Die Stuttgarter IG Jazz hat mit ihren Jazztagen geschafft, was derzeit sonst selten gelingt: Sie hat ihr Profil geschärft, den richtigen Partner gefunden und Leidenschaft ausgestrahlt.

Stuttgart - Harmonische Ballungen, vertrackte Rhythmen und wechselvolle Stimmungen gibt es zu hören am Sonntag im Theaterhaus: Das Orchester jazz@large, das sich aus Stuttgarter Jazzern einmal im Jahr neu formiert, spielt frische, erfrischende Auftragskompositionen dreier anwesender Musiker. „Ich habe das gerne angenommen, Geld ist gut“, witzelt der Esslinger Posaunist Eberhard Budziat, der den hundertjährigen „Tiger Rag“ neu gefasst hat – „aber dann habe ich gemerkt: Das ist gar nicht so einfach.“

 

Natürlich kokettiert der erfahrene Komponist, der in einer Mischung aus „Bitches Brew“ und Ragtime-Ekstase seine 21 Kollegen gewitzt in Szene setzt: Hans Fickelscher als akzentuierten Perkussionisten, die volltönende Sängerin Lisa Tuyala, den Saxofon-Lyriker Martin Keller, den progressiven Akkordeonisten Tobias Escher, das schön präsente Streichquartett um den Geiger Klaus Marquardt – und den Posaunisten Tilman Schaal, der sich mit Dämpfer in einen grandiosen Wah-Wah-Wahnsinn spielt.

Es brauchte Überzeugungsarbeit

Auch die neutönerischen Schichttorten der Sängerin Lara Lübbe und die Filmmusik-Anmutungen des Pianisten Martin Sörös sind durchweg bunte, unterhaltsame Stücke, und so setzt der Abend den würdigen Schlussakkord unter einen bemerkenswerten Neustart: Die IG Jazz, ein Zusammenschluss hiesiger Musiker, hat ihre Stuttgarter Jazztage im 39. Jahr erfolgreich neu erfunden. Gebündelt einem Ort, dem Theaterhaus, erscheint das Festival wie die kleine Schwester der Internationalen Jazztage an Ostern; die drei Abende im – vorsichtig gewählten – kleinen Saal T4 waren allesamt ausverkauft, der Sonntag im T3 war es annähernd.

„Den Samstag hätten wir zweimal ausverkaufen können“, sagt strahlend Martin Keller, der Erste Vorsitzende der IG Jazz. Vor einem Jahr dümpelte das über Clubs in der Stadt verteilte Festival mit lokalen Acts eher vor sich hin. Nun bietet die IG Jazz ein Festivalprogramm über Stuttgart hinaus. „Das hat bei unseren Mitgliedern, die natürlich alle gern selbst spielen würden, ein bisschen Überzeugungsarbeit gebraucht“, gibt der Routinier Keller zu, sein junger Vorstandskollege Magnus Mehl fügt an: „Der immense Zuwachs hat alle Zweifel beseitigt. Und es hilft uns allen, wenn ein Publikum einen tollen Abend mit der IG Jazz verbindet.“

Äußerst spannend: der neue Hochschulwettbewerb

Die Festivalmacher haben bei der Auswahl ein gutes Händchen bewiesen. Der besagte Samstag bot feinen Jazz auch für Pop-Hörer mit der Band Three Fall and Melane. Die stimmstarke Melane Nkounkolo begeisterte die Leute mit einem leidenschaftlichen Auftritt, nachdem Tobias Hoffmann mit seinem Trio den Saal angewärmt hatte mit einer kleinen Zeitreise durch die E-Gitarren-Geschichte. Im Zeichen der Avantgarde stand der Auftakt am Donnerstag, das Trio der Harfenistin Kathrin Pechlof mit dem Stuttgarter Saxofon-Professor Christian Weidner verschlang sich auf verwunschenen Pfaden ineinander, ehe das europäische Quartett Fusk um den dänischen Drummer Kasper Tom rasanten Neo-Bop servierte.

Als äußerst spannend erwies sich der neu angesetzte Hochschul-Wettbewerb am Freitagabend: Zwei Bands aus Mannheim und zwei aus Stuttgart traten gegeneinander an. Die Jury – Martin Keller, Wolfgang Marmulla vom Theaterhaus und Eckhart Fischer vom Jazzverband Baden-Württemberg – entschieden sich für die freieste dargebotene Form: „Kompromisslose Improvisation“ hat sich das Stuttgarter Trio ORK auf die Fahnen geschrieben, und mitunter klingt es, als würden drei Geräuschemacher kommunizieren, wenn Jakob Obleser am Kontrabass, Daniel Roncari am Altsaxofon und Lucas Klein am Schlagzeug zusammenspielen.

Der erste Test ist bestanden

Den Preis, einen Auftritt beim Theaterhaus-Festival an Ostern, hätte auch die Mannheimer Combo Düränx verdient: Der Bandleader und Pianist Lukas Derungs wirkt schon wie ein Profi, seine ausgefuchsten Stücke haben Dramaturgie und Stimmungstiefe. Die Sängerin Juliana Blumenschein scattet lustvoll und der Schlagzeuger Jonas Esser strotzt vor Einfallsreichtum. Unbändige Energie treibt diese junge Erwachsenen, die sich gerade erst entfalten. Der Mannheimer Gitarrist Moritz Keller etwa hat große Melodien und progressive Riffs im Köcher, ist aber als Bandleader ein bisschen zu omnipräsent; die Stuttgarter Pianistin Clara Vetter sprüht vor überbordender Virtuosität, reiht atemlos Ideen über Ideen aneinander, und bei mancher würde man gerne länger als nur einen flüchtigen Moment verweilen. Allesamt sind diese Studenten Talente, von denen noch zu hören sein wird.

Keller, Mehl, und ihr Kollege Michael Kozak, alle drei Saxofonisten, haben das erneuerte Festival maßgeblich konzipiert und aufgezogen. „Zum Glück waren wir zu dritt“, sagt Kozak , „als Musiker ist das immer schwierig, selbst zu veranstalten.“ Keller ergänzt: „Es geht ja immer auch darum, den Zusammenhalt im Verein zu stärken.“ Das dürfte bei diesem Festival gelungen sein, die jazz@large- Musiker am Sonntag jedenfalls gingen sichtlich lustvoll zu Werke. „Der erste Test ist bestanden“, sagt Magnus Mehl – „wir haben mit dem Theaterhaus schon über das nächste Festival 2020 gesprochen.“

Ein sehr treffendes, generelles Fazit dieser vier Tage, und darüber hinaus formuliert der Humorist Eberhard Budziat: „Das mit dem Geld ist schön und gut, aber denken Sie mal an Ihren Alltag: Das Wichtigste ist doch, dass man sich nicht unterwirft, sondern etwas Sinnvolles tut.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.