Seit zwei Jahren erwägt die Stadt, das Geschehen auf ihren Schulhöfen zu filmen. Die Datenschützer stellen hohe Hürden vor die Überwachung per Video, dennoch lassen immer mehr Gemeinden sie installieren.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Herrenberg - Zu den ersten Städten in Baden-Württemberg, die sich nicht mehr anders zu wehren wussten, zählte Fellbach. Im März 2015 fiel in der Gemeinde im Rems-Murr-Kreis die endgültige Entscheidung, an der Anne-Frank-Realschule Kameras zu installieren – nach monatelanger Debatte. Körperverletzung, Brandstiftung, Sachbeschädigung, Diebstahl listete der damaligen Oberbürgermeister Christoph Palm als Argumente für den Beschluss auf, Trinkgelage und Müllberge ohnehin. Seit die Kameras am Schulhof hängen, herrscht Ruhe. Im vergangenen Jahr war „nur ein einziger gravierender Vorfall“ zu beklagen, teilt ein Stadtsprecher mit. Demgemäß sind die kritischen Stimmen verstummt.

 

Das Vorbild war Österreich. Wiener Schulen hatten bereits vor zehn Jahren begonnen, ihre Schüler elektronisch zu überwachen. In Deutschland folgte zunächst Hamburg. Dort hängen rund 350 Kameras an Schulhöfen. Bayern zog nach. In Baden-Württemberg zeichnen inzwischen selbst Städtchen wie Gottmadingen und Laupheim das Geschehen vor ihren Schulen auf. Anfang 2016 erklärten auch die Rektoren dreier Herrenberger Schulen ihre Kapitulation vor Vandalismus und forderten die Videoüberwachung. Kameras sind bei ihnen noch immer nicht installiert. Dabei wird es vorerst bleiben, aus gutem Grund.

Die Schulleiter beklagen Vermüllung und Vandalismus

„Die Marschroute ist, sich langsam voranzutasten“, sagt Renate Spannbrucker, die Leiterin des Sozialamts. So schreibt es das Datenschutzgesetz des Landes vor, das einige Hürden aufstellt, bevor Schulhöfe videoüberwacht werden dürfen. Zuvor müssen alle anderen Möglichkeiten zumindest geprüft worden sein. Der Auslöser für den Wunsch „waren Vermüllung und Vandalismus, wie überall“, sagt Spannbrucker. Beides beklagen nicht nur Schulleiter, sondern auch Jugendliche.

Es seien vorwiegend Fremde, die unangenehm auffielen, ließ der Nachwuchs die Stadtverwaltung wissen und reichte eine Protestnote gegen die Kameraüberwachung ein. In Richtung Herrenberg herrsche ein regelrechter Partytourismus, weil in der Umgebung bekannt sei, dass für die dortigen Schulhöfe keine Benutzungsordnung gelte. Und wo keine Regeln, da keine Kontrolle. Die Regeln hat der Gemeinderat jüngst beschlossen. Ein Sicherheitsdienst wird künftig ihre Einhaltung überwachen. „Wenn sich das nicht bewährt, kommt das Thema Videoüberwachung aber sicher wieder auf den Tisch“, sagt Spannbrucker.

Wegen Ordnungswidrigkeiten darf die Polizei keine Aufnahmen sichten

Dass die Stadt den Wunsch ihrer Jugend erfüllt, ist kein reines Wohlwollen, sondern hat handfeste Gründe. Die Schäden in Herrenberg sind mit denen in Fellbach nicht zu vergleichen. Gegen den Hauptgrund für Klagen, die Müllberge, helfen keine Kameras. „Die Polizei hat etwas anderes zu tun als sich um weggeworfene Pizzakartons zu kümmern“, sagt Spannbrucker. Überdies ist es ihr schlicht verboten, wegen Ordnungswidrigkeiten Bildaufnahmen zu sichten, es sei denn, sie sind erheblich.

Schulen, die eine Videoüberwachung wünschen, müssen sie genehmigen lassen. Dazu ist eine ausführliche Begründung nötig. Zu der zählt auch der Nachweis, dass die Ziele anders nicht zu erreichen sind, sei es mittels eines Zauns, besserer Beleuchtung oder eines Sicherheitsdienstes. So ist es im Datenschutzgesetz vermerkt. Die Behörde des Landesdatenschutz-Beauftragten prüft Anträge bis ins Detail. „Jeder Schulhof ist anders“, sagt der für Videoüberwachung zuständige Referent Axel Breithut, „es kommt auch auf die Kameraeinstellung an“. Falls öffentliche Wege das Gelände durchziehen, darf auf ihnen nicht gefilmt werden.

Datenschützer sehen den Trend zum Kind im Auge der Kamera selbstredend kritisch. Sogar Kamera-Attrappen halten sie für bedenklich, weil Menschen sich beobachtet fühlen oder überwachte Plätze gleich ganz meiden könnten. Den Datenschützern wäre am liebsten, Schulen würden ausschließlich ihre Fassaden überwachen. Das Filmen während der Unterrichtszeit ist grundsätzlich verboten, weil Schüler keine Wahl haben, sondern gezwungen sind, sich im Bild aufzuhalten. Zudem müssen Schilder Passanten vor den Kameras warnen. Ungeachtet dessen „könnten sie schon zufällig Ziel von Ermittlungen werden, jedenfalls als Zeuge“, sagt Breithut. Wer identifiziert wird, muss benachrichtigt werden. Festzulegen ist auch, wer die Aufnahmen sichten darf. „Das ist im Idealfall nur der Datenschutzbeauftragte, vielleicht noch der Hausmeister, aber nicht der Englischlehrer“, sagt Breithut. Nach spätestens vier Wochen sind die Aufnahmen zu löschen. Fellbach hat diese Frist auf drei Tage verkürzt.