Grandios: Das Vision String Quartet ist im Stuttgarter Mozartsaal aufgetreten.

Stuttgart - Auf der Bühne steht ein Hocker. Sonst nichts. Keine Stühle, keine Pulte, keine Noten. Dann betreten vier junge Männer den Mozartsaal, und plötzlich ist die Bühne voll. Plötzlich ist Spannung da, Kommunikation, Konzentration – und eine Energie, die sich unmittelbar mitteilt. Dass das Vision String Quartet auswendig spielt, dass seine Mitglieder (mit Ausnahme des Cellisten) im Stehen musizieren, ist keine Marketingidee, kein von PR-Strategen erdachtes Alleinstellungsmerkmal, sondern Ausgangspunkt einer sehr besonderen Art des Umgangs mit Musik vergangener Tage.

 

Die klingt hier tatsächlich so, als hätten sie die vier Jungspunde aus Berlin gerade erst erfunden. Schuberts c-Moll-Quartettsatz zu Beginn ist ein in Extreme der Dynamik, der Farben und der Tempi getriebenes, von vier Bögen zum Tönen gebrachtes, von einem einzigen gemeinsamen Herzen durchpulstes Werk, das im Dialog, in ständigem wachem Augenkontakt entsteht, nicht nach Anweisungen eines Autokraten am ersten Pult. Bei György Ligetis erstem, noch stark an Bartóks Form- und Klangsprache orientiertem Streichquartett von 1953/54, einem hinreißenden Bravour- und Klangstück, weitet sich der basisdemokratische Ansatz des Miteinanders noch aus: Aus wenigen Tönen bestehende Keimzellen werden variierend durcheinander gewirbelt, ballen sich zu Tontrauben, gleiten mit einer Intensität, Dichte und Wucht aufwärts und abwärts, dass man meint, ein ganzes Orchester vor Ohren zu haben. Wann ist ein so radikales Stück zuletzt in der Kammermusikreihe der SKS Russ erklungen, und wann hat das Publikum dieses Stück dann auch noch so lange und laut bejubelt? Diese Musiker könnten wahrscheinlich sogar Morton Feldmans legendäres zweites Quartett so spannend spielen, dass einem beim Zuhören sechs Stunden lang der Mund offen stehen bliebe.

Beethoven können sie auch. Der Mittelsatz von dessen op 132, der „Heilige Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit“, ist beim Vision String Quartet ein kollektives Gebet, andächtig, versunken, zerbrechlich, eine unendliche Melodie, umrahmt von Gedankenfetzen, Rezitativischem, Assoziativem, Dissoziativem – später Beethoven, der eigentlich frühe Neuzeit ist, weil die Form zerbirst.

Mit den drei Zugaben, die sich das begeisterte Publikum erklatscht, untermauern die Streicher ihr Selbstverständnis: Das Vision String Quartet versteht sich nicht nur als klassische Formation, sondern auch als Band, und so gibt es in drei Eigenkompositionen ein launiges Pizzikato-Ständchen, postminimalistische Akkordverschiebungen sowie eine Art Meta-Zigeunermusik mitsamt Stehgeigern. Kommt wieder, Jungs, unbedingt!