Die 1:4-Niederlage gegen Werder Bremen hat endgültig bewiesen, dass die VfB-Krise alle Ebenen des Clubs erreicht hat: die Vereinsführung, den Manager, den Trainer und die Mannschaft.

Stuttgart - Der VfB Stuttgart steckt im Sog der miesen Resultate. Das lässt sich leicht an der Tabelle ablesen, wo der Fußball-Bundesligist auf den 14. Platz abgerutscht ist. Doch das 1:4 gegen Werder Bremen bedeutet nicht nur die fünfte Liganiederlage nacheinander, es dokumentiert vor allem die verfahrene Situation: Der Trainer Bruno Labbadia und der Manager Fredi Bobic müssen weit mehr als eine Ergebniskrise moderieren. Denn eine Reihe von Spielern wähnen sich persönlich in höheren Sphären, liefern permanent aber Fehlleistungen ab. So ist nicht nur die Mannschaft verunsichert, sondern das Publikum auch verprellt. Und der Vorstand rückt zusehends in das Visier der enttäuschten Fans. Eine Bestandsaufnahme.

 

Der Trainer

Bruno Labbadia ist erst einmal froh. Froh darüber, dass schon bald die nächste Aufgabe ansteht. Am Donnerstag erwartet der VfB den KRC Genk – nicht nur ein anderes Spiel, sondern vor allem ein anderer Wettbewerb. In der Europa League, so hofft der Trainer, soll das Team frischen Mut für die nationale Liga schöpfen. Denn alle Analyseansätze Labbadias enden stets am gleichen Punkt: „Es fehlt an Selbstvertrauen.“

Gegen Bremen gerieten die Gastgeber schon mit dem ersten ernsthaften Werder-Angriff aus dem Tritt (ein Pfostenschuss von Kevin de Bruyne/24.), verloren Struktur und Linie. „Wir befinden uns in einer Phase, in der schon Kleinigkeiten reichen, um uns zurückzuwerfen“, sagt der Trainer. Dass sich der VfB dabei seit Rückrundenbeginn eine Reihe von folgenschweren individuellen Fehlern leistet, macht Labbadia die Arbeit nicht leichter. Es bringt ihn sogar zunehmend in Erklärungsnot, weil er es nicht schafft, die Defensive und damit das ganze Team zu stabilisieren. 39 Gegentore sind Ausdruck dieser Misere, nur die TSG 1899 Hoffenheim ist noch schlechter und Hannover 96 gleich schlecht.

Jetzt ist der Trainer gefordert

Allerdings gelingt es dem VfB auf der anderen Seite auch nicht, aus seinen Chancen viel zu machen – was zu einer Grundsatzfrage führt: Für welchen Fußball steht die Labbadia-Elf im Moment eigentlich? Kompakter Defensivfußball kann es nicht sein, da es dem Naturell des Trainers widerstrebt und allein durch die vier Bremer Treffer widerlegt wird. Konzeptioneller Offensivfußball ist es auch nicht, weil sich gar keine spielerische Entwicklung mehr feststellen lässt. Und effektiver Ergebnisfußball wie in den erfolgreichen Labbadia-Tagen wird auch nicht mehr praktiziert, da die Resultate nicht stimmen.

„Ich kann jetzt aber nicht alles verändern“, sagt der Trainer vor dem nächsten Bundesligaspiel – am Sonntag beim Abstiegskandidaten Hoffenheim. Ein weiteres Schlüsselspiel, in dem Labbadia eine Schlüsselpersonalie bleibt. Vor knapp zwei Wochen wurde dessen Vertrag in der Überzeugung bis 2015 verlängert, der Zeitpunkt der Unterschrift sei nicht so wichtig, weil die Mannschaft keinen zusätzlichen Schub benötige. Doch jetzt ist der Trainer gefordert, alleine neue Impulse zu setzen.

Die Mannschaft

Die Mannschaft

Tribünenbesucher fragten sich am Samstag, ob der VfB wohl höher verloren hätte, wenn das ein oder andere junge Eigengewächs wie Raphael Holzhauser, Antonio Rüdiger oder Rani Khedira mitgespielt hätte. Aber das ist offenbar nicht der Stuttgarter Weg, wie er gelebt wird. Sondern?

Auf dem Platz steht ein bunter Mix aus Nationalspielern und Ex-Nationalspielern aus vieler Herren Länder. Dass sie ein gemeinsames Ziel verfolgen, ist kaum ersichtlich – so wenig wie dass sie den Ernst der Lage erkannt haben. Das behaupten sie zwar, aber zwischen dem, was sie sagen, und dem, was sie tun, liegen oft Welten. Die amateurhaften Fehler lassen zumindest den Verdacht zu, dass Sorglosigkeit und Selbstüberschätzung die Auslöser dafür sind. Dieser Virus steckt im Team und kommt immer wieder zum Vorschein.

Der andere Virus hört auf den Namen Verunsicherung und bricht auch regelmäßig durch. Denn die Spieler kennen die Haltung ihres Trainers Bruno Labbadia und des Managers Fredi Bobic, die seit längerer Zeit darüber klagen, dass der VfB finanziell zu wenig riskiert und zu wenig Geld für Verstärkungen bereitstellt. Das können die vorhandenen Spieler so verstehen, dass sie eigentlich nicht gut genug sind und nur deshalb im Kader stehen, weil sich der Club keine besseren Leute leisten kann.

Beide Viren sind in etwa gleich gefährlich. Wie sie zu kurieren sind, ist ungewiss. „Man merkt, dass wir mental angeschlagen sind“, sagt der Innenverteidiger Georg Niedermeier, „wir müssen uns jetzt auf die einfachen Dingen konzentrieren.“ Aber selbst diese einfachsten Dinge funktionieren nicht. Deshalb steht der VfB am Abgrund. „Schlechter geht es nicht“, sagt der Kapitän Serdar Tasci zu der Partie gegen Bremen.

Der Manager

Der Manager

Der Frust hat an diesem kalten Nachmittag in der Mercedes-Benz-Arena ein Gesicht – das von Fredi Bobic. Der Manager steht im Presseraum und schüttelt ratlos den Kopf. Dann fragt er die Reporter, ob es überhaupt noch Fragen gibt. Er könnte darauf gut verzichten, da er weiß, dass der Niedergang ohnehin kaum zu erklären ist. Schlüssige Antworten sind jedenfalls nicht in Sicht.

Bobic ist jetzt seit zweieinhalb Jahren im Amt. In dieser Zeit hat sich die Mannschaft nach und nach von einem Spitzenteam zu einer Durchschnittstruppe zurückentwickelt. Nun muss der VfB aufpassen, dass er nicht ganz nach unten durchgereicht wird. Bobic ist in diesem Zug zu einem lupenreinen Krisenmanager geworden, der nicht gestaltet, sondern nur den Mangel verwaltet und Schadenbegrenzung betrieben hat – mal besser, mal schlechter. Gerade ist alles mal wieder schlechter, sehr schlecht sogar.

Fredi Bobic wirkt angefressen

Das kann Bobic nicht verbergen. Er ist bleich und wirkt angefressen. „Wir liegen jetzt im Dreck und müssen uns da rausziehen. Das wird ein brutal harter und schwerer Prozess“, sagt er, um danach konkreter zu werden: „Wir müssen nun erst mal schauen, dass wir auf 40 Punkte kommen.“ 40 Punkte reichen normalerweise für den Klassenverbleib. Im Augenblick hat der VfB 25 Zähler. 15 Punkte fehlen also noch. Das heißt, Bobic ruft vor der Partie am Sonntag beim Leidensgenossen 1899 Hoffenheim offiziell den Abstiegskampf aus. „Wir sollten nicht so arrogant sein und denken, das geht von alleine“, sagt er.

Solche Sätze sind so ziemlich das Einzige, das er noch dazu beitragen kann, um das Allerschlimmste zu verhindern. Andere Patronen hat Bobic verschossen. Weil die Transferliste geschlossen ist, kann er bis zum Sommer keine neuen Spieler mehr verpflichten. Den Trainer kann er auch schlecht austauschen, nachdem er den Vertrag mit Bruno Labbadia erst vor zwölf Tagen verlängert hat. Da war die Krise schon in vollem Gange. Würde sich Bobic jetzt von Labbadia distanzieren, müsste er selbst einen Fehler eingestehen – der womöglich große Folgen hätte.

Was bleibt, sind Sätze, die wie Durchhalteparolen klingen. „Wir müssen die Jungs aufbauen“, sagt Bobic. Oder: „Wir müssen schnell Selbstvertrauen tanken.“ Oder: „Wir müssen die vielen individuellen Fehler abstellen.“

Vereinsführung und Fans

Vereinsführung und Fans

Was die Cluboberen des VfB schon vor dem Anpfiff gegen Werder zu sehen bekamen, kann ihnen nicht gefallen haben. Viele Sitze in der Arena blieben leer. 41 200 lautete die Zuschauerzahl bei einem Fassungsvermögen von 60 000. Das Bild der Untertürkheimer Kurve erinnerte an triste Europa-League-Spiele. So wird immer deutlicher, was zunächst nicht zu greifen war: Das Publikum wendet sich ab – und bei den Anhängern, die da sind, kippt die Stimmung.

Nach dem 1:3 durch Mehmet Ekicis Freistoß (74.) hatten auch die treuesten Fans in der Cannstatter Kurve genug. Sie schrien: „Wir haben die Schnauze voll“ und „Bruno raus“ – am eindringlichsten aber „Vorstand raus“. An der Vereinsführung wird die Krise ebenso festgemacht wie am Trainer und der Mannschaft. Schließlich trägt der Vorstand samt dem Aufsichtsrat die Gesamtverantwortung. Und das Gefühl der Anhänger, dass Gerd Mäuser und Co. mit ihrer rigiden Sparpolitik die falsche Richtung weisen, nährt die Zweifel an der sportlichen Entwicklung.

Der Stuttgarter Weg ist ein Tabuthema

Kurzzeitig war während des Spiels ein bemerkenswertes Plakat zu sehen: „Der Stuttgarter Weg? Verlaufen?!?“ Das kann vor allem dem Präsidenten nicht gefallen haben. Denn Mäuser spricht gerne über den Stuttgarter Weg, zuletzt bei der Vertragsverlängerung von Trainer Bruno Labbadia am 30. Januar. Wie dieser Weg aussehen soll, weiß jedoch niemand. Über den Hinweis auf die jungen Wilden gehen die Erklärungen nicht hinaus. Und als die Rede am 30. Januar auf die schlechte Stimmung im Umfeld des Clubs kam, konterte Mäuser das mit dem Bemerkung, dass daran ja auch die Medien schuld seien.

Dass die neue Generation an VfB-Talenten gegen Bremen versammelt auf der Bank saß, stellt dabei im Augenblick aber nur einen Randaspekt dar. Irritierender scheint, dass der Verein Geld in auswärtige Nachwuchsspieler (Federico Macheda, Alexandru Maxim) investiert. Im Einzelfall mögen die Verpflichtungen sogar nachvollziehbar sein, eine Gesamtstrategie für die Personalentwicklung sehen viele Fans dahinter aber nicht. Doch der Präsident delegiert sämtliche Fragen zur sportlichen Ausrichtung an den Manager Fredi Bobic. Eine Instanz, die ihn und Labbadia kontrolliert, existiert im Verein nicht. Auch der Aufsichtsratschef Dieter Hundt hat sich zuletzt nicht äußern wollen und darauf verwiesen, dass er für das operative Geschäft nicht zuständig sei.

Gemein ist Mäuser und Hundt ebenso, dass sie ausgiebig auf die Bilanzen schauen. Der Verlust im Geschäftsjahr 2012 wird bei zehn Millionen Euro liegen, doch das beruht auch auf buchhalterischen und steuerlichen Details und nicht auf Verschwendungssucht. Die Liquidität des VfB ist davon nicht betroffen. Was bleibt, ist vorerst aber dennoch nur ein Stuttgarter Weg, der in doppelter Hinsicht nach unten führt.