Ermittler der Vereinten Nationen werfen Myanmar Völkermord gegen muslimische Rohingya vor. Eine 20-Jährige erzählt.

Cox’s Bazar - Hasina Begum wird ihres Lebens nicht mehr froh. Die 20-jährige Mutter eines einjährigen Sohns und einer dreieinhalb Jahre alten Tochter kauert auf dem Boden ihrer Hütte aus Bambusgittern und Zeltplane, die sie mit zehn anderen Personen im Flüchtlingslager Kutapalong nahe des Küstenorts Cox’s Bazar in Bangladesch teilt. Mit monotoner Stimme berichtet sie von jenem 28. August vor einem Jahr, als sie ihren Ehemann zum letzten Mal sah. „Sie haben ihn verhaftet. Seit dem ist er spurlos verschwunden“, sagt die junge Frau, die sich als Witwe fühlt. Hasina Begum gehört zu den Rohingya-Frauen, die vor ihrer Zwangsvertreibung vergewaltigt und von den Tätern in einer perversen, fast rituell anmutenden Demütigung mit Bissen gezeichnet wurden.

 

„Ich hatte einen Biss vom Dorfpolizisten“, erzählt die 20-jährige Frau, „ich weiß nicht, ob die Wunde eine Narbe hinterlassen hat.“ Sie kann oder will ihren Körper nicht mehr betrachten, seit sie in einer der Gebäudehallen ihres elterlichen Heimatdorfes mit 19 anderen Frauen missbraucht wurde. „Da waren 100 Soldaten und Angehörige der lokalen Milizen. Fünf von ihnen haben mich vergewaltigt“, sagt sie. Myanmars Streitkräfte reagierten mit ihrem Vorgehen auf eine Attacke der bewaffneten Rohingya-Untergrundgruppe Arsa auf Polizeiposten. Ermittler der Vereinten Nationen (UN) und von Menschenrechtsorganisationen haben bei ihren Untersuchungen entdeckt, dass Myanmars Tatmadaw, wie die Streitkräfte des Landes genannt werden, vor einem Jahr nicht nur eine systematische und bis ins Detail vorbereitete ethnische Säuberung gegen die Rohingya, eine islamische Minderheit im überwiegend buddhistischen Myanmar, vollzogen. Laut zahlreichen übereinstimmenden Berichten suchten sich die Soldaten gemeinsam mit der buddhistischen Bevölkerung die hübschesten Frauen der Rohingya heraus und missbrauchten sie über Stunden. Viele Opfer flohen danach ins Nachbarland mit Bisswunden der Täter.

Die Erinnerungen haben sich wie Krebsgeschwüre im Kopf festgesetzt

„Wir hören das immer wieder“, sagt die Mitarbeiterin einer der vielen Hilfsorganisationen, die von Cox’s Bazar an der Südostküste von Bangladesch humanitäre Hilfe für die vertriebenen und staatenlosen Rohingyas leisten. Bislang gab es diese Aussagen selten in Untersuchungsberichten.

Hasina verlor das Bewusstsein und kam wieder zu sich, als die Militärs verschwunden waren. Ein Jahr nach der Vertreibung aus ihrer Heimat im Norden des Rakhine-Staats von Myanmar nahe der Grenze zu Bangladesch scheinen sich die Erinnerungen wie Krebsgeschwüre in den Köpfen der Opfer festgesetzt zu haben. „Mein Leben ist entehrt worden“, sagt Hasina mit Tränen in den Augen. Ihre Stimme wird so laut, dass die Verwandten sie zu beruhigen versuchen. Die Nachbarschaft in Kutapalong, seit einem Jahr das größte Flüchtlingslager der Welt mit mehr als 700 000 Rohingyas, soll nicht unnötig auf das Schicksal der jungen Frau aufmerksam gemacht werden. Das Stigma der Vergewaltigung weht wie die Pest durch die engen Gassen des Lagers.

Hasina geht nur einmal im Monat vor die Tür: Wenn die Nahrungsmittel verteilt werden, mit denen die internationale Gemeinschaft die staatenlosen Rohingyas vor dem Verhungern bewahren. Das bisschen Ehre, das sie noch besitzt, verteidigt die junge Frau mit Händen und Füßen. „Mein Sohn wurde in Myanmar geboren“, betont sie. Der Geburtsort des lebhaften Jungen gilt als Ehrenbeweis. Denn ein Jahr nach der Vertreibung kommt oft der Verdacht hoch, dass ein neugeborenes Kind zu den „Vergewaltigungsbabys“ zählt. 48 000 Säuglinge werden laut Schätzungen internationaler Organisationen in diesem Jahr geboren. Wie viele davon „Rape-Babies“ sind, weiß niemand genau – und will niemand so genau wissen. „Wir wollen das Stigma nicht verstärken“, heißt es bei einer Hilfsorganisation.

Die Regierung von Bangladesch besteht auf die Heimkehr der Rohingyas

Etwa 2000 Frauen wurden während der Säuberung von Nord Rakhine durch Myanmars Streitkräfte vergewaltigt. So lautet das Ergebnis einer Umfrage, bei der im Auftrag der Arakan Rohingya Society for Peace and Human Right die Lagerbewohner in Kutapalong befragt wurden. Die Selbsthilfegruppe der Flüchtlinge lieferte außerdem die ersten Opferstatistiken: Danach kamen vor einem Jahr insgesamt 9200 Rohingyas ums Leben, 72 500 Häuser wurden verbrannt und 75 000 geplündert.

Trotz dieser Erfahrungen besteht die Regierung von Bangladesch auf der Heimkehr der staatenlosen Rohingyas nach Myanmar. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, Myanmars Chefin des zivilen Teils der Regierung, beharrte jüngst darauf, dass sicherheitspolitische Bedenken eine schnelle Rückkehr verhindern würden. Hasina Begum, die 20-jährige Witwe in Kutapalong, sagt wütend: „Die haben mir meinen Mann genommen, meine Vergewaltiger laufen frei herum und ich werde für den Rest meines Lebens gebrandmarkt sein. Ich lasse mich lieber hier in Kutapalong an Ort und Stelle erschießen, als dass ich nach Myanmar zurückgehe.“