Bei der Vierschanzen-Tournee ist der Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer der klare Favorit. Doch der 22-Jährige will auch die meisten Weltcupsiege aller Zeiten holen. Während ihm sein verbissenes Streben nach Erfolg früher beim Skispringen im Weg stand, kann er es heute in produktive Bahnen lenken.

Oberstdorf - Mitten im Gespräch bricht Gregor Schlierenzauer ab und steht auf. Er nimmt sein Smartphone, geht zu einem Fernseher in der anderen Ecke des Raumes und filmt das Fernsehbild. Dort läuft gerade sein Sprung, eine Zusammenfassung der kurz zuvor zu Ende gegangenen Qualifikation von Engelberg. Eine Ausscheidung, die für Schlierenzauer eigentlich keine Rolle spielte, denn aufgrund seiner bisherigen Saisonleistungen war der Skispringer bereits gesetzt für den Wettbewerb am nächsten Tag.

 

Doch unwichtige Sprünge gibt es nicht für ihn. Auch diesen will er nach dem Interview noch analysieren. Und das könne dann schon eine Weile dauern, sagt er – bei Weltmeisterschaften hat er bis zu drei Stunden damit verbracht. Mit seinem Qualifikationssprung ist Schlierenzauer nämlich sehr unzufrieden gewesen. Er sei nicht schnell genug auf den Schanzentisch gekommen, sagt der Österreicher. Die Kraft, die er habe, bringe er noch nicht ganz auf den Punkt.

Der uneingeschränkte Favorit

Die Episode von vor zwei Wochen in der Schweiz zeigt vor allem eines: Schlierenzauer ist ein Pedant. Die Tage nach dem Videostudium zeigten aber auch: er hat damit Erfolg. War er bei der Qualifikation noch 17,5 Meter hinter dem weitesten Sprung des Norwegers Tom Hilde gelandet, bei den zwei Wettkämpfen wurde er dann Zweiter und Erster. Genau dieser Perfektionismus, gepaart mit seinen herausragenden Flugfähigkeiten, hat Schlierenzauer für die Vierschanzentournee wieder einen außergewöhnlichen Status beschert. Wenn am Samstag in Oberstdorf die Qualifikation für das erste Springen beginnt, ist er der uneingeschränkte Favorit.

Selbstverständlich nimmt Schlierenzauer diese Rolle an. Er ist der Titelverteidiger, der aktuelle Weltcupgesamtführende, und er strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Das unterstreicht er auch damit, indem er statt ich „ein Schlierenzauer“ sagt. Wer von sich selbst in der dritten Person spricht, sieht sich auf dem besten Weg zur Sportlegende. Und in gewisser Weise trifft dies auf Schlierenzauer tatsächlich zu. 22 Jahre ist er erst alt und hat in seiner Karriere bereits so gut wie alles gewonnen. Er ist Olympiasieger mit der Mannschaft, fünffacher Weltmeister, vierfacher Weltmeister im Skifliegen, Weltcupgesamtsieger und seit der vergangenen Saison nun auch Gewinner der Vierschanzentournee.

Schlierenzauer ist der Liebling der Werbung

Aus Marketingsicht verkörpert Schlierenzauer den perfekten Athleten. Denn er ist nicht nur ein Naturtalent und dazu ein Seriensieger. Der Tiroler hat noch mehr Facetten. Er interessiert sich für Fotografie, die Aufnahmen mit seiner Leica wurden bereits ausgestellt. Auch mit Mode und Design beschäftigt er sich. Er hat eine eigene Modelinie, auf der stets ein Logo mit seinen Initialen prangt – und dem Zeichen seines Hauptsponsors, einem österreichischen Brausekonzern.

Doch was treibt einen Sportler an, der in so jungen Jahren bereits so viel erreicht hat? „Ein Motivationsloch hatte ich eigentlich noch nie“, sagt er. Und der österreichische Cheftrainer Alexander Pointner betont: „Bei ihm ist sehr stark verankert, dass es immer nach vorne geht, dass es immer eine Weiterentwicklung gibt.“ Auch jetzt existieren noch Ziele, die Schlierenzauer anpeilt. „Das sind zwar Riesenfische“, sagt er, „aber ich glaube, die darf ich mir setzen.“

Der Rekord von 47 Weltcupsiegen ist das Ziel

Zum einen möchte er Einzelolympiasieger werden. Was ihn derzeit allerdings am stärksten motiviert: er will Matti Nykänen den Rekord für die meisten gewonnenen Weltcupspringen abjagen. 46-mal triumphierte der Finne, Schlierenzauer hat bereits 43 Siege. „Die 47 ist meine große Vision“, sagt er. „Sie hat sich mir in den Kopf gebrannt. Ich sehe nur noch die 47, überall. Ich will die ewige Nummer eins werden.“ Dieses unbedingte Streben nach Erfolgen und Rekorden stand Schlierenzauer früher oft im Weg. Zu verbissen agierte er, zu sehr wollte er die Dinge erzwingen. „Gregor war immer einer mit Ecken und Kanten, wo man auch oft durchschnaufen musste, wenn er irgendwo angeeckt ist“, sagt Pointner. Doch mittlerweile strahle er eine große Ruhe aus.

Zu dieser neuen Gelassenheit hat vor allem der Sieg bei der vergangenen Vierschanzentournee beigetragen. Sehr befreiend sei das für seinen Schützling gewesen, betont Pointner. Vergeblich war Schlierenzauer dem Titel hinterhergeflogen. „Ich weiß nun, dass man warten muss, und es passiert, wenn die Zeit reif ist“, sagt er. Mit diesem Vertrauen geht Schlierenzauer seine Ziele an. „Das Geilste ist, dass ich so jung bin. Ich habe keinen Zeitdruck, und wenn es zählt, werde ich meine sieben Zwetschgen beisammenhaben.“