Ein Völkerrechtler hat an der Legalität der Aktion gegen bin Laden Zweifel. Sie ließe sich nur unter engen Voraussetzungen rechtfertigen.  

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Der Völkerrechtler Gerd Hankel hat an der Legalität der Aktion gegen bin Laden Zweifel. Sie ließe sich nur unter engen Voraussetzungen rechtfertigen.

 

Herr Hankel, ist der US-Einsatz gegen bin Laden vom Völkerrecht gedeckt?

Nur wenn er mit Zustimmung Pakistans erfolgt ist und nur wenn bin Laden sich tatsächlich zur Wehr gesetzt haben sollte, ist das völkerrechtlich in Ordnung. Man unterscheidet im Völkerrecht zwischen Kombattanten und Zivilisten. Kombattanten dürfen bekämpft werden, Zivilisten nur dann, wenn sie unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen. Als Gallionsfigur des Terrors kann man in bin Laden schon einen Kombattanten sehen. Der Kampf gegen Al-Qaida ist Teil des Afghanistan-Einsatzes. Beides findet statt mit Zustimmung der afghanischen Regierung und mit Zustimmung Pakistans.

Es gibt aber Zweifel, ob Pakistan involviert war?

Sollte Pakistan nicht eingebunden gewesen sein, wäre dies eine eklatante Souveränitätsverletzung. In diesem Fall hätte man den Angriff nicht durchführen dürfen.

Zumindest zweifelhaft ist doch auch die Frage, wie sehr bin Laden überhaupt noch als militärischer Führer begriffen werden konnte?

Ganz grundsätzlich gilt im humanitären Völkerrecht, dass man den Feind festnehmen sollte. Hier schwebt nun in der Tat über allem der große Zweifel, warum bin Laden getötet worden ist. Die Aktion erinnert schon sehr stark an eine Liquidation.

Ist der Kampf gegen den Terror überhaupt vereinbar mit dem Völkerrecht?

Was diese Beziehung so problematisch macht, ist, dass hier völkerrechtliche Elemente, etwa das klassische Kriegsrecht, mit Elementen des Polizeirechts vermischt werden. Die Grenzen des Polizeirechts werden dabei einfach aufgeweicht. Was es nicht hergibt - ein aggressiveres Vorgehen oder die Vernichtung des Gegners -, holt man sich jenseits seines eigentlichen Geltungsbereichs.

Wie auslegungsfähig ist das Völkerrecht?

Damit die Staaten dem Völkerrecht zustimmen, auch in Situationen, die ihnen selbst Fesseln auferlegen könnten, gibt es eine Reihe von Bestimmungen, die sehr interpretationsfähig sind. Dazu gehört etwa der Begriff der Verhältnismäßigkeit. Da gibt es keine Regel, das ist letztlich eine Entscheidung des befehlsgebenden Politikers. Das nimmt dem Völkerrecht, bei dem es ja keinen internationalen Souverän gibt, viel von seiner Rechtsqualität.

Aber es gibt die Genfer Konvention.

Das erste Zusatzprotokoll für den internationalen bewaffneten Konflikt haben die USA zwar ratifiziert, gleichzeitig aber bei vielen Artikeln, die jetzt auch im Falle bin Ladens von Belang sein könnten, Vorbehalte erklärt.

Die Frage gezielter Tötungen stellt sich ja auch mit Blick auf den libyschen Machthaber Gaddafi.

Man könnte auf diese Weise elegant vermeiden, dass Bodentruppen - die das UN-Mandat ja ausschließt - eingesetzt werden müssen. Zwar schließt die Resolution auch den Tyrannenmord aus, aber sie sieht den Schutz der Zivilbevölkerung vor. Hier stellt sich dann wieder die Frage nach der Interpretierbarkeit.

Sind Sie grundsätzlich gegen gezielte Tötungen?

In Extremfällen, wenn es keine Handlungsaltenative gibt, ist das zulässig - vorausgesetzt, es wurde alles unternommen, um Kollateralschäden zu vermeiden. Alles andere wäre wirklichkeitsfremd.

Kriegsverbrechen im Fokus

Völkerrechtler: Gerd Hankel ist Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung. Der Völkerrechtler befasst sich seit Jahren mit Kriegsverbrechen und deren juristischer Aufarbeitung. In seinem neuen Buch „Das Tötungsverbot im Krieg“ behauptet er, dass die bisherigen Regeln des Völkerrechts nicht mehr zu den aktuellen Konfliktsituationen passen. Er hat unter anderem an der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht. Dimension des Vernichtungskrieges 1941-1944“ mitgearbeitet.