Rein in die Matschhose und Gummistiefel und ab nach draußen: Hemmingen öffnet wohl noch dieses Jahr einen Naturkindergarten. Die künftige Leiterin hätte mit ihrer neuen Aufgabe am liebsten schon begonnen. Inwiefern profitieren die Jüngsten?

Strohgäu - Sie sei schon „ganz kribbelig“ und freue sich „total“, sagt Dina Modi, „am liebsten würde ich gestern beginnen“: Die 41-jährige Erzieherin aus Hemmingen wird den Naturkindergarten leiten, der im Ort wohl noch dieses Jahr öffnet. Einstimmig hat der Gemeinderat jetzt dem Projekt auf dem Grundstück südöstlich des Zeilwalds im Gewann „Buschpfad“ grünes Licht gegeben.

 

Rund 165 000 Euro kostet es, zwei Bauwagen aufzustellen – für den Aufenthalt bei ganz schlechtem Wetter wie Gewitter oder Sturm, für Handwerksarbeiten, als Stauraum für Spielsachen und Material für Vorschulkinder – und im Freien eine Feuerstelle, einen Sitzkreis mit Holzhackschnitzeln ausgelegt sowie eine Komposttoilette zu errichten. Eine Fotovoltaikanlage erzeugt Strom. Platz im neuen Kindergarten ist für 20 bis 25 Mädchen und Jungen im Alter von zwei oder drei bis sechs Jahren.

Natur- und Waldkindergärten liegen im Trend, die Wartelisten sind lang. In Hemmingen haben bereits etliche Eltern Interesse bekundet, wie zu hören ist. Die Gemeinde engagierte die Architektin Meike Kleinbrahm, die im Landkreis für mehrere Waldkindergärten verantwortlich zeichnet: In Großsachsenheim öffnete im April die dritte Waldkindergartengruppe, in Oberriexingen ging der Waldkindergarten vorigen September in Betrieb.

„Die Natur ist wichtig für die Entwicklung der Kinder“

„Ein solcher Kindergarten passt gut nach Hemmingen als waldbesitzende Gemeinde“, sagt der Bürgermeister Thomas Schäfer (CDU). Naturtage seien generell in Kitas immer sehr beliebt. Ein wesentliches Element für die Umsetzung eines Naturkindergartens sei, jemanden mit einer „eigenen Verbundenheit zum Thema“ an der Hand zu haben, sagt der Rathauschef. Wie Dina Modi.

Die Heilpädagogin bewirtschaftet privat „ein Feldchen“ und verbringt mit den eigenen wie Kita-Kindern möglichst viel Zeit im Freien. Nach der Geburt ihres nun acht Jahre alten Sohnes stellte sie fest, wie gut es ihm tue, draußen in der Natur zu sein und zu spielen. Aber nicht nur ihm. Ihre Idee damals, mit anderen Eltern einen Naturkindergarten zu gründen, verfolgte sie jedoch nicht weiter. „Die Natur bringt Kindern Ruhe und Entspannung und ist wichtig für ihre Entwicklung. Die Theorie dazu habe ich in Fortbildungen gelernt“, sagt Dina Modi. So sei mit dem Wald als Kletterparcours die motorische Förderung alltäglich und natürlich. Frische Luft stärke das Immunsystem.

Natur- und Waldkindergartenkinder hätten auch mehr Erfahrung mit Pflanzen und Tieren, dadurch, dass diese greif- und erlebbar seien, sagt Dina Modi, die auf einen lebenspraktischen Ansatz setzt. „Es liegt mir am Herzen, dass die Natur eine große Rolle spielt, die Kinder lernen, wo Pflanzen herkommen, wie Obst wächst – dass es Essen nicht nur vom Supermarkt gibt. An der Feuerstelle werden wir auch kochen.“ Umweltverschmutzung werde man im Wald ebenfalls sehen und dann thematisieren. „Es ist nachhaltig für die Umwelt, wenn man sich draußen aufhält“, sagt Dina Modi, die auch die möglichen Gefahren im Blick hat. Das sei eine Frage des Umgangs und Lernens: Wenn man mit den Kindern alles bespreche, ihnen die Gefahren aufzeige, wüssten sie Bescheid – „und die Gefahren sind dann nicht mehr so groß“.

Sicherheit in der Natur: Die wenigen Regeln sind streng

Für die 20 Buntspechte im kleinsten Ditzinger Stadtteil Schöckingen gelten dahingehend wenige, aber strenge Regeln. Das berichtet die Leiterin des Waldkindergartens, Iris Grossmann. „Die Kinder dürfen zum Beispiel nichts aus dem Wald und vom Boden essen und auch nichts pflücken, denn wir sind Gäste“, sagt die 31-Jährige. Sie arbeitet unter anderem mit dem Förster, benachbarten Holzkünstler, örtlichen Pferdehof und der Bücherei zusammen. Manchmal lädt sie auch Fachleute wie Pilzexperten ein. Auf Bäume dürfen die Kinder klettern – „aber nur, wenn sie allein hochkommen. Dann kommen sie auch allein runter. Sie kriegen so ein Gespür für Körperbewusstsein.“

Den Waldkindergarten Buntspechte trägt eine Elterninitiative. Sie gründete im März 2010 den gleichnamigen Verein. Die Zahl der Anfragen steigt, sagt Iris Grossmann. „Nachhaltigkeit ist ebenso gefragt wie Draußensein.“ Die Kinder, die vergleichsweise wenig krank seien, würden die Jahreszeiten genießen, wie sie seien. „Auch kalte Tage können schön sein. Wir bewegen uns dann viel, rodeln, machen Feuer. Es gibt nichts Schöneres, als in Pfützen zu hüpfen“, sagt Iris Grossmann und lacht. Für sie sei immer klar gewesen, dass sie beruflich im Freien sein will. Sie kommt aus der Landwirtschaft, ihr Anerkennungsjahr absolvierte sie auf einer Jugendfarm, später war sie in einem Regelkindergarten beschäftigt. Nun wolle sie „nie wieder etwas Anderes tun“.

Im Strohgäu gibt es neben den Buntspechten noch zwei Einrichtungen dieser Art: In der Ditzinger Kernstadt ist der Natur- und Tierkindergarten Lerche. Und im Korntal-Münchinger Stadtteil Münchingen öffnete vor gut 17 Jahren der Sonnenwirbel, auch ein Naturkindergarten mit Tieren. Er erhielt Anfang 2019 den Naturschutzpreis der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg. Derzeit prüft die Stadtverwaltung die Einrichtung eines Waldkindergartens. Dies schlugen Stadträte vor, um angesichts des Fachkräftemangels mehr Erzieher zu gewinnen.