Immer mehr Anbieter wie das US-Unternehmen Netflix bieten eine ganze Bibliothek von Fernsehsendungen über das Internet an – immer und jederzeit. Das verändert nicht nur den Fernsehmarkt, sondern auch die Produktion von Serien und die Sehgewohnheiten.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Eine Serie, die nicht mal im regulären Fernsehen kommt, ist für einen Fernsehpreis nominiert? Spätestens seitdem bekannt wurde, dass die amerikanische Online-Serie „House of Cards“ im Rennen um die bedeutendsten Fernsehpreise der USA , die Emmys, ist, schauen alle auf den Anbieter Netflix, der die Sendung produziert hat. Zwar erhielt die Serie am vergangenen Wochenende entgegen den Erwartungen nur den Preis für die beste Regie und zwei Emmys in Nebenkategorien, doch sie belegt, wie sich das Fernsehen im Internetzeitalter verändert. Die Internetverleiher nehmen inzwischen viel Geld in die Hand, um hochwertige Serien selbst zu produzieren. Müssen sich also Kabelanbieter und Programmdirektoren Sorgen machen – nicht nur in den USA?

 

Netflix aus Los Gatos, Kalifornien, hat für die ersten beiden Staffeln von „House of Cards“ angeblich 100 Millionen US-Dollar (etwa 760 Millionen Euro) ausgegeben. Die Qualität der Bilder und der Drehbücher wird hoch gelobt. Besetzt ist „House of Cards“ mit Stars wie Kevin Spacey. Die Firma Netflix hat heute eigenen Angaben zufolge 900 Mitarbeiter und mehr als 37 Millionen Abonnenten. Der Wert der Netflix-Aktie hat sich in diesem Jahr schon mehr als verdoppelt. Als analoger Filmverleiher hat die Firma 1997 angefangen und ihr Geld mit dem Versenden von DVDs mit der Post verdient. Noch bis vor wenigen Jahren stellte das Unternehmen seinen Kunden lediglich reguläre Fernsehshows, -filme und -serien durch ein monatliches Abo rund um die Uhr online zur Verfügung. Mit eigenen Projekten wie „House of Cards“ – will Netflix jetzt dem Fernsehen seinen Stempel aufdrücken. Das Unternehmen will erreichen, dass Zuschauerzahlen irgendwann nicht mehr aussagekräftig sein werden – weil viele Sendungen dann über Video-on-Demand (VoD) geschaut werden und nicht mehr zum Zeitpunkt ihrer Ausstrahlung im Kabelfernsehen.

Die Dienste der Firma sind bislang in 40 Ländern verfügbar. Netflix setzt mehr als eine Milliarde US-Dollar um und ist der größte Anbieter von Video-on-Demand in den USA. Der Kunde erhält für eine Abonnementsgebühr von acht US-Dollar im Monat unbegrenzten Zugriff „auf über eine Milliarde Stunden Inhalte“, so das Unternehmen. Zu dessen Partnern gehören Warner Bros. Television, Turner Broadcasting und Disney. Nach Medienberichten, unter anderem der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, entwirft Netflix angeblich seine Konzepte für Serien mit Hilfe von Algorithmen. So sei „House of Cards“ entstanden. Netflix analysiere das Verhalten der Nutzer und entwerfe darauf basierend neue Fernsehangebote. Der Computer bestimme den groben Rahmen für Handlung und Thema – offenbar erfolgreich.

Teure, eigene Sendungen sollen Abonnenten gewinnen

Gegenüber der „New York Times“ gab Netflix an, die teuren eigenen Sendungen lohnten sich zwar unterm Strich alleine noch längst nicht, durch sie würden aber viele neue Abonnenten gewonnen. Überraschungen wie die Emmy-Nominierungen steigerten zudem natürlich den Wert und die Bekanntheit der Marke. Netflix erreicht wohl auch deshalb so viele Zuschauer, weil es beispielsweise ermöglicht, die komplette erste Staffel von „House of Cards“ auf einmal anzuschauen. Und das lieben Serienjunkies. Doch obwohl Netflix das Verhalten und die Vorlieben seiner Kunden so genau analysiert, gibt es keine Statistiken nach außen. Zuschauerzahlen einzelner Sendungen interessieren das Unternehmen nicht – weil es keine Werbung verkauft.

Auf dem deutschen Markt ist Netflix bisher offiziell nicht vertreten. Viele vermuten, dass dem Unternehmen der Markt für englischsprachige Filme in einem an Synchronisierung gewöhnten Land zu riskant sei. Auf Nachfrage gab das Unternehmen an, über Deutschland noch nicht nachzudenken. Der Dienst startet diesen Monat in den Niederlanden, danach wolle man sich konkretere Gedanken über Deutschland machen, sagte ein Sprecher.

Deutsche Netflix-Kunden bewegen sich in einem Graubereich

Unklar ist, wie viele Deutsche dennoch Kunden von Netflix sind. Es geht nämlich. Wer sich auskennt, kann auf Tricks zurückgreifen, um länderspezifische Blockaden im Browser zu umgehen. Das funktioniert mit speziellen Programmen. So werden Dienste wie Netflix oder das in den USA ebenso bekannte Hulu in Deutschland nutzbar. Im Internet finden sich unzählige Anleitungen, welche Einstellungen am Browser geändert werden können. Die rechtlichen Voraussetzungen sind allerdings ungeklärt. Der Stuttgarter Medienanwalt Ludwig Rentzsch sieht ein solches Vorgehen kritisch: „Wird die Ländersperre mit Hilfe von Tricks umgangen, ist die Nutzung nicht mehr von den entsprechenden Lizenzen gedeckt und stellt sich damit zwangsläufig als unzulässig dar – unabhängig davon, ob die monatlichen Gebühren gezahlt wurden oder nicht.“ Strafrechtlich dürfte das vertragswidrige Verhalten der Nutzer nicht von Relevanz sein, sagt Rentsch. Auch zivilrechtlich hätten deutsche Nutzer wohl kaum etwas zu befürchten.: „Den Streaming-Anbietern steht zwar theoretisch ein Anspruch auf Schadenersatz zu, allerdings wurden die entsprechenden Gebühren ja bereits gezahlt.“ Der Clou sei, so Rentzsch, dass die Anbieter nachweisen müssten, dass ihnen durch die vertragswidrige Nutzung ihrer Dienste ein Schaden entstanden sei, der über den monatlichen Nutzungsgebühren liege. „Dieser Nachweis wird in der Praxis nicht zu erbringen sein“, meint der Anwalt. Im Übrigen sei ihm kein einziger Fall bekannt, in dem überhaupt juristisch gegen einen rechtswidrigen Nutzer vorgegangen wurde. Als einzige Konsequenz könnte das Nutzerkonto gesperrt werden.

Fernsehen, wann und wie der Verbraucher es will – das Angebot nimmt auch unabhängig von Netflix innerhalb Deutschlands zu. Es gibt immer mehr Anbieter, wie etwa Watchever, Lovefilm oder Maxdome. Doch vielen potenziellen Kunden fehlt es noch am Durchblick. Das hat eine aktuelle Studie der Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik (gfu) ergeben. In mehr als einem Drittel der deutschen Haushalte stehen bereits Smart-TVs, also Fernsehgeräte, die nicht nur klassisches, linear ausgestrahltes Fernsehprogramm empfangen können, sondern auch internetfähig sind. Bisher haben laut der Studie allerdings noch nicht einmal 60 Prozent der Smart-TV-Besitzer ihr Fernsehgerät tatsächlich ans Internet angeschlossen. Bislang rufen 15 Prozent über ihren Fernseher kostenpflichtige Video-on-Demand-Angebote aus Online-Videotheken ab.

Auch bei den neuen Smart-TVs muss zusätzlich zu den unter Umständen gebuchten Streaming-Angeboten die geeignete Hardware an den Fernseher angeschlossen werden – oder die Nutzer müssen zumindest den Computer über ein sogenanntes HDMI-Kabel mit dem Fernsehgerät verbinden – sonst können die Angebote nur am PC, Tablet oder Handy genutzt werden.