Der Edeka-Weihnachtsspot mit dem einsamen Opa ist ein Lehrstück in Sachen Werbung anno 2015. Diese Art von Werbung ist manipulativ – aber die Leute lassen sich gern manipulieren, schreibt Jan Georg Plavec.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Alter, einsamer Mann an Weihnachten geht immer. So auch beim Werbespot der Supermarktkette Edeka, der seit seiner Veröffentlichung Ende November zum Musterbeispiel für Werbung in Zeiten des Internets aufgestiegen ist. Werbung anno 2015 will viral sein – also wie ein Virus Nutzer um Nutzer anstecken, auf dass er sie im besten Falle auch all seinen Internetfreunden empfehle.

 

Der Edeka-Opa lässt in Aussicht auf ein wieder mal einsames Weihnachtsfest seinen Kindern die Nachricht des eigenen Todes zukommen. Doch die Familie findet keinen Sarg, sondern einen gedeckten Tisch vor. Opa fragt: „Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?“ Schnitt: feuchte Augen, rauschendes Fest, Einblendung: „Zeit, heimzukommen“.

Jeder kann sich so eine Situation in der eigenen Familie vorstellen. Der Spot drückt so sehr auf die Tränendrüse, dass er nach Starthilfe durch einschlägige Blogger bald von normalen Internetnutzern in den sozialen Medien geteilt wurde. Danach berichteten auch klassische Medien – besser und kosteneffizienter kann Supermarktwerbung kaum funktionieren. Auf Youtube und Facebook wurde der Spot mehr als 60 Millionen Mal angesehen. Edeka will damit nicht bloß mehr Schweinehack verkaufen. Vielmehr hofft die Supermarktkette: Wenn die Gans gegessen, der Spot vergessen ist – dann haben sich die Leute gemerkt, dass Edeka eine sympathische Marke ist.

Und dann geht es erst richtig los

Das Netz der viralen Inhalte verwertet Inhalte weiter. Solche Remixes nennt man englisch Memes, zu deutsch etwas sperrig Internetphänomen. Ursprünglich entstanden Memes als kollektives Werk vieler Nutzer; ein jüngeres Beispiel sind die Fotomontagen mit der „Merkelraute“, Angela Merkels typischer Haltung ihrer Hände.

Auch der einsame Mann an Weihnachten ist zum Meme geworden. Am Montag veröffentlichten die TV-Komiker Joko und Klaas eine Parodie, in der Opa von der empörten Familie erschossen wird: „Du perverser alter Mann!“ In England kaperte Aldi einen Spot der Warenhausgruppe John Lewis mit Kind und Mann auf dem Mond in der Hauptrolle und münzte ihn zur Werbung für günstige Teleskope um. Mit diesem so genannten Guerilla-Marketing sammeln Aldi oder andere im Fahrwasser populärer Spots Millionen Klicks.

Anders als bei klassischen Memes sind die Nutzer hier nicht Urheber, sondern Konsumenten und Klickmasse. Natürlich wusste die Edeka-Werbeagentur Jung von Matt nicht, ob der Spot mit dem alten Mann ein Hit wird. Allerdings hat sie beim Edeka-Spot „Supergeil“ mit Friedrich Liechtenstein selbst gezeigt, wie es geht. Und: Emotionen im Netz sind planbar. Die Leute lechzen, wie nicht zuletzt der Edeka-Spot zeigt, nach gut gemachten, anrührenden Geschichten. Im Falle des Edeka-Opas ließen sich überdies Tausende zu höchst ernsthaften Netzdiskussionen hinreißen, ob Werbung so etwas zeigen darf.

Solche Werbeerfolge, für die Werbetreibende keine Anzeigenplätze buchen müssen, sind auch eine Lehre für konventionelle Spots: wenn sie den Zeitgeist trifft, ist Werbung kein wegzuklickendes Ärgernis – sondern wird gerne angesehen, gar weiterverbreitet. Man muss Werbung, die dick aufträgt und den Gefühlshaushalt ihrer Rezipienten als Klickressource nutzt, nicht gut finden. Manipulative Ansätze sind ja nicht neu; man denke an Spendenaktionen zur Weihnachtszeit. Merke: alter, einsamer Mann ging schon immer – dank Internet eben noch ein bisschen besser.