Im Interview: Susanne Widmaier ist seit vier Jahren Bürgermeisterin in Rutesheim. Die Projekte ändern sich, die Herausforderungen an das Amt bleiben jedoch, sagt sie.

Vier Jahre sind vorbei. Von diesem Samstag an bleiben weitere vier in der aktuellen Amtszeit der Rutesheimer Bürgermeisterin. Es sind vier Jahre gewesen, die geprägt waren von Herausforderungen wie Flüchtlingskrise und Corona und auch einer überstandenen schweren Krankheit.

 

Frau Widmaier, als Sie am Ostersonntagsgottesdienst am 1. April 2018 zum ersten Mal offiziell als Bürgermeisterin teilgenommen haben, hatte sich da das erfüllt, was Sie sich erträumt hatten?

Ja. Auch jetzt nach vier Jahren ist es immer noch mein Traumjob. Ich habe genau das gefunden, was ich mir gewünscht habe. Es macht riesig Spaß und macht mich glücklich. Es ist eine Tätigkeit, die sehr sinnstiftend ist, mit der man viel bewegen kann und mit vielen Menschen zusammenarbeitet.

An Herausforderungen hat es in dieser Zeit nicht gemangelt.

Schwierig ist es schon gewesen, als ich krankheitsbedingt fünf Monate zuhause war. Die Arbeit als solche ist nicht schwierig, sie ist immer anspruchsvoll und bestimmt nicht immer einfach. Wir mussten und müssen schnelle und tragfähige Lösungen für Krisen wie Corona und nun schon für die zweite Flüchtlingskrise finden. Man kommt ja nicht ins Rathaus, um die Klinke zu putzen. Es freut mich, wenn etwas vorangeht und man verschiedene Themen abarbeiten kann.

Sie sind mit klaren Zielvorgaben in den Wahlkampf gestartet. Haben Sie Ihre Versprechen gehalten?

Aus meiner Sicht ja. Ich habe nichts versprochen, was ich später nicht halten kann, etwa, dass keine Autos mehr durch die Stadt fahren werden. Meine Bilanz ist gut, weil ich das Versprochene auch angepackt habe – zum Teil sind die Sachen bereits umgesetzt oder in der Schlussphase. Ich hoffe, dass das die Bürger auch so sehen.

„Gemeinsam“ ist seinerzeit das Motto Ihres Wahlkampfes gewesen, gelingt es, das umzusetzen?

Das gelingt sehr gut. Ich habe ein tolles Rathausteam. Dafür spricht auch, dass wir alle Stellen in der Verwaltung besetzt haben. Das ist selten, denn viele Bürgermeister aus der Nachbarschaft sagen, dass sie riesige Probleme hätten, freie Stellen zu besetzen.

Stimmt also das Klima in der Verwaltung?

Das gute Rathausklima, das es auch schon vor meiner Zeit gab, ist genauso gut geblieben. Die Leute halten zusammen und unterstützen sich. Das „Gemeinsam“ bezieht sich natürlich auf die gesamte Belegschaft, aber auf Martin Killinger insbesondere. Zwischen uns passt kein Blatt Papier. Wir verstehen und ergänzen uns, obwohl wir in manchen Dingen sehr unterschiedlich sind. Ich glaube, es gibt wenige Rathäuser, in denen die Rathausspitze so toll zusammenarbeitet.

Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat?

Mit dem Gremium lässt sich sehr gut arbeiten. Wir sind sachorientiert, es gibt da keine Emotionsausbrüche, sondern es wird auf Kompromisse hingearbeitet. Vieles wird zwar einstimmig beschlossen, aber das liegt nicht daran, dass die Stadträte Themen abnicken, sondern dass ihnen alle Informationen zufließen, um eine gute Entscheidung treffen zu können. Dadurch ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, und niemand hat das Gefühl, die Verwaltung macht etwas am Gemeinderat vorbei oder gegen ihn.

Sind die Bürger auch zufrieden?

Das sind sie wohl, wenn man die Zahlen aus der Befragung zum Stadtentwicklungsplan aus dem Jahr 2020 nimmt – da war ich schon fast zweieinhalb Jahre Bürgermeisterin. 91 Prozent der Bewohner fühlen sich hier wohl. Die Zufriedenheit zieht sich durch alle Altersgruppen – die über 60-Jährigen fühlen sich prozentual sogar noch etwas wohler. Im Vergleich lag die Zufriedenheit 2006 bei 84,6 Prozent. Meine Bürger sind zufrieden und das ist allerhöchster Lohn.

So gut wie in trockenen Tüchern ist der Stadtentwicklungsplan (Step).

Der Stadtentwicklungsplan ist auch ein Wahlkampfversprechen gewesen. Ich habe versprochen, alle Altersgruppen einzubeziehen – und auch Menschen mit Migrationshintergrund. Wir haben angeboten, die Unterlagen wegen Corona nach Hause zu liefern. Es hat zwar länger gedauert, aber das Interesse war groß – besonders bei der jungen Generation. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wir wissen, was sich die Bürger wünschen und wie sie die Stadt sehen. Daraus ist ein dickes Aufgabenheft entstanden, das wir für die Zukunft mitnehmen.

Lässt sich jeder Wunschzettel erfüllen?

Viele schon und manche ganz schnell, wie etwa die von den Schülern gewünschten geänderten Öffnungszeiten der Bücherei. Mir ist wichtig, dass draußen ankommt, dass die Dinge, die die Bürger bewegen – egal welchen Alters –, geprüft und angegangen werden. Alles können wir nicht umsetzen, wie etwa den Wunsch, jene Straße für Autos zu sperren, in der der Ideengeber wohnt.

Wodurch unterscheidet sich der aktuell beschlossene Stadtentwicklungsplan von seinem Vorgänger?

Der Vorgänger war geprägt durch bauliche Maßnahmen wie Ortsumfahrungen, Gestaltung der Ortsmitte, dem neuen Marktplatz, der Bücherei. Das hat Rutesheim stark nach vorne gebracht. Im jetzigen Entwicklungsplan geht es mehr um das Miteinander, um viele weiche, aber wichtige Faktoren – und um Themen wie Klimaschutz.

Wie geht es mit dem Step weiter?

Der ist so gut wie abgeschlossen. Der Gemeinderat hat ihn beschlossen. Es ist noch eine öffentliche Veranstaltung vorgesehen, sobald es die Coronaregeln zulassen, um der Bürgerschaft die Ergebnisse vorzustellen. Bei der Online-Präsentation haben wir festgestellt, dass die Menschen, die tagsüber im Homeoffice sind, nicht noch abends vor ihren Bildschirmen sitzen wollen.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Ein Malbuch für und über Rutesheim

Woher weiß jemand, ob sein Vorschlag eine Chance hat, umgesetzt zu werden?

Aus Gründen der Transparenz sind im Anhang der Step-Broschüre und auf der Homepage die Vorschläge aufgeführt, die im Moment nicht weiter verfolgt werden. Auch eine Erklärung für den Grund ist angeführt – zum Beispiel weil wir rechtlich dafür nicht zuständig sind, wie etwa bei der gewünschten Einführung einer Umweltzone.

Wieso muss das von Ihnen angestoßene Mobilitätskonzept für Rutesheim noch eine Runde drehen?

Auch das Mobilitätskonzept steht kurz vor dem Abschluss. Aber weil noch mehr Konzeptideen einfließen sollen und einige Runden mit den Bürgern stattfanden, beispielsweise zum ruhenden und zum fließenden Verkehr, zu alternativen Mobilitätsformen, zum öffentlichen Personennahverkehr und zum Radverkehr, hat sich das Verfahren hinausgezögert. Die Abschlussveranstaltung soll in Kürze in Präsenz erfolgen.

Was macht die Stadt gut in Sachen Mobilität, und was lässt sich verbessern?

Bei der Parksituation liegen wir laut dem Mobilitätskonzept genau richtig. Der Durchfahrtsverkehr in Rutesheim konnte durch die Nordumfahrung und in Perouse durch die dortigen Umfahrungen drastisch gesenkt werden. Auch die Geschwindigkeitsabsenkungen tragen Früchte. Vieles wurde erreicht, aber es gilt noch, den Anteil des alternativen Verkehrs zu steigern und den Durchfahrtsverkehr zu reduzieren. Das Mobilitätskonzept wie auch der Step sind aber Momentaufnahmen – beide leben weiter, es wird immer Neues geben.

Auch Kinder, Jugend, Bildung standen auf der Liste der Wahlversprechen.

Für die junge Generation habe ich beste Voraussetzungen von der Kita bis zur Berufsausbildung versprochen. Dafür haben wir in Perouse einen Paradigmenwechsel vorgenommen. Im Waldenserort wurden früher nur so viele Wohngebiete entwickelt, wie der bestehende Kindergarten Kinder aufnehmen kann. Da wurde komplett umgedacht und der Kindergarten ausgebaut. Die Kinder kommen früher in den Kindergarten, und Ganztagsbetreuung ist verstärkt gefragt. Zwar wurde die Betreuung in anderen geeigneten Räumen (Tapir) eingerichtet, aber schnell hat sich herausgestellt, dass das nicht reicht. Auch die Ausweitung des Hortes im Rutesheimer Schulzentrum beruht auf dem Bedarf nach mehr Ganztagsbetreuung. Für die Belange der Azubis ist die Wirtschaftsförderin Elke Hammer zuständig.

Sie sagten beim Amtsantritt, dass Sie nicht wollen, dass die Kinder der Rutesheimer in den Schwarzwald umziehen müssen, weil sie in der Heimatstadt keine bezahlbare Wohnung finden.

In Rutesheim herrscht immer noch akuter Wohnungsmangel. Einiges in Richtung bezahlbarer Wohnraum ist erreicht worden im Gebiet Schelmenäcker/Pfuhlweg mit einer äußerst hohen Quote an geförderten Wohnraum – das sind keine Sozialwohnungen. Gemeinsam mit dem Gemeinderat sind wir bei den Bedingungen umgeschwenkt. Bei der Dauer der Förderung sind jetzt 25 Jahre Voraussetzung, anstatt 15 wie bisher. Geförderte Wohnungen werden künftig fester Bestandteil jedes neuen Wohngebietes sein.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Keine Schulden und keine Steuererhöhung

Ein neues Wohngebiet, das Bosch-Areal, haben sie von Ihrem Vorgänger geerbt.

Als ich kam, stand schon fest, dass Bosch in Rutesheim die Produktion einstellt und nach Feuerbach umzieht. Geerbt habe ich das Gebiet als Fläche, aber nicht mit einer Planung. Verwaltung, Bosch und die Robert-Bosch-Wohnungsgesellschaft haben gemeinsam eine Mehrfachbeauftragung auf den Weg gebracht, begleitet von einer breiten Bürgerbeteiligung. Der Siegerentwurf der Architekten deckt sich in vielen Punkten mit den Wünschen und Vorschlägen der Bürger. Auch hier wird viel geförderter Wohnungen entstehen.

Wie weit gediehen ist das Bosch-Areal?

Das Gelände ist gekauft, der Bebauungsplan in Arbeit. Mit den Planungsbüros werden Detailabstimmungen vorgenommen. Parallel dazu – unlängst kam der Förderbescheid aus Berlin – wurde ein energetisches Quartierskonzept für das Bosch-Areal gemeinsam mit dem angrenzenden Schulzentrum angestoßen. Ein Ingenieurbüro übernimmt dafür die Planungen. Das Gebiet soll ans Nahwärmenetz angeschlossen werden.

Jüngst wurde im Gemeinderat ein neues Baugebiet in Perouse ins Gespräch gebracht. Werden die „Krautgärten“ nicht mehr als Gemüsegärten benötigt?

Der Gemeinderat hat sich gewünscht, sie als Baugebiet vorzuziehen. Im Flächennutzungsplan wird das Areal schon lange als mögliches Wohngebiet geführt. Denjenigen, die ihre Flächen bereits an die Stadt verkauft haben, wollen wir aus Gründen der Fairness einen Betrag nachzahlen, obwohl wir rechtlich nicht dazu verpflichtet sind. Es laufen gerade die Gespräche zum Ankauf der restlichen Grundstücke. Auch ein förmliches Umlegungsverfahren wurde eingeleitet, um die 80 Grundstücke neu aufzuteilen.

Um das geplante Gewerbegebiet „Nördlich der Gebersheimer Straße“ ist es ruhiger geworden. Woran liegt das?

Dieses Gebiet wollen wir auf alle Fälle weiter entwickeln, doch die Sache liegt bei Gericht. Ein Umlegungsbeteiligter hat gegen das Vorhaben geklagt, nun muss die Justiz entscheiden. Wir sind zuversichtlich: Unser Rechtsanwalt sagt, das koste uns zwar Zeit, aber das Recht liege auf unserer Seite.

Die Stadt geht oft eigene Wege. Was hat es mit dem jüngst eingeschlagenen „Rutesheimer Weg“ auf sich?

Das hat mit unserem Verständnis von Umweltschutz zu tun. Gemeinderat und Verwaltung ist es wichtig, nicht nur darüber zu reden, sondern auch etwas zu tun. Es geht uns darum, nicht jetzt dem Klimaschutz-Pakt beizutreten und dann zu sagen: nach uns die Sintflut. Mit unserem neu gewählten Klimabeirat und in enger Zusammenarbeit mit der Energieagentur des Landkreises wollen wir ganz verschiedene Projekte auf den Weg bringen und auch die Bürger mit ins Boot holen. Aktuell rufen wir zur Mitarbeit in verschiedenen Arbeitskreisen auf.

Was sind Schwerpunkte?

Als Themen haben wir Energie, Wärme und Mobilität festgelegt. Aber es geht in den Arbeitsgruppen auch um erneuerbare Energien, Wasserversorgung und -einsparung, Starkregen – und Baugebiete optimieren. Auch Konsum, Umwelt, Land- und Forstwirtschaft werden behandelt. Wir denken das gesamte Thema viel weiter und breiter.

Das Thema Barrierefreiheit steht jetzt stärker im Blickpunkt. Woran liegt das?

Das Thema gehört zu den Projekten, die mir besonders wichtig sind. Wir wollen dafür sorgen, dass diese Gruppe Menschen, denen es nicht so gut geht, hier bei uns gut zurechtkommt und sich unterstützt fühlt.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Der hohe Preis für ruhiges Wohnen

Fast sieht es so aus, dass Sie die Perouser lieber als die Rutesheimer haben.

Bei meinem Amtsantritt habe ich versprochen, dass ich an alle Stadtteile denke, und dass mir die Heuwegler, die Perouser, die Rutesheimer wichtig sind. Keiner sollte hinten herunterfallen. Es zeigt sich gerade, dass die Perouser die ersten sind, die Glasfaser und eine neue Kita bekommen. Andere Projekte starten aber in Rutesheim. Wir versuchen auf jeden Fall, wichtige Angebote wie Carsharing und Regiorad überall anzubieten. Selbst beim Wohnungsbau tut sich in jedem Ortsteil etwas, wie in der Bahnhofstraße/Waldeckstraße, im Gebiet der ehemaligen Post in Rutesheim oder beim Geschosswohnungsbau im Zentrum von Perouse.

Wie wichtig ist die Digitalisierung?

Das ist eines meiner wichtigsten Projekte. Kleine Bausteine sind abgeschlossen, etwa die neue Homepage und das papierlose Gemeinderatsinformationssystem. Auch in den sozialen Medien haben wir zugelegt. Jetzt folgen das Dokumenten-Managementsystem und die elektronischen Akte.

Wie lautet das andere Großprojekt?

Das andere Megaprojekt ist eine mögliche Nahwärmeversorgung für Rutesheim. Auch hier haben wir einen Förderantrag für einen Kommunalen Wärmeplan für die gesamte Gemarkung gestellt und wollen Rutesheim innovativ und zukunftsfähig aufstellen.

Wie geht es für die Rathauschefin in den nächsten vier Jahren weiter?

Es geht genauso weiter wie bisher, mit viel Arbeit und vielen Herausforderungen, nur mit anderen Projekten. Am „Gemeinsam“, an den zielführenden Absprachen und am guten Miteinander wird sich nichts ändern. Auch mit dem Landratsamt und den Kollegen im Kreistag klappt es gut. Langweilig wird es ganz bestimmt nicht.

Haben Sie dann überhaupt noch Zeit, Hobbys auszuüben?

Ich bin begeisterte Oma. Im Sommer kommt das zweite Enkelkind. Es freut mich, dass ich wieder reiten kann. Ich darf bei einer befreundeten Familie ein Islandpferd reiten – das macht mich sehr glücklich. Nicht zuletzt liebe ich das Reisen und fahre gerne E-Bike. Es gibt schon eine Zeit außerhalb des Rathauses, die ich genießen kann.

Zur Person

Schule und Studium
 Susanne Widmaier wurde am 14. Mai 1966 in Mainz geboren und ist in Aalen aufgewachsen. Nach dem Umzug 1979 nach Leonberg hat sie 1985 am Johannes-Kepler-Gymnasium das Abitur absolviert. Das Duale Studium in Leonberg und Ludwigsburg hat sie als Diplom-Verwaltungswirtin abgeschlossen.

Beruflicher Werdegang
 In Leonberg war sie von 1990 bis 1993 in der Sanierungsberatung tätig. Nach einer Kinderpause arbeitete sie als Assistentin der Frauenbeauftragten, Beauftragte für die Lokale Agenda, Pressesprecherin (2003 bis 2010) und persönliche Referentin von Oberbürgermeister Bernhard Schuler. Während ihres Berufsbegleitenden Studiums Master Public Management (2012 bis 2014) wurde Susanne Widmaier von November 2013 bis März 2018 Erste Beigeordnete in Weil der Stadt. Seit 1. April 2018 ist sie Bürgermeisterin in Rutesheim.