität: mit der ersten Ballberührung alles richtig zu machen. Gerne unterschätzt wird diese Art, Angriffe zu vollenden, da es leicht aussieht am Ende einer Passkette nur noch den Fuß hinzuhalten.

Doch Gomez ist beidfüßig, kopfballstark, noch immer dynamisch, und er verfügt über den Instinkt, dorthin zu sprinten, wo er den Fuß, die Stirn oder ein anderes Körperteil nur noch hinhalten muss. Allerdings muss der Ball auch dorthin kommen – und damit beginnt das Problem im Stuttgarter Spiel. Siehe Simon Terodde. Auch er galt als Abschlussspieler. Zunächst nur für die zweite Liga, aber nach dem Aufstieg muss dem einstigen Publikumsliebling zugutegehalten werden, dass er meist mit dem Rücken zum Tor Bälle gegen Abwehrhünen behaupten musste anstatt sie in der Box auf den Kasten zu knallen.

Welcher Spieler liefert die Vorlagen?

Weshalb sich dem spektakulären Gomez-Transfer die bange Frage anschließt, ob sich das Offensivspiel der bislang mit Toren geizenden Schwaben mit dem Promi verändert, denn Gomez braucht nicht nur ein Wohlfühlklima, wie es für ihn der geschasste Andries Jonker in Wolfsburg schaffte, um zu alter Stärke zu finden. Nur so schöpft der als sensibel geltende Nationalstürmer schließlich das Selbstvertrauen, aus der sich seine gewünschte Selbstverständlichkeit des Toreschießens ergibt.

Gomez benötigt aber ebenso einen funktionierenden Zulieferdienst. Pässe in die Tiefe, Flanken in den Rücken der Abwehr – und jemand muss ihn in Position bringen. Chadrac Akolo kann’s. Vielleicht Emiliano Insua? Berkay Özcan? Gar Takuma Asano? Oder kommt noch ein Neuer, um den Star in Szene zu setzen? Und was ist von den lange verletzten Daniel Ginczek, Anastasios Donis und Carlos Mané zu erwarten? Kein Arzt kann das voraussagen, und kein Trainer kann sie als verlässliche Größen behandeln, da zuletzt mehr ihre Fehlzeiten als ihre Tore addiert wurden.

„Donis hat in der Vorrunde nur 40 Prozent der möglichen Einsatzzeit absolviert, Ginczek 20 und Mané null“, sagt Reschke – und rechnet mit hohen Steigerungsraten. Wenngleich der Manager in dem quirligen Vorbereiter Mané nach dessen Knorpelschaden lediglich einen Faktor für die „letzten zehn Spiele“ sieht, immerhin. Aber es sind die vielen kleinen Fragezeichen, die der Trainer Hannes Wolf mit seinem Team im Kampf gegen den Abstieg noch in Ausrufezeichen verwandeln muss, ehe sich die große Frage klärt, ob Mario Gomez noch derjenige ist, der er einmal war.