Bruno Labbadia ist seit fast genau einem Jahr Trainer beim VfB Stuttgart - und hat das Team im letzten Moment vor dem Abstieg bewahrt.

Stuttgart - Es sind nicht die schlechtesten Momente im Leben von Bruno Labbadia, in denen er sich wie ein ganz normaler Fußballfan fühlen darf. Dann setzt er sich, wie am Mittwochnachmittag, in sein Auto und fährt Richtung Süden. Er macht in Freiburg eine Vesperpause, fährt weiter in die Schweiz und staunt am Abend darüber, wie der FC Basel Manchester United aus der Champions League kegelt. Labbadia sitzt dann einfach nur auf der Tribüne und muss sich nicht einmal Notizen machen, weil die Königsklasse momentan sehr weit entfernt ist von seinem Aufgabenbereich als Trainer des VfB Stuttgart.

 

Bruno Labbadia wertet es als persönliche Weiterentwicklung, dass er sich inzwischen solche Ausflüge genehmigt, er sagt: "Ich habe gelernt, mich auch einmal rauszunehmen und nur 98 Prozent zu geben. Vorher habe ich immer gedacht, es müssten 100 sein." Und wahrscheinlich ist es auch ein Beleg der inneren Zufriedenheit, von der der Fußballtrainer gegen Ende eines denkwürdigen ersten Jahres in Stuttgart erfüllt ist: "2011 war ein erfolgreiches Jahr", sagt Labbadia schon vor dem Spiel am Sonntag gegen den FC Bayern, und auch eine Niederlage würde an diesem Urteil wenig ändern. "Schließlich lag der Verein auf der Intensivstation, als ich hier begonnen habe."

Labbadia hat vieles gelernt im ersten Jahr

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Labbadia seinen Dienst beim VfB angetreten hat und schon beim Landeanflug nach Stuttgart "ein heftiges Grummeln in der Magengegend" verspürte. Er sollte den Verein vor dem Absturz in die zweite Liga bewahren - und merkte schnell, dass ihn das Bauchgefühl nicht getrogen hatte. Mit elf Gegentoren in zwei Spielen gegen die Bayern verabschiedete sich sein Team in die Winterpause, zwölf Punkte auf dem Konto, der ganze Club ergriffen von der Panik, aus der Bundesliga abzusteigen.

Nicht nur der Verein, auch Labbadia selbst hatte bei seinem Dienstbeginn nicht mehr viele Trümpfe in der Hand. Von seiner letzten Chance war die Rede, nachdem er zuvor in Leverkusen und Hamburg unter jeweils größerem Getöse vorzeitig gegangen war. Er selbst hat dieser Lesart zwar stets energisch widersprochen und standhaft versichert, es gehe nicht um ihn. Als der Klassenverbleib aber geschafft war, nach dem Sieg gegen Hannover am vorletzten Spieltag, da wurde auch Labbadia von einem Glücksgefühl ergriffen, "wie ich es nie zuvor in meiner Karriere erlebt habe".

Bruno Labbadia, der zuvor als Trainer einen Abstiegskampf noch nicht erlebt hatte, hat vieles gelernt in diesem ersten halben Jahr. Die vielleicht wichtigste Lektion war jene, Geduld zu haben und die eigenen Ansprüche zurückzustellen, was nicht einfach ist für einen, der so ehrgeizig ist wie der Italohesse. Als Freund des gepflegten Offensivfußballs hatte sich der Trainer vorgestellt - und spürte rasch, "dass ich meine Mannschaft damit ins Verderben schicke". Also zählten in der Vorsaison allein das Ergebnis. Und auch in diesem Jahr ist der VfB ziemlich weit von jener Art des Fußballs entfernt, den ihr Trainer gerne sehen würde - ein Fußball, der mit dem vorhandenen Kader nur in den allerbesten Momenten möglich scheint.

VfB hat sich Sparkurs verordnet

Der VfB ist zwar ordentlich in die neue Runde gestartet, in dem einen oder anderen Spiel hatte Labbadia sogar "das Gefühl, dass wir dabei sind, die nächste Stufe zu nehmen". Die Rückschläge folgten aber prompt. "Wir müssen ganz kleine Schritte gehen", sagt der 45-Jährige und ahnt, dass es wohl längere Zeit dauern wird, bis der Verein wieder dort mitmischen kann, wo er sich selbst sieht: möglichst weit oben.

Einen Sparkurs hat sich der VfB verordnet und ist mittendrin, die Altlasten abzuarbeiten aus einer Zeit, als das Geld mit beiden Händen ausgegeben wurde. Labbadia beklagt sich nicht darüber, wenn Christian Träsch oder Bernd Leno verkauft werden; und nur ganz leise murrt er, wenn der Erlös nicht für neue Kräfte zur Verfügung steht: "Wir müssen aufpassen, dass die Kluft zu den Mannschaften vor uns nicht zu groß wird." Dort werde weiterhin kräftig investiert - "und das, was bei uns ein Königstransfer ist, ist bei anderen die Verpflichtung eines 18-Jährigen aus der zweiten Liga".

Verein und Öffentlichkeit müssen Geduld aufbringen

Den Kurs des VfB findet Labbadia dennoch "prinzipiell nicht unsympathisch", er ist bereit, den eingeschlagenen Weg mitzugehen. Allerdings nur unter einer Bedingung: dass auch der Verein und die Öffentlichkeit Geduld aufbringen, die Ansprüche senken und nicht zuletzt dem Trainer bedingungslos vertrauen.

"Fast schon als Beleidigung" empfindet es Labbadia, wenn ihm unterstellt wird, er setze nicht auf den eigenen Nachwuchs. Das Gegenteil sei der Fall, "doch wenn ich das Gefühl habe, dass einer noch nicht so weit ist, dann erwarte ich, dass man mir das auch glaubt". Nicht jeder sei nun einmal ein neuer Götze, manche brauchten einen längeren Reifeprozess.

Davon überzeugt sich Bruno Labbadia übrigens regelmäßig persönlich, wenn er sich nicht nur die Spiele der zweiten VfB-Mannschaft, sondern auch jene der Junioren anschaut. Allerdings könnte es sein, dass sich auch diese Besuche im Nachhinein als Privatvergnügen entpuppen, genau wie das Champions-League-Spiel in Basel: "Irgendwann bin ich nicht mehr hier, und dann ernten andere die Früchte."

Die Punkteausbeute Labbadias

Retter: Der ehemalige Stürmer Bruno Labbadia betreut den VfB Stuttgart inzwischen seit 33 Bundesligaspielen als Trainer. 15 von ihnen gewannen die Stuttgarter, bei elf Niederlagen und sieben Unentschieden (insgesamt 52 Punkte). In der Rückrunde der vergangenen Saison brachten es die abstiegsbedrohten Schwaben auf durchschnittlich 1,67 Punkte unter dem Coach aus Hessen - dies bedeutete den Klassenverbleib für die Stuttgarter.

Stationen: Bei seiner vorigen Bundesligastation Hamburger SV kam Labbadia in 32 Begegnungen auf zwölf Siege, acht Niederlagen und zwölf Unentschieden (48 Punkte) - das entspricht beinahe der gleichen Quote wie beim VfB. Bei seinem ersten Bundesligisten in Leverkusen siegte das Team des Darmstädters in 34 Partien 14-mal, bei 13 Niederlagen und sieben Unentschiedenen (49 Punkte) - die schlechteste Bilanz des Trainers in der ersten Liga.