Bochum, ich komm’ aus dir: Wenn der VfB Stuttgart am Montag beim VfL antritt, ist der Song von Herbert Grönemeyer wieder zu hören. Gänsehaut ist garantiert – doch was steckt eigentlich hinter der Kulthymne?

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Bastian Schweinsteiger ist ein weit gereister Mann, der ehemalige Star des FC Bayern München hat wohl in jedem großen Stadion gekickt, wahrscheinlich auch in jeder größeren Arena. Das kleine, enge, gar nicht piekfeine Bochumer Ruhrstadion an der Castroper Straße aber blieb für den Weltmeister von 2014 stets einzigartig. Es verschaffte ihm jedes Mal Gänsehaut. Warum? Darum:

 

Tief im Westen

Wo die Sonne verstaubt

Ist es besser

Viel besser, als man glaubt

Tief im Westen

Tief im Westen.

Bastian Schweinsteiger hörte diese Zeilen wie alle anderen Profis im Spielertunnel, kurz vor dem Anpfiff. Dann, wenn die Hymne gespielt wird. Herbert Grönemeyers Hymne.

Bochum! Ein Song. Eine Stadt. Ein Statement.

Der FC Liverpool und Celtic Glasgow haben „You’ll never walk alone“.

Bochum hat Bochum.

„Bastian Schweinsteiger hat mir mal gesagt, es habe ihn total begeistert, dass schon im Spielertunnel im Ruhrstadion das Lied liefe“, sagt der Kultsänger Herbert Grönemeyer: „Für mich ist es nach wie vor irre, wenn das Stadion den Song vor dem Anpfiff singt, das ist klasse.“

Auch an diesem Montagabend, kurz vor 20.30 Uhr, wird es wieder so weit sein. Dann, wenn der VfB Stuttgart in der zweiten Liga beim VfL antritt. Und aus den Boxen Champions-League-Würdiges dröhnt. Wenn der Chor der Ostkurve draußen die Spieler aus dem Tunnel empfängt: Tief im Weeestöööhn-öööhn-öööhn-ööööhn. Tief im Weeestöööhn-öööhn-öööhn-ööööhn.

Du bist keine Schönheit

Vor Arbeit ganz grau

Du liebst dich ohne Schminke

Bist ’ne ehrliche Haut

Leider total verbaut

Aber gerade das macht dich aus.

Am 11. Mai 1984 kam Grönemeyers Album „4630 Bochum“ in die Plattenläden. Der Eröffnungssong des Albums ist mittlerweile auch so etwas die inoffizielle Stadthymne. Das Stadionlied ist es längst. Das Ritual im blau-weißen Schal- und Fahnenmeer setzt nach dem Verlesen der Aufstellungen ein. Bochum singt Bochum. Gänsehaut pur. Nicht nur bei Bastian Schweinsteiger.

Erasmus-Studierende in der Stadt lernen bei Willkommensveranstaltungen oft erst den Refrain, bevor sie „Hallo“ und „Auf Wiedersehen“ sagen können und tragen diese Botschaft in die Welt: „Bochum, ich komm‘ aus dir! Bochum, ich häng‘ an dir!“

Du hast ‚n Pulsschlag aus Stahl

Man hört ihn laut in der Nacht

Du bist einfach zu bescheiden

Dein Grubengold

Hat uns wieder hochgeholt

Du Blume im Revier

Bochum, ich komm’ aus dir

Bochum, ich häng’ an dir

Oh, Glück auf, Bochum.

Als Grönemeyer den Song schrieb, war er schon nach Köln gezogen, das erzählte er mal Christoph Amend für dessen Buch „Wie geht’s dir, Deutschland?“ Der Autor vermutete: „Manchmal braucht man Distanz, um zu verstehen, woher man kommt, wer man ist und warum.“

Im Bochumer Ruhrstadion schafft der Song Nähe. „Bochum“ lief das erste Mal im Jahr 1992 beim Lokalderby gegen die SG Wattenscheid 09 über die Lautsprecher. Die Premiere ging aus VfL-Sicht daneben. 1:1 endete das innerstädtische Erstliga-Duell gegen den kleinen Stadtteil-Nachbarn. Frank Hartmann (Eigentor) und Frank Langbein (SG 09) schossen die Tore.

Du bist keine Weltstadt

Auf deiner Königsallee

Finden keine Modenschaun statt

Hier, wo das Herz noch zählt

Nicht das große Geld

Wer wohnt schon in Düsseldorf

Bochum, ich komm’ aus dir

Bochum, ich häng’ an dir

Oh, Glück auf, Bochum

Auch Herbert Grönemeyers Premiere geht daneben. Als er als Zuschauer zum ersten Mal vor einem Spiel live dabei war, als die Bochumer Ostkurve seine Hymne schmetterte, brachte er kein Glück. Es war in der Saison 2006/07. Es war beim Heimspiel gegen Werder Bremen. Es war ein Desaster. Bester Stimmung nahm er die VfL-Ehrenmitgliedschaft entgegen und streifte ein 4630-Trikot über den Leib. Gänsehaut pur, als der Edelfan den „Bochum“-Chor in der Kurve dirigierte. Blöderweise spielte die Mannschaft nicht mit. Der VfL verlor vor den Augen von Herbert Grönemeyer mit 0:6.

Später wurde es besser – etwa, als Grönemeyer im April 2019 vor dem Heimspiel gegen Greuther Fürth seine Hymne sang. Später gewann der VfL mit 3:2. „Das war ein Gänsehaut-Moment auf dem Stadionrasen. Ich hätte nie gedacht, dass dieser Song hier so eine Entwicklung nimmt“, sagte Grönemeyer hinterher. „Ich war damals froh, ein paar schöne Zeilen geschrieben zu haben und plötzlich hat es sich auch zur Vereinshymne entwickelt.“ Auch, weil der VfL darin jeden Gegner nass macht:

Du bist das Himmelbett für Tauben

Und ständig auf Koks

Hast im Schrebergarten deine Laube

Machst mit ‚nem Doppelpass

Jeden Gegner nass

Du und dein VFL

Dabei ist Grönemeyer kein Bochumer. Am 12. April 1956 wird er als jüngster von drei Brüdern in Göttingen geboren, seine Eltern kommen aus Clausthal-Zellerfeld. Als Kleinkind aber schon geht es für Grönemeyer nach Bochum, wo er dann aufwächst und 1975 Abitur macht. Wo er zunächst Theater spielt und unter Pina Bausch tanzt. Wo er dann als junger Sänger miterleben muss, wie seine ersten Alben floppen. Bis es 1984 mit „4630 Bochum“ zum Durchbruch kommt.

Alkohol. Männer. Flugzeuge im Bauch. Mambo. Und: Bochum. Echte Hymnen.

Aber warum überhaupt „Bochum“? „Ich hatte damals bloß nach Themen gesucht, über die ich singen konnte“, sagt Grönemeyer über die Entstehung seines Songs: „Und in Bochum kannte ich mich eben aus.“

So einfach. So hymnisch.

Bochum, ich komm’ aus dir

Bochum, ich häng’ an dir

Oh, Glück auf

Bochum, ich komm’ aus dir

Bochum, ich häng’ an dir

Der VfL Bochum, einst die Unabsteigbaren in der ersten Liga, kämpft gegen den Abstieg. In der zweiten Liga. „Dann sind die Menschen im Ruhrgebiet natürlich knackig“, sagte Grönemeyer mal über die immer wiederkehrenden sportlichen Talsohlen des VfL: „ Ich kenne das von meinen Konzerten: Da schaut man mich auch immer an und fragt sich: ‚Ist er noch der Alte?‘ Da muss man dann liefern und auch mal richtig losmarschieren.“

Oh, Glück auf

Oh, Glück auf

Oh, Glück auf

Bochum!