Magnus Rembold sagt, die Idee sei eigentlich ganz einfach. Weil viele Städte und Kommunen bei der Energiewende nicht hinterherkommen und sich in Europas Häfen Solarmodule aus Asien stapeln, installieren Bürger zum Beispiel eine PV-Anlage auf dem Schul- oder Sporthallendach. Solche Bürgerenergiegenossenschaften sind keine neue Erfindung; was neu ist, ist die Onlineplattform zur Vernetzung und für Coaching, die Magnus Rembold entwickelt hat und von der sich der Mittfünfziger aus Asperg im Kreis Ludwigsburg mehr Motivation und Taten verspricht
Auf der Plattform der Bürgersolaroffensive kann man seine Postleitzahl eingeben und schauen, ob es um einen herum noch andere gibt, die Interesse haben. Eine Art Tinder für Energiewender. Im besten Fall mündet dies bald in eine Zusammenarbeit und dann in eine Energiegenossenschaft. Die Punkte, an die man dabei denken muss, werden mitgeliefert. Magnus Rembold glaubt, dass viele Menschen etwas für die Energiewende tun wollen, ihnen aber der Anschub dafür fehlt. Da will er mit seiner Idee nachhelfen.
Die Idee: Ökostrom mit Nachbarn teilen
In einem noch etwas ferneren Szenario würden die Bürger nicht nur gemeinschaftliche Energie produzieren, sondern sie auch direkt verbrauchen. Und obwohl der ehrenamtliche Erfinder das heute noch nicht wissen kann, solche Energiegemeinschaften könnten Keimzellen fürs Energy Sharing werden.
Energy Sharing ist in Deutschland vor allem der Fachszene ein Begriff, nicht dem breiten Publikum. Im europäischen Ausland ist das teils anders. In Spanien, Österreich oder Polen gehört das Energieteilen für viele schon zum Alltag. Energy Sharing meint, dass Ökostrom lokal produziert und verbraucht wird – über das öffentliche Netz.
Das Potenzial ist laut einer Analyse des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gesehen riesig. „Über 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland könnten mit vergünstigtem Energy-Sharing-Strom versorgt werden“, heißt es in der Studie im Auftrag von Bündnis Bürgerenergie. Zudem: „Wenn durch den gesetzlichen Rahmen der systemdienliche Ausbau und systemdienlichen Verbrauch angereizt wird, kann dies perspektivisch Netzausbaukosten und Abhängigkeiten von Rohstoffimporten verringern.“
Voraussetzung, damit Energy Sharing funktioniert, ist ein Smart Meter, ein intelligenter Stromzähler. Damit es sich auch lohnt, steht die Forderung im Raum, das allgemeine Stromnetz unentgeltlich oder zumindest vergünstigt nutzen zu dürfen. Das Solarpaket I, das im Mai dieses Jahres auf Bundesebene beschlossen worden ist, hat unter anderem die Netzentgelte erlassen, wenn Strom zwischen verschiedenen Parteien innerhalb eines Mehrparteienhauses verteilt wird. Sobald aber Strom ins Netz hinter dem Zählerplatz fließt, fallen Entgelte an.
Das sagt das Ministerium in Berlin
Am 28. August sei der Referentenentwurf zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Bereich der Endkundenmärkte, des Netzausbaus und der Netzregulierung in die Länder- und Verbändeanhörung gegangen, teilt ein Sprecher des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz auf Nachfrage mit. „Insbesondere Paragraf 42c dient der Umsetzung des Rechts auf Energy Sharing.“ In dem er erleichtern soll, selbst produzierten Strom mit den Nachbarn zu teilen; auch für Betreiber von Bestandsanlagen. Von erlassenen Netzentgelten ist da aber nicht die Rede.
Nicht alle sind bislang davon überzeugt, dass das Thema Energy Sharing in Deutschland auch wirklich Fuß fasst. Matthias Kühnbach zum Beispiel, derzeit noch am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, ab Mitte September Professor an der Hochschule Kempten, wo er eine neue Professur übernimmt: Dezentrale Netze für regenerative Energien. Technisch sei Energy Sharing möglich. „Es ist vor allem Dingen ein Abrechnungsthema.“ Momentan sei es eine Nische, und er sei sich nicht sicher, ob sich das je ändere.
Der in Deutschland zentrale Spotmarkt für Strom „funktioniert sehr effizient“, sagt Kühnbach. Ob Energy Sharing, auch nur als Ergänzung, effizienter sei als beispielsweise dynamische Stromtarife, sei bisher nicht belegt. Das gelte auch für die Frage, ob Energy Sharing tatsächlich bewirke, dass weniger Netze ausgebaut werden müssten. Das sei umstritten. Was man aber sicher sagen könne: Energy Sharing würde dem Netz nicht schaden. „Und man kann damit Akzeptanz schaffen für die Energiewende.“
So viel Geld müssten Privatpersonen investieren
Das ist aus der Sicht von Jan Wiesenthal der Knackpunkt. Er ist Mitautor der Potenzialanalyse des IÖW. „Und wir müssen auch Menschen in die Energiewende einbinden, die ansonsten nicht die Möglichkeit haben, finanzschwache Haushalte oder Menschen ohne eigenes Dach“, sagt er. Für nach ihrer Berechnung überschaubaren Beiträgen könnten sie sich am Bau gemeinsamer Anlagen beteiligen. Im Schnitt seien das zwischen 100 und 200 Euro pro Privatperson. Die Wissenschaftler sind dabei von einem Radius von rund 25 Kilometer um eine Anlage mit mindestens 100 Kilowattpeak Leistung ausgegangen.
Eine bisher unentschiedene Frage war, wie man mit dem Reststrom umgehe, sagt Wiesenthal. Müsste sich die Energiegemeinschaft darum kümmern oder könnte jeder seinen eigenen Reststromlieferanten wählen? Der neue Referentenentwurf sieht Letzteres vor. „Positiv dabei zu bewerten ist, dass für kleinere Anlagen die Lieferantenpflichten deutlich vereinfacht werden“, kommentiert Wiesenthal.
Wann daraus Gesetz wird? Offen. „Deutschland ist da in der Pflicht, die müssen da ran“, sagt Wiesenthal. Es handele sich um geltendes EU-Recht. Eine EU-Richtlinie fordert bereits seit 2019, dass in allen Mitgliedsstaaten die rechtlichen Voraussetzungen für Energy Sharing geschaffen werden sollen.
Auch Magnus Rembold aus Asperg beobachtet genau, was sich da gerade tut. Aber er sagt: Allein die Energiegenossenschaften, also gemeinsam Strom zu produzieren, würden sich rechnen. Wäre irgendwann zudem Energy Sharing möglich, würde das die Wirtschaftlichkeit zusätzlich erhöhen.
Zunächst müssen sich die Energiegenossenschaften aber finden. Die Erste, die mit der Plattform arbeitet, ist eine Genossenschaft aus Bergisch Gladbach (Nordrhein-Westfahlen); sie haben seit 2023 die ersten zwei Anlagen installiert. Und in Stuttgart-Botnang hat sich gerade eine Genossenschaft gegründet.
Gemeinsame Energie
Energiegenossenschaften
In Baden-Württemberg gibt es aktuell laut Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) 161 Bürgerenergiegenossenschaften. In Deutschland sind demnach rund 220 000 Menschen in 951 Energiegenossenschaften engagiert.
Bürgersolaroffensive
Weitere Informationen zum Projekt Bürgersolaroffensive von Magnus Rembold aus Asperg (Kreis Ludwigsburg) finden sich unter https://buergersolaroffensive.de/. Dort kann man direkt auf der Startseite seine Postleitzahl eingeben und schauen, ob es bereits Interessierte gibt. Und wer Infos zur neuen Energiegenossenschaft in Stuttgart-Botnang sucht: https://energie-fuer-botnang.de/. (ana)