Über den Zustand und die Zukunft des Gesundheitssystems hat Politik-Redakteur Willi Reiners beim VHS Pressecafé der Stuttgarter Zeitung gesprochen. Er sah dabei auch die Gefahr einer Zweiklassenmedizin.

Stuttgart - Wie lange trägt das Solidaritätsprinzip noch? Werden noch höhere Zuzahlungen fällig? Gibt es in Deutschland eine Zweiklassenmedizin? Derlei Fragen standen im Fokus des letzten VHS Pressecafés der Reihe „Stuttgarter Zeitung direkt“ vor der Sommerpause. Im Treffpunkt Rotebühlplatz sprach Politik-Redakteur Willi Reiners über „Gesundheit wird immer teurer. Trotzdem haben die Versicherungen rote Zahlen. Warum?“

 

Fünf Thesen stellte Reiners dabei auf. „Das deutsche Gesundheitswesen ist spitze“, lautete seine erste. „Wer schon einmal in anderen Ländern, etwa im Urlaub, einen Arzt benötigte, ist meist heilfroh, wieder zuhause zu sein.“ Zwar seien im Spitzenbereich die USA und die Schweiz weit vorn, aber gerade in den USA komme man ohne Geld nicht in den Genuss. „Das ist in Deutschland anders“, so Reiners.

Er nannte ein Beispiel aus Europa. Statt über Krankenkassen wie in Deutschland werde in Großbritannien das Gesundheitssystem hauptsächlich durch Steuern finanziert. „Dort bestimmt der Staat, was bezahlt wird.“ Daher könne man dort schon mal so lange auf eine Hüftoperation warten, dass man diese nicht mehr erlebe. Ein Rat bestimme über einen Hochrisikofonds, welche Menschen Spitzenmedizin erhielten. „Da geht es um Ethik. Wer will entscheiden: Du bekommst Hilfe, du nicht?“

Luat Studien sind Privatversicherte meist gesünder

Nach Reiners gibt es in Deutschland – noch – keine Zweiklassenmedizin. „Aber es ist dennoch ungerecht.“ Wer über die GKV, die gesetzlichen Krankenkassen, versichert sei, wie fast 90 Prozent der Patienten, der warte länger auf einen Termin bei einem Kardiologen oder Orthopäden, anders als Privatversicherte, an denen Ärzte mehr verdienten.

Laut Studien seien die Privatversicherten meist gesünder – „das hängt mit dem Sozialstatus zusammen“ –, während in den gesetzlichen Kassen ein großer Mix an Patienten zusammenkomme, auch aufgrund der älter werdenden Gesellschaft. „Das kostet. Gerechter wäre für das Gemeinwesen, wenn alle Solidarität üben würden und in eine Versicherung einbezahlten, auch Parlamentarier und Beamte. Egal ob diese Bürgerversicherung oder Kopfpauschale heißt.“ Bis diese, falls überhaupt, komme, könne es aber dauern, so Reiners auf die Frage eines Besuchers. „Das ist ein Systemumbau – ein Dauerbrenner, insbesondere vor den Wahlen.“

Telemedizin mit Zukunft

Klar sei, dass die Gesundheit teurer werde, weil Spitzenmedizin ihren Preis habe und das Gesundheitssystem eine stetige Baustelle sei. „Vor der Reform ist nach der Reform. Alle zwei Jahre kommen schlaue Papiere heraus, aber umgesetzt wird nur wenig – es gibt zu viele Lobbyisten.“ Das Gesundheitssystem sei für die Zukunft schlecht gerüstet, so Reiners Fazit. Dieses könne, wenn man die Probleme der Solidarität oder den von den Pharmariesen bestimmten Arzneimittelpreisen nicht anginge, zur Zweiklassenmedizin werden. „Wir haben Überkapazitäten. Die Ausgaben werden steigen.“ Zwar würden Daten über die Qualität von Krankenhäusern gesammelt, aber teils nicht zugänglich gemacht. Und um die Qualitätsberichte der Krankenhäuser zu verstehen, die im Internet beim Gemeinsamen Bundesausschuss unter g-ba.de eingesehen werden könnten, müsse man Mediziner und Mathematiker sein. „Da soll sich ändern, so heißt es. Wenn manche wüssten, wie schlecht ihr Krankenhaus um die Ecke ist, würden sie bei planbaren Eingriffen nicht hingehen.“

Zukunft sieht der Experte auch in der Telemedizin. In der Schweiz mache man mit Medgate gute Erfahrungen: Bevor Patienten eine Praxis besuchen, können sie per Videokonferenz Schlüsselfragen mit einem Arzt abklären. „Die Deutschen haben die meisten Arzt-Patienten-Kontakte. Wichtig ist, dass wir diskutieren, was allen zugute kommt. Da hilft eine Versicherung, in die alle einzahlen“, sagte Reiners.