Eigentlich gefällt der Standort des Taubenhauses in Bad Cannstatt niemandem, weder den Nutzern des Parkhauses Mühlgrün noch den Tauben.

Bad Cannstatt - Eigentlich gefällt der Standort des Taubenhauses in Bad Cannstatt niemandem. Nicht der Caritas, die das Projekt zur Geburtenkontrolle der Vögel leitet. Nicht der ehrenamtlichen Helferin Charlotte Kunkel, die seit den Anfangszeiten 2010 regelmäßig nach dem Rechten schaut, nicht den Nutzern des Parkhauses geschweige denn den Nachbarn, die verkotete Fassaden zu beklagen haben – und auch den Tauben nicht. Denn obwohl die Zahl der ausgetauschten Eier in dem Schlag auf dem Parkhaus Mühlgrün in den ersten beiden Jahren hoch war, ist die Zahl 2012 stark zurückgegangen. Auch 2013 erwartet die Caritas mehr als 100 ausgetauschte Eier.

 

Der Grund ist recht einfach: Das Taubenhaus ist relativ gut zugänglich auf dem oberen Parkdeck des Parkhauses am Neckar platziert. Obwohl ein Bauzaun die Menschen von dem Taubenschlag fern halten soll, verschaffen sich immer wieder einige Zeitgenossen Zugang. Mal pinkeln sie hinter das Haus oder übergeben sich dort, hinterlassen ihren Müll und leere Flaschen oder randalieren regelrecht. Der Einflug für die Tauben ist schon einmal zerstört worden – und es wurde auch schon eingebrochen. „Dabei gibt es doch nichts zu Klauen“, sagte Annett Amm, die Leiterin des Taubenprojekts bei der Caritas Stuttgart.

Die Taubeneier werden gegen Gipsattrappen ausgetauscht

Regelmäßig kommen sie und ihre Mitarbeiter an den sieben Taubenhäusern in der Stadt vorbei und schauen nach dem Rechten. Sie bringen Futter, füllen Wasser auf, machen sauber – und vor allem tauschen sie die frisch gelegten Taubeneier gegen Gipsattrappen aus. Denn genau das ist der Zweck der Taubenschläge: Auf diese Weise soll in der Stadt die Zahl der Tauben artgerecht reduziert werden. Nehmen die Tauben einen Schlag an, dann hat das Vorteile für alle: Weniger Tauben, weniger Verschmutzung in der Stadt, weil die Tiere sich vor allem in den Schlägen aufhalten, und gesunde Tiere, weil sie artgerechtes Futter bekommen.

In Bad Cannstatt funktioniert das allerdings nur bedingt. „Die Tauben verweilen nicht mehr so lange im Taubenhaus, weil sie hier keine Ruhe haben“, sagt Amm. Sie vermutet, dass die scheuen Tiere gerade noch zum Futtern auf das Parkhaus kommen und dann woanders brüten. Das ist schlecht für die Geburtenkontrolle: „Nur über die ausgetauschten Eier ist das Projekt erfolgreich“, sagt Amm.

Tauben haben bei den meisten Menschen keine gute Lobby

Immer wieder gibt es Überlegungen, das Taubenhaus anderswo aufzubauen. Aber: „Man findet keine alternativen Standorte“, sagt Charlotte Kunkel, die einmal pro Woche nach dem Schlag in Bad Cannstatt schaut. Laut Annett Amm stand auch schon der Bad Cannstatter Bahnhof zur Debatte als Standort, „aber es gab kein Interesse.“

Das Problem: Tauben haben bei den meisten Menschen keine gute Lobby – werden sie doch oft als Ratten der Lüfte bezeichnet und rufen immer wieder negative Reaktionen hervor. „Taubenschläge finden viele Menschen gut, aber nicht in der eigenen Nähe“, berichtet Annett Amm. Vor einigen Wochen musste etwa der Schlag im Hauptbahnhof Stuttgart abgebaut werden wegen der Bauarbeiten für Stuttgart 21, doch Alternativen gibt es derzeit nicht. Im Moment werden die Tauben an der Kriegsbergstraße gefüttert, um die standorttreuen Tiere in der Nähe zu halten. Einen neuen Schlag zum Brüten gibt es allerdings nicht. „Wir brauchen mehr Standorte in der Stadt“, betont Amm. Deswegen sucht die Caritas auch nach privaten Hausbesitzern, die etwa ihren Dachstuhl zur Verfügung stellen. Amm: „Je mehr Taubenschläge wir haben, desto besser ist es für das Projekt.“ Und desto besser funktioniert die Geburtenkontrolle bei den Tauben.

Das Stuttgarter Stadttaubenprojekt

Seit 2008 gibt es das Stuttgarter Stadttaubenprojekt als Kooperation des Tierschutzvereins Stuttgart, der Caritas Stuttgart sowie der Stadt Stuttgart. Durch die Bindung der Tauben an einen Schlag und der gezielten Fütterung mit artgerechtem Futter beginnen die Tiere im Schlag zu brüten. Die Eier werden durch Gipseier ausgetauscht, sodass es weniger Tauben in der Stadt gibt. Da die Vögel auch die meiste Zeit des Tages in ihrem Schlag verbringen, verschmutzen sie auch die Stadt weniger.

Seit Beginn des Projekts sind stadtweit rund 4000 Eier ausgetauscht worden. In Bad Cannstatt waren es im Anfangsjahr 2010 noch 270 ausgetauschte Eier und 2011 schon 378. Doch im Jahr 2012 sank die Zahl auf 98 Eier. Die Caritas schätzt, dass 2013 ebenfalls weniger als 100 Eier ausgetauscht werden.

Die heutigen Stadttauben sind verwilderte Haustiere. Von der Felsentaube abstammend, hat der Mensch sie seit Jahrhunderten gezüchtet und genutzt – als Fleisch- oder Eierlieferant, Briefbote oder Liebhaberobjekt. Dadurch brüten die Tauben ganzjährig, sind standorttreu und können als Felsenbrüter auch nicht aufs Land vertreiben werden. Das eigentliche Problem in der Stadt ist die Verschmutzung durch den Taubenkot; das Risiko von Krankheitsübertragungen auf den Menschen gilt als gering.