Der neue Trainer Markus Weinzierl spricht im Interview über sein Kredo, die körperliche Verfassung der Mannschaft des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart – und er verrät, wie er seine Auszeit vor dem Einstieg in Stuttgart genutzt hat.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Während für die ausländischen Profis des kriselnden Bundesligisten VfB Stuttgart parallel Deutschunterricht auf dem Programm steht, spricht ihr neuer Trainer Markus Weinzierl im Raum nebenan auf der Geschäftsstelle über die fußballerischen Inhalte, die er ihnen vermitteln möchte. „Man muss die Aggressivität und Intensität schon im Training sehen, das ist meine Überzeugung“, sagt der 43-Jährige vor dem Heimspiel an diesem Freitagabend (20.30 Uhr) gegen Eintracht Franktfurt.

 

Herr Weinzierl, in Stuttgart kursieren mal wieder Witze über die Schwierigkeit eines neuen VfB-Trainers, eine Wohnung zu finden. Wie läuft denn Ihre Suche, sind Sie mittlerweile schon fündig geworden?

Nein, ich bin noch im Hotel. Das habe ich in Schalke aber auch erlebt, selbst in Augsburg gab es am Anfang diesen Spruch. Das ist im Trainergeschäft mittlerweile bei vielen Vereinen normal.

Sie kennen Stuttgart aus Ihrer Zeit bei den Kickers von 1999 bis 2001. Welche Veränderungen in der Stadt haben Sie wahrgenommen?

Viele Baustellen gibt es. Ansonsten ist die Stadt sehr schön und angenehm. Es gibt viele nette Leute und eine schöne Innenstadt. Meine Erinnerungen waren positiv, und das hat sich bestätigt.

0:4 gegen Borussia Dortmund, 0:4 bei 1899 Hoffenheim – sportlich haben Sie sich Ihren Start in Stuttgart sicher anders vorgestellt.

Klar wünscht man sich als Trainer einen besseren Einstand. Aber die Einstandssituation war auch nicht gerade trainerfreundlich: Tabellenletzter, viele Verletzte und Dortmund sowie Hoffenheim als nächste Gegner. Wir wussten um die Schwere der Aufgabe, und die hat sich leider bestätigt. Aber abgerechnet wird zum Schluss. Es muss besser werden – und wird besser werden.

In Schalke sind Sie mit fünf Niederlagen gestartet, beim FC Augsburg standen Sie in Ihrer ersten Saison mit nur neun Punkten nach der Hinrunde da. Beide Male bekamen Sie die Kurve. Sie müssten also ein Experte in so einer Situation sein.

Ich habe schon viele solcher Phasen positiv durchlebt. Ich kann den Vergleich mit dem Start in Schalke aber nicht mehr hören. Man muss nämlich dann die Geschichte auch ganz erzählen: dass wir in Schalke anschließend 13 Spiele nacheinander nicht mehr verloren haben und zum Schluss Tabellenzehnter waren und kurz vor dem Halbfinale im Europapokal. Genauso könnte man anführen, dass ich in Augsburg die ersten Spiele auch nicht gewonnen habe und wir nach neun Punkten an Weihnachten im ersten Jahr direkt in der Liga geblieben sind und drei Jahre später in Liverpool in der Zwischenrunde der Europa League ausgeschieden sind. Das sind Statistiken, die man drehen und wenden kann. Das ist für mich vergessen und vorbei. Es ist der VfB Stuttgart, der mich interessiert. Den Start müssen wir jetzt in den nächsten Wochen korrigieren.

Es geht einzig und allein um den Klassenverbleib

 

Wie groß ist die Diskrepanz von dem, was Sie hier in der täglichen Arbeit mit den Spielern erleben und dem, was Sie im Vorfeld von der Mannschaft gesehen hatten – deckt sich das mit Ihren Erwartungen?

Dass die Mannschaft Probleme hat, sieht man ja allein an der Tabelle. Das hat sich in den ersten Spielen auch bestätigt. Wir sind dabei, Dinge aufzuarbeiten. Es geht jetzt nur über Zusammenhalt, über Zweikampfstärke, über Laufstärke, über Mentalität – das ist für mich der klare Weg, da raus zu kommen und sich so die Erfolgserlebnisse zu erarbeiten. Dann wird auch das spielerische Element wiederkommen. Die Mannschaft muss ans Limit gehen, um Spiele zu gewinnen. Das hat sich jetzt auch bestätigt, wir waren nicht am Limit, individuell haben wir uns nicht immer 100-prozentig gut angestellt. Daran arbeiten wir, da haben wir angesetzt.

Was sind dabei für Sie die Kernpunkte?

Erst einmal das Bewusstsein zu schaffen, in welcher Situation der VfB steckt. Dass man viele Punkte liegen gelassen hat und dass das nicht von ungefähr kommt. Es ist ein schwieriger Ist-Zustand. Wir können uns sicher nicht von unten raus kombinieren, sondern müssen uns raus arbeiten – das ist der Ansatzpunkt. Ich glaube auch nicht, dass die Jungs meinen, dass sie in der vergangenen Rückrunde alle Gegner an die Wand gespielt haben. Ich habe damals mehrere Spiele auch im Stadion gesehen, nach denen ich nach Hause gefahren bin und gedacht habe: Naja, das hätte jetzt auch anders ausgehen können. Das habe ich auch angesprochen.

Was ist Ihr Ziel bis zur Winterpause – 20 Punkte zu erreichen bis dahin, wird wohl schwierig?

Es macht keinen Sinn, da jetzt Zielvorgaben auszugeben. Es wird nicht an Weihnachten abgerechnet, sondern im Mai. Wir brauchen schnellstens ein Erfolgserlebnis, am besten einen Sieg gegen Frankfurt. Für mich ist auch klar, wie man eine Saison ganz grundsätzlich angeht. Es sind immer drei Phasen. Die erste Phase ist der Start, gut in eine Saison reinzukommen. Die Zweite ist für mich immer: Ich brauche 40 Punkte, um in der Liga zu bleiben. Und dann, wenn ich noch Spiele zur Verfügung habe, kann ich sagen: Ich will mehr. Wenn ich den Start wie wir in den Sand setze, brauche ich mir keine Gedanken mehr über etwas Anderes zu machen. Dann geht es darum, so schnell wie möglich den Klassenverbleib zu sichern. In dieser Situation sind wir.

Hohe Intensität im Training für mehr Power im Spiel

Haben Sie den Eindruck, dass die Mannschaft körperlich in der Verfassung ist, um 90 Minuten aggressiv und mit Dampf spielen zu können?

Das muss das Ziel sein. Das muss jede Bundesligamannschaft können, denn sonst wird es eng.

Manchmal wirkt es so, als ob da beim VfB von der Intensität her etwas fehlt?

Wenn Sie die letzten Tage im Training zugeschaut haben, dann arbeitet die Mannschaft mit viel Intensität.

Aber in den Spielen sah es anders aus.

Klar hat die Mannschaft da auch Luft nach oben. Aber ich habe in Hoffenheim die beste erste Halbzeit des VfB in dieser Saison gesehen. Wir brauchen diese Leistung über 90 Minuten und zu elft!

Sprich, das ist auch ein Schwerpunkt Ihrer Trainingsarbeit, in Sachen Ausdauer und Fitness mehr herauszuholen?

Ich glaube, dass man so spielt, wie man trainiert. Man muss die Aggressivität und Intensität schon im Training sehen, das ist meine Überzeugung.

Reflektion über das eigene Tun in der Auszeit

Ihr Kollege Manuel Baum aus Augsburg hat kürzlich erzählt, dass er eine 100-Stunden-Woche hat als Bundesligatrainer. Ist Ihr Arbeitspensum in Stuttgart auch so hoch, wie sieht Ihre Woche aus?

Ich habe keine Zeit, meine Stunden in der Woche zu zählen (schmunzelt). Im Endeffekt investiert man tagtäglich alles, um am Wochenende das Spiel zu gewinnen.

Sie kommen aus einer knapp eineinhalb Jahre langen Auszeit, wie haben Sie die Pause für sich persönlich genutzt?

Ich glaube, dass diese Phase für mich unheimlich wertvoll war, einfach um zu reflektieren und meine Arbeit zu hinterfragen. Es waren davor neun Jahre am Stück, in denen ich mich tagtäglich in meiner Umgebung bewegt habe und wenig Input von außen bekommen habe, weil das zeitlich auch gar nicht möglich war. Wenn du tagtäglich in deinem Rad so drin bist - das war vier Jahre in Regensburg so, vier Jahre in Augsburg und ein Jahr dann in Schalke -, hast du keine Zeit zu schauen, was andere machen oder wie es andere machen. In den letzten Monaten habe ich das intensiv getan und mir Gedanken gemacht, was gut und was schlecht war. Deshalb war das für mich und meine Trainingsarbeit sehr wertvoll. Privat sowieso. Und nach so langer Zeit den Akku aufzuladen und wieder das Feuer für eine Aufgabe zu haben, war für mich elementar.

Können Sie Erkenntnisse verraten, die Sie gewonnen haben?

So viele Seiten hat Ihre Zeitung, glaube ich, nicht frei (lächelt).

Es ist ein umfangreiches Interview, also nur zu. Wo haben Sie denn Fehler gefunden?

Ich habe nicht gesagt, dass ich jemals einen Fehler gemacht habe – man darf ja öffentlich nie Fehler zugeben (lacht). Aber eines ist ja klar: Wenn du neun Jahre am Stück im Alltag drin und immer im Stress bist, dann entwickelst du dich nur durch das Erlebte weiter. Durch Gespräche mit anderen Trainern oder Hospitanzen bei anderen Vereinen lernt man immer etwas, selbst wenn du erkennst, dass dir etwas nicht gefällt und du das so nicht haben möchtest.