780 Millionen Euro könnten Fluggäste für Ausfälle und Verspätungen einfordern. Doch es ist nicht einfach, an sein Geld zu kommen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Pleiten, Umbuchungen, Flugausfälle: Der Start ins Reisejahr 2019 setzt das Chaos fort, das sich schon durch das Vorjahr gezogen hatte. Während damals vor allem die Nachwirkungen der Air-Berlin-Pleite, Bodenpersonal-Streiks und zu kleine Terminals die deutschen Flughäfen zu einem Flaschenhals machten, verursachen dieses Jahr schon zwei Pleiten Stress bei Fluggästen. Erst schlitterte Germania, die viertgrößte deutsche Airline, in die Insolvenz, dann der britische Billigflieger Flybmi.

 

Auch 2019 verlieren viele Fluggäste ihr Geld

Zehntausende Kunden, die Flüge gebucht und schon bezahlt haben, werden ihr Geld kaum zurückbekommen. Denn trotz bereits zahlreicher ähnlicher Pleiten fehlt bis heute ein Insolvenzschutz für die Vorauszahlungen in Milliardenhöhe, die Fluggesellschaften jedes Jahr beim Ticketverkauf sofort kassieren. Nur wenn der geplante Flug mit Pleitegeiern Teil einer Pauschalreise ist, muss der Reiseveranstalter laut Gesetz für Ersatz sorgen. Zwar wurden weit über 100 000 Urlauber bundesweit bereits auf andere Jets umgebucht, aber vieles läuft nicht glatt. Manche Anbieter kündigen ihren Kunden einfach die Reiseverträge, was Experten als klaren Rechtsbruch betrachten. Andere Reisende werden mit veränderten Flugzeiten oder Abflug- sowie Zielflughäfen konfrontiert, was oft einen großen Mehraufwand bedeutet.

Viel neuer Ärger ist damit programmiert. Auch vor Gericht, denn immer mehr Verbraucher haben gelernt, wie man sich wehren kann. Dafür genügen schon ein paar Klicks im Internet oder einige Wischer auf dem Smartphone. Online bieten laut Experten inzwischen rund 30 kommerzielle Fluggastrechte-Portale ihre Hilfe an, wenn es darum geht, berechtigte Forderungen bei Flugausfällen, Verspätungen oder Kofferverlusten durchzusetzen. Denn allzu oft verweigern die vielen schwarzen Schafe unter den Airlines einfach eine Erstattung – obwohl die EU-Fluggastrechteverordnung bereits seit 2004 die Ansprüche klar regelt.

Die meisten Kunden holen sich Entschädigungen nicht ab

2018 wurden mehr als 29 000 Flüge von und nach Deutschland gestrichen, ein neuer Negativrekord. Zudem waren mehr als 8600 Flüge über drei Stunden verspätet. Jeden Tag gab es demnach im Schnitt rund hundert Problemflüge, für die Entschädigungen fällig wären. Das ergibt atemberaubende Summen, die fällig wären. Mehr als 780 Millionen Euro könnten betroffene Reisende verlangen, haben die Experten von Flightright errechnet – das bedeutet einen Anstieg von 50 Prozent. Das Berliner Unternehmen sieht sich als einer der Marktführer und hat nach eigenen Angaben seit dem Start bereits mehr als 200 Millionen Euro Entschädigungen für seine Kunden erreicht. Die meisten Reisenden setzen ihre Ansprüche aber nicht professionell durch.

Bisher profitiert die Branche von der Unwissenheit der meisten Kunden. Nur jeder Fünfte ist laut Umfragen ausreichend über seine Rechte bei Flugausfällen, Verspätungen und Überbuchungen informiert. Andere scheuen den Zeitaufwand und die Kosten, die Entschädigung auf eigene Faust oder per Anwalt einzufordern – und verzichten so oft auf viele Hundert Euro. Das ist ein Vorteil für die Branche, denn leiten verprellte Kunden keine rechtlichen Schritte ein, entsteht auch kein Druck auf die Airlines, Kunden fair zu behandeln.

So wehren Airlines Ansprüche ab

Es gibt viele faule Tricks, mit denen manche Billigflieger ebenso wie klassische Anbieter versuchen, Ansprüche abzuwehren. Flightright kritisiert zum Beispiel fragwürdige Klauseln im Kleingedruckten, mit denen Airlines wie Ryanair versuchten, die Einschaltung von Flugportalen im Streitfall zu unterbinden, was in der Regel unzulässig sei. Auch mit Onur Air hat man schlechte Erfahrungen – nicht nur, weil die Airline fast 30 Prozent ihrer Abflüge verspätet startete und damit 2018 die unpünktlichste Airline war. Die Fluglinie verweise auf ihren Sitz in der Türkei und verweigere die Zahlung sogar bei rechtswirksamen Urteilen deutscher Gerichte – obwohl die Fluggastrechte-Verordnung eindeutig für Unternehmen gelte, die Abflüge in der EU anbieten, so Flightright. Andere ignorieren Entschädigungsforderungen komplett. Dazu zählen laut Flightright die spanische Iberia, Vueling, Aeroflot und erneut Ryanair. Hier seien meist Klagen nötig.

Mit den Portalen haben solche Airlines nun aggressive Gegenspieler, hinter denen oft potente Geldgeber stehen. Denn die Geschäftsmodelle der juristischen Dienstleister gelten als sehr lukrativ und zukunftsträchtig. Diese Legal Techs, wie sie im Branchenjargon genannt werden, können mittels Digitalisierung rasch viele Kunden gewinnen, Abläufe automatisieren, Klagen bündeln und Kosten senken. Die Dienste würden indes weniger gebraucht, wenn die Flugbranche endlich ein faires Entschädigungsverfahren einführen würde. So einfach und schnell, wie online und per App die Tickets gebucht werden können, sollte auch das Beschwerdeverfahren sein, fordern Verbraucherschützer. Und auch Passagiere sollen besser über ihre Rechte informiert werden.

Auch die Politik will solche Taten sehen. Im März soll – nach dem Luftfahrtgipfel im Oktober 2018 – ein weiteres Treffen mit der Branche im Verbraucherministerium folgen.