Der Ausbau der Kinderbetreuung kommt nicht rasch genug voran. Es fehlen weitaus mehr Plätze als erwartet. Wie groß der Fehlbedarf tatsächlich ist, wird erst der Stichtag am 1. August 2013 offenbaren.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die Stunde der Wahrheit kommt am 1. August 2013. Von diesem Tag an haben die Eltern von Kindern unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf Betreuung. Doch dafür gibt es längst nicht genug Plätze. Wie groß der Fehlbedarf tatsächlich ist, wird erst der Stichtag offenbaren. Die zuständigen Instanzen operieren mit widersprüchlichen Zahlen.

 

Das Bundesamt für Statistik veröffentlichte am Dienstag die aktuellsten Daten. Sie beschreiben die Situation im März dieses Jahres und beruhen auf den Angaben der Jugendämter vor Ort. Diese sind gesetzlich verpflichtet, das Angebot an Betreuungsplätzen an die jeweiligen Landesämter für Statistik zu melden. So regeln es die Paragrafen 98 bis 103 des Sozialgesetzbuches VII.

Nach dieser amtlichen Statistik wurden am 1. März bundesweit 558 000 Kleinkinder in öffentlich geförderten Institutionen betreut. Das entspricht einem Anteil von 27,6 Prozent der Kinder unter drei Jahren. 2007 war vereinbart worden, bis Mitte 2013 im Bundesdurchschnitt für 35 Prozent dieser Altersgruppe Betreuungsplätze bereit zu stellen. Der Bedarf wird mittlerweile sogar auf 39 Prozent geschätzt. Das wären insgesamt 780 000 Plätze in Kitas und bei Tagesmüttern. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) hatte zuletzt angenommen, dass 160 000 Plätze fehlen. Nach der offiziellen Statistik sind es sogar 220 000 Plätze.

Geschönte Zahlen aus Nordrhein-Westfalen

Schröder nannte die neuen Zahlen „ernüchternd“. Manchen Ländern drohe ein „böses Erwachen“. Die Differenz zwischen dem bisher vermeldeten und dem tatsächlichen Fehlbedarf zeige, wie wichtig es sei, dass die Länder nachweisen müssen, was sie mit den Kita-Zuschüssen anfangen, die sie vom Bund erhalten. Schröder zufolge sind die zugesagten Bundesmittel in Höhe von vier Milliarden Euro bis auf einen kleinen Rest verplant. Der Bund hat den Ländern weitere 580 Millionen Euro versprochen, will aber nur zahlen, wenn exakt dokumentiert wird, wo das Geld hinfließt. Bund und Länder haben sich am Dienstag auf vier Berichtstermine im Jahr verständigt. Ursprünglich waren monatliche Berichte im Gespräch. Warum es Differenzen bei der Kita-Zahlen gibt, ist umstritten.

Schröder sagte, das rot-grün regierte Land Nordrhein-Westfalen habe gegenüber dem Bund im März gemeldet, dass es dort gut 100 000 Plätze für Kinder unter drei gebe. Laut Statistischem Bundesamt wurden zu jenem Zeitpunkt aber nur 79 118 Kinder dieses Alters in öffentlichen Einrichtungen betreut. Das Familienministerium in Düsseldorf erklärt das Missverhältnis damit, dass zu Beginn des Kindergartenjahres 2011/12 die besagten 100 000 Plätze für Kleinkinder zur Verfügung gestanden hätten. Bis März 2012 seien aber 20 000 der betreuten Kinder schon älter als drei Jahre gewesen. In NRW sei es nicht vorgesehen, dass Kinder nachrücken könnten. Zwischenzeitlich habe das Land aber bereits 117 000 Plätze geschaffen. Weitere 27 000 müssten noch realisiert werden.

Längere Öffnungszeiten und besseres Personal im Osten

Nach der neuen Statistik hat bisher keines der alten Bundesländer die bundesweit angestrebte Betreuungsquote von 39 Prozent erreicht. Rheinland-Pfalz liegt unter den westlichen Flächenländern mit 27 Prozent am besten. Baden-Württemberg hatte im März eine Quote von 23,1 Prozent vorzuweisen.

In Ostdeutschland ist nicht nur das Betreuungsangebot erheblich besser, sondern auch der Service und die Qualifikation des Personals. Bei den Öffnungszeiten der Kitas gibt es offenbar erhebliche Unterschiede. Im Westen haben nur fünf Prozent der Einrichtung morgens schon vor sieben Uhr auf, nur die Hälfte bietet ihre Dienste auch noch nach 16.30 Uhr an. Im Osten öffnen hingegen 81 Prozent der Kitas schon vor sieben, 90 Prozent haben erst nach 16.30 Uhr Feierabend. Knapp zwei Drittel des Betreuungspersonals im Westen sind staatlich geprüfte Erzieherinnen. 19 Prozent haben einen minderwertigeren oder gar keinen Berufsabschluss. In den Ost-Kitas arbeiten hingegen zu 81 Prozent Erzieherinnen. Weitere vier Prozent des Personals sind Akademiker.