Für Robert Habeck geht es in diesen Tagen nicht nur ums Gebäudeenergiegesetz. Er kämpft auch um seine weitere politische Karriere – und darum, dass ein großer persönlicher Traum vielleicht doch noch in Erfüllung gehen kann.

Erst mal muss das Sakko weg. Robert Habeck windet sich auf dem orangenen Drehstuhl aus seinem Jackett, geht drei Schritte in Richtung Ende der Bühne und wirft es in hohem Bogen weg. Dann setzt sich wieder neben den Moderator. Kein Sakko, kein Druck.

 

Der Vizekanzler ist in dieser Woche zu Gast auf der Digitalkonferenz „Republica“. Es ist ein Termin, wie er ihn selten hatte in den vergangenen Monaten. Ein Heimspiel, bei dem das Publikum immer wieder großzügig Applaus spendet. Nach dem Sakko streift Habeck auch eine Schicht von Politikerfloskeln ab. Er ermöglicht den Zuhörern einen kleinen Einblick in sein Gefühlsleben. „Man muss sagen, dass wir uns gerade wegbewegen von einer gesellschaftlichen Mehrheit für Veränderung“, sagt er. Und: „Wir waren als Gesellschaft schon mal weiter.“

Eine persönliche Sache

Für Robert Habeck geht es in diesen Tagen um alles. Die Frage, ob er erfolgreich eine Wärmewende auf den Weg bringt, ist eine, an der sich festmachen wird, ob er als Wirtschafts- und Klimaminister als erfolgreich oder als gescheitert gilt. Und: Es muss ihm mit einem Gesetz gelingen, mit dem er auch die Menschen im Land bei dem Projekt mitnimmt.

Für Habeck ist das zudem eine persönliche Sache – nicht nur, weil seine eigene Karriere daran hängt. Es geht um Grundlegendes. Als Habeck bei den Grünen durchstartete, war sein Mantra stets: Die Grünen dürfen nicht nur die ansprechen, die ohnehin schon von der hohen Priorität des Klimaschutzes überzeugt sein. Jetzt ist – auch durch Boulevardmedien befeuert – in vielen Köpfen das Bild eines Robert Habeck entstanden, der bei Menschen zu Hause eindringt und die Gas- oder Ölheizung rausreißen will. Das ist ein Image, mit dem niemand dauerhaft erfolgreich Politik machen kann.

Habeck sieht sich als Pragmatiker. „Die zentrale Frage, die er sich stellt, lautet: Wie kann es funktionieren?“, sagt Ingrid Nestle. Sie ist Bundestagsabgeordnete für die Grünen und kennt Habeck gut. Unter ihm war sie Staatssekretärin im Umweltministerium von Schleswig-Holstein. Sie habe ihn als „Chef auf Augenhöhe“ erlebt, sagt Nestle. Und als progressiv: „Er erlaubte mir, ein Jahr lang in Elternzeit zu gehen, in der Politik immer noch etwas Besonderes“, erzählt sie.

Er verlange aber auch Flexibilität. „Manchmal berief er recht kurzfristig Besprechungen ein. Wenn man da nicht konnte, obwohl man formal beteiligt werden musste, dann musste man damit leben.“ Das habe nicht allen im Ministerium gefallen. Von Dienstwegen hält Habeck offenbar nicht viel. Das zeigt er auch, als er das Berichterstattergespräch zum Heizungsgesetz persönlich führte. Eigentlich ein Termin, den Minister ihren Staatssekretären oder hohen Beamten überlassen.

Vom Risiko, sich korrigieren zu müssen

Was Habeck ausmache, sei der Wunsch, Dinge anders zu machen, sagt Nestle. „Viele Politiker wollen einfach durchkommen, so ist er nicht.“ Habeck habe den Willen zur Veränderung und sei auch bereit, dafür ins Risiko zu gehen.

Eines ist sicher: Der Satz „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, mit dem FDP-Chef Christian Lindner im Jahr 2017 die Jamaikaverhandlungen platzen ließ, würde ihm nie über die Lippen kommen. Habecks Prinzip ist: Es ist besser, Fehler zu machen, sich auch mal korrigieren zu müssen, als nichts zu tun, als das Land nicht voranzubringen. Nur: Es waren bei Habeck zu viele Fehler zuletzt.

Als eine sehr frühe Version des Heizungsgesetzes an die Öffentlichkeit gelangte, war er nicht in der Lage, das Projekt richtig zu verteidigen. Die Kampagne gegen das Heizungsgesetz verfing auch deshalb, weil Habeck es nicht schaffte, eine richtige Antwort darauf zu finden. Ausgerechnet Habeck, früher von vielen als der lässige Welterklärer gefeiert, stand auf einmal sprachlos da.

Sein heikelster Fehler bisher betraf aber den Fall Patrick Graichen. In Habecks Ministerium war der Staatssekretär derjenige, der das Prestigeprojekt Energiewende umsetzen sollte. Er ist Experte auf seinem Gebiet, das geben sogar Kritiker zu. Doch der Staatssekretär hatte in einem Vergabeverfahren für einen lukrativen Geschäftsführerjob bei einem staatlichen Unternehmen für seinen Trauzeugen ausgesprochen. Ein No-Go.

Die späte Entlassung

Dennoch stellte Habeck sich vor Graichen. Er warf Kritikern sogar vor, mit den Attacken gegen Graichen die Klimapolitik generell angreifen zu wollen. Dabei kann man Habecks Klimapolitik richtig finden, die Vorgänge im Ministerium aber falsch. Erst als eine interne Prüfung im Ministerium einen weiteren Verstoß Graichens gegen Verhaltensregeln ergab, änderte Habeck seine Haltung. Graichen hatte im November 2022 einen 600 000 Euro schweren Projektantrag abgezeichnet, dessen Nutznießer der BUND-Landesverband Berlin ist. Dort war Graichens Schwester Verena Graichen bis Mai 2022 Landesvorsitzende. Habeck sah ein, dass Patrick Graichen nicht zu halten war und entließ ihn.

„Ohne Politik wäre es bequemer gewesen“, sagte Habeck einmal über sich selbst. „Robert ist gemacht für die Politik“, sagt seine Ehefrau Andrea Paluch. Mit ihr hat er vier Söhne, sie übersetzten gemeinsam Gedichte, schrieben Kinderbücher und Romane. Habeck war schon 32, als er Mitglied bei den Grünen wurde. Er legte einen rasanten Aufstieg hin – und hat danach den Zyklus von Hype und Absturz in der Politik schon einmal erlebt.

Die K-Frage und eine schmerzhafte Antwort

Als er im Jahr 2018 gemeinsam mit Annalena Baerbock Parteichef bei den Grünen wurde, galt er bei fast allen als die wahre Nummer eins. Doch im Kampf um die Kanzlerkandidatur setzte sich später Annalena Baerbock durch. Als die Entscheidung in der Partei anstand, sah die Partei in ihm zwar immer noch den besseren Redner, viele hielten sie aber für inhaltlich sattelfester. Die Grünen sind eine feministische Partei. Wieso sollten – neben SPD und CDU – auch sie noch einen Mann über 50 aufstellen, wenn es doch Baerbock als Alternative gab?

„Liebe Annalena, bitte, die Bühne gehört dir“, sagte Habeck, als er selbst Baerbock im April 2021 als Kanzlerkandidatin vorstellte. Er lächelte tapfer. Kurz darauf sprach er in der „Zeit“ vom „schmerzhaftesten Tag“ in seiner politischen Laufbahn.

Nach der Bundestagswahl wurde Habeck – und nicht Baerbock – in der Ampelkoalition Vizekanzler – offenbar, weil es eine Absprache über eine solche Rollenverteilung gab, wenn Baerbocks Wahlkampf schlecht laufen sollte. Baerbock und Habeck konkurrieren weiter um die nächste Kanzlerkandidatur. Doch erst einmal muss die Partei es schaffen, dass sie bei der nächsten Wahl überhaupt wieder einen Kanzlerkandidaten oder eine Kanzlerkandidatin braucht.

Bei der Digitalkonferenz „Republica“ in dieser Woche möchte eine junge Frau aus dem Publikum von Habeck wissen, was denn getan werden könne, um die Klimaziele zu erreichen. Da schlägt Habeck noch einmal den Bogen zum Heizungsgesetz: Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral sein wolle, dann ginge es logisch nicht, immer neue Öl- und Gasheizungen einzubauen. „Das ist das Ding, das jetzt geklärt und durchgekämpft werden muss“, sagt er.

Dann verabschiedet sich Habeck mit den Worten: „Und jetzt lasse ich euch alleine und kämpfe weiter.“ Was er nicht sagt: Es ist auch ein Kampf um seine Zukunft.