Anna-Victoria Bognár steht seit wenigen Wochen an der Spitze der Gerlinger Volkshochschule. Ihre eigene Vita leitet sie, allen eine Chance geben zu wollen – und zu können. Jeder soll die Möglichkeit dazu bekommen, die eigenen Talente zu entdecken.
Von wegen. Anna-Victoria Bognár spricht diese Worte nicht aus, vermutlich zieht sie nicht einmal so eine trotzige Reaktion in Betracht. Sie setzt weitaus Stärkeres dagegen, wenn sie mit Klischees aufräumen, eingefahrene Sichtweisen aufbrechen, vor allem aber Erwachsenen und Kindern eine Chance geben will, an der Vielfalt des Lebens teilhaben zu können: Anna-Victoria Bognár setzt auf Fakten – und handelt. Freundlich, zurückhaltend, gleichwohl selbstbewusst erzählt die 40-Jährige, wie es dazu kam, dass sie nun die Gerlinger Volkshochschule leitet und was sie antreibt.
In Thüringen wurde sie geboren, in Bayern machte sie ihr Abitur und studiert hat sie an der Uni des Saarlandes Historisch orientierte Kulturwissenschaften und Betriebswirtschaftslehre. Für ihre Doktorarbeit kam sie nach Stuttgart und widmete sich den Architekten der Frühen Neuzeit, ehe sie für zwei Jahre nach Gießen wechselte und als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt „Glas. Material, Funktion und Bedeutung in Thüringen 1600 bis 1800“ tätig war. Von dort wiederum fand die Wissenschaftlerin ihren Weg zur Volkshochschule. „Ich hatte Grundlagenforschung gemacht und wollte nun näher an den Menschen sein.“ Dass sie in Gießen mit Museumspädagogik für Kinder zu tun hatte, trug dazu bei, dass sie fortan sowohl Kindern als auch Erwachsenen Lust auf Bildung machen wollte.
„Chancen für alle: Talente entdecken und stärken"
Gleichwohl geht es der Nachfolgerin des Richtung Hannover gewechselten Markus Fink nicht allein darum, zielgruppenorientiert Wissen zu vermitteln. Sie will dazu beitragen, dass sich Kinder wie Erwachsene ihrer Stärken bewusst werden, beziehungsweise überhaupt die Möglichkeit dazu bekommen, ihre Talente zu entdecken. Wann und wo, so fragt Bognár, hätten Kinder die Möglichkeit, ich auszuprobieren, wenn die Ganztagsschule keine Zeit mehr lässt für Freizeitaktivitäten? Es wäre ihr Wunsch, die VHS könnte sich bei der Ausgestaltung der Ganztagsschule ergänzend einbringen – auch, um den Fragen der Kinder Raum zu geben. Auch Kinder machten sich Sorgen, sagt Bognár im Kontext des Russland-Ukraine-Kriegs. Ihnen mit gesicherten Fakten zu antworten, ist Bognár wichtig: „Für eine resiliente Gesellschaft muss man bei den Kindern ansetzen.“
Selbstverständlich sollen die Erwachsenen bei alldem nicht aus dem Blick geraten. Die VHS mit ihren mehr als 200 Dozenten sei ein „Anlaufpunkt, wo man gesicherte Informationen bekommt und Personen findet, die mit einem selbst in die Richtung laufen, welche die Gesellschaft resilienter macht“, sagt Bognár. Dabei sei KI, also künstliche Intelligenz, in Bezug auf die Lehrinhalte ein Thema. Genau hinzuschauen müsse man auch bei der Auswahl der Dozenten. „Wir müssen wachsam sein“, sagt Bognár. Allgemein gesprochen gebe es „Bestrebungen von Rechtsaußen, die VHS zu unterwandern.“
Zentrale Lage fördert die Nahbarkeit der Einrichtung
Um möglichst alle zu erreichen, sei die Lage der VHS hilfreich. Das Gebäude sei wunderbar zentral gelegen, die Einrichtung sei nahbar, auch mit ihrem „zweitwichtigsten Standort“, dem Robert-Bosch-Gymnasium. Dass das eigentliche VHS-Gebäude weiterhin keinen Aufzug hat, bedauert Bognár. „Ein bisschen mehr Barrierefreiheit wäre schön.“ Sie hat dabei die Babyboomer-Generation im Blick, die nun das Rentenalter erreicht. Diese sei sehr aktiv, „sie so lange wie möglich im Gebäude begrüßen zu können“, das wäre ihre Wunsch.
Zur Bedeutung der VHS als Erwachsenenbildungsstätte führt sie zudem ein Beispiel aus ihrer vorigen Wirkungsstätte an. Ziel eines Projekts in Pfullingen sei es gewesen, Frauen nach längerer Jobpause einen Büroarbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Frauen, die in Zeiten der Digitalisierung den Anschluss verloren hatten und deshalb fast schon seelisch-moralisch gebrochen schienen, waren plötzlich „zehn mal so groß und so leuchtend“, so Bognár.
Vielfalt entdecken: Bildung als Schlüssel zur Integration
Soziale Grenzen zu überwinden, darum gehe es in der VHS einerseits – neben all den Angeboten, die etwa zur Freizeitgestaltung gemacht würden. Wo kommt man her, was kann man werden, was für sich selbst neu entdecken? Neugierig machen auf anderes, auf andere Länder, andere Kulturen, auf Bereiche die einem sonst verborgen bleiben, darum gehe es in der Volkshochschule andererseits, so die 40-Jährige, die selbst vor anderthalb Jahren damit begann, das Eiskunstlaufen zu erlernen und sich Ungarisch aneignete – „um zu wissen, was mein Mann mit unseren Kindern spricht“, wie sie humorvoll anmerkt.
Kunst und Kultur: Brücken zur Vielfalt
In der Gerlinger VHS seien Exkursionen fest etabliert, sie suche sehr „den Blick nach außen“. Daran will sie anknüpfen. Die VHS wolle eine Plattform bieten für die etablierten Exkursionen ebenso wie für Vorträge über Bildende Kunst, Musik, Literatur.„Kunst und Kultur können als Korrektiv zur eigenen Wahrnehmung dienen“, die Lösungen ebenso aufzeigen wie Vertreter anderer Kulturen Wege auch aus einer depressiven Stimmung weisen können, weil sie „aus Schwierigkeiten heraus Großes gemacht“ hätten.