Völkerverständigung im Kreis Böblingen Begegnungen, die bereichern
Gemeinsames Fastenbrechen und eine mögliche Partnerstadt in der Türkei festigen Bande zwischen den Kulturen – und sind eine Bereicherung.
Gemeinsames Fastenbrechen und eine mögliche Partnerstadt in der Türkei festigen Bande zwischen den Kulturen – und sind eine Bereicherung.
Sindelfingen schickt sich an, seinen Kreis der Partnerstädte in Richtung Kleinasien zu erweitern: Eine elfköpfige Delegation reiste für zwei Tage in die türkische Küstenregion Muğla, um erste offizielle Bande der Freundschaft zu knüpfen. Aus Beobachtungen vor Ort lässt sich schließen: Das hat geklappt. Der Besuch aus Deutschland wurde mit offenen Armen empfangen. Das aber nicht aus rein wirtschaftlichen oder gar finanziellen Überlegungen. Die Offiziellen auf türkischer Seite betonen, es gehe ihnen vor allem um Annäherung. Eine erfreuliche Avance.
Denn beim genauen Hinsehen wird deutlich, dass eine engere Verbindung in die Türkei für Sindelfingen längst überfällig ist. Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund liegt in der Daimler-Stadt bei über 50 Prozent. Die Türkischstämmigen bilden darin mit Abstand die größte Gruppe: über 6000 Menschen in der Stadt haben einen türkischen Hintergrund. Sie bilden einen festen Bestandteil der Stadtgesellschaft. Eine türkische Partnerstadt gäbe dem einen offiziellen Rahmen, wäre ein wichtiges Signal.
Die Partnerschaft würde darüber hinaus die demokratischen und pro-westlichen Kräfte in Muğla stärken. In Person: der Oberbürgermeister der Großstadtgemeinde Ahmet Aras sowie die Bürgermeisterin von Muğla-Mentese, Gonca Köksal. Sie beide stehen exemplarisch für den Politikwechsel in dem Land, der sich nach über 20 Jahren Erdoğan-Regentschaft abzeichnet. Zwar erst auf lokaler Ebene, aber immerhin: Bei den Präsidentschaftswahlen 2024 ging auch die kulturelle Hauptstadt Istanbul an die Sozialdemokraten von der Cumhuriyet Halk Partisi (CHP), der größten Oppositionspartei. Eine Schmach für den zunehmend autoritär regierenden Präsidenten. Unter ihm fährt die Türkei in zunehmend problematisches Fahrwasser: Eine harsch eingeschränkte Pressefreiheit paart sich mit horrenden Inflationsraten von über 20 Prozent.
Die klare Öffnung nach Europa, die Muğlas Oberbürgermeister Ahmet Aras am letzten Abend in den Satz „Europa ist hier“ goss, ist eine ausgestreckte Hand nach Sindelfingen. Sie sollte ergriffen werden in Form einer wohlwollenden Entscheidung im Sindelfinger Gemeinderat. Denn eine andere Städtepartnerschaft hat sich merklich abgekühlt. Im ungarischen Györ spielt Sindelfingen hinter Erfurt, Ingolstadt und Pforzheim nur noch die vierte Geige. Ein frischer Wind aus der Ägäis täte also gut. Auch wenn die Anreise beschwerlicher sein mag als nach Corbeil-Essonnes oder Sondrio.
Die Hand reichen sich Christen und Muslime mittlerweile immer häufiger auch bei der gemeinsamen Tradition des Fastens beziehungsweise des Ramadans. Die Phase des Verzichts fällt in diesem Jahr auf die Zeit zwischen dem 1. und 30. März. Nach Sonnenuntergang darf und soll aber zugegriffen werden, und dies gemeinsam mit anderen Glaubensrichtungen zu tun und sich zu öffnen, ist eine schöne Geste und ein wichtiger Beitrag zur Integration. Sie findet nun schon zum dritten Mal im katholischen Gemeindezentrum St. Bonifatius in Böblingen statt.
Eine muslimische Tradition wird also unter dem Kruzifix zelebriert: Mehr religiöse Grenzüberschreitung geht kaum. Dass sie seit Jahren ohne Nebengeräusche möglich ist und immer mehr Anhänger findet, ist den Machern um Andreas Senn vom interreligiösen Projekt „Dem Himmel nah“ und Oktay Keskin vom Verein „Vision für ein besseres Miteinander“ zu verdanken. Gerade in der aktuellen Weltlage ist ein Austausch wie dieser wichtiger denn je.
In Zeiten, in denen rechtspopulistische Kräfte im Aufwind sind – national wie international – gibt es auf lokaler Ebene also ganz andere, die Völker verbindende Entwicklungen. Das lässt hoffen.