Seit vielen Jahren päppelt Almuth Eberius kleine und kranke Piepmätze auf. Mehreren tausend Tieren hat sie so schon das Leben gerettet. Nun möchte sie ihre private Aufzuchtstation schließen, sie sucht eine Nachfolgerin.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Vaihingen - Mit einem Distelfink unter einem Kastanienbaum hat alles angefangen. Der kleine Vogel war aus dem Nest gefallen. Almuth Eberius hörte sein klägliches Piepen, als sie auf den Weg ins Labor über den Hof lief. Das war im Jahr 1962, und Eberius arbeitete zu jener Zeit als Kinderkrankenschwester in Göttingen. Ihre damalige Chefin habe ihr nur zähneknirschend erlaubt, einmal am Vormittag auf ihre Stube zu gehen, um den kleinen Vogel zu füttern. An den Tagen, an denen ihre Chefin nicht da war, brachte sie den Vogel mit ins Krankenhaus. Er verbrachte die Stunden in der Wäscherei. „Dort war er natürlich die Attraktion“, erinnert sich Eberius. Einer der Ärzte machte ein Video von ihr und ihrem Schützling. Stolz zeigt Eberius einige Fotos, die aus diesem Video heraus entstanden sind.

 

Der kleine Distelfink war der erste Vogel, den sie erfolgreich aufpäppelte und wieder auswilderte. Viele weitere folgten. Eberius schätzt, dass es in all den Jahren mehrere tausend waren. Seit 1970 wohnt sie in Stuttgart-Vaihingen, weil ihr Mann dort einen Job angeboten bekam. Schnell wurde das Haus an der Gartenstraße zu einer privaten Aufzuchtstation für kleine und kranke Vögel. Am Anfang waren es nur wenige Tiere. Schließlich hatte Eberius mit ihren vier Kindern alle Hände voll zu tun. Doch als 1989 eine gewisse Frau Bauer verstarb, die viele Jahre lang in Kooperation mit dem Stuttgarter Tierheim Vögel in Pflege genommen hatte, trat Eberius ihre Nachfolge an. „Die Aufgabe reizte mich. Und als mein Mann mich auch noch dazu ermunterte, war ich mir sicher, dass ich das will“, sagt die Tierliebhaberin.

Die Saison dauert von April bis September

Bereut hat sie diesen Schritt nie. Auch wenn das Ehrenamt sehr zeitaufwendig ist. „Man ist gebunden“, sagt die heute 78-Jährige. Kleine Vögel müssen von morgens 6 Uhr bis abends 21.30 Uhr regelmäßig alle 60 bis 90 Minuten versorgt werden – mit einer Pinzette bekommen sie Futter und mit einer feinen Spritze Wasser eingeflößt. Das Wissen über die Aufzucht und die Pflege von Vögeln hat sich die Seniorin über viele Jahre hinweg angeeignet. Sie weiß, wer welches Futter braucht. Sie sammelt die entsprechenden Kräuter und Zweige für die Vegetarier und sucht im Garten nach Würmern für die Fleischfresser.

Die Saison dauert von April bis September. In dieser Zeit wurden Eberius Jahr für Jahr etwa 100 Vögel gebracht. Doch nicht alle schafften es. Eberius schätzt, dass sie etwa vier Fünftel der kleinen Vögel durchgebracht hat. Auf die Frage, warum sie sich immer wieder der kleinen Vögel annimmt, antwortet sie: „Es fasziniert mich, sie aufwachsen zu sehen. Und es berührt mich, wenn mir so ein nackiges oder verletztes Ding gebracht wird.“ Sie gebe sich nicht der Illusion hin, dass sie mit ihrem Engagement den Bestand der Vögel sichern könne. Das gehe nur, indem zum Beispiel der Nabu Biotope einrichte.

Was Eberius besonders wichtig ist: „Es ist gesetzlich verboten, Wildvögel im Käfig zu halten.“ Das bedeutet, dass die Tiere, wenn sie fit genug sind, wieder raus in die Natur müssen. Eberius hat dazu eine Auswilderungsvoliere im Garten. Dort können sich die gefiederten Freunde langsam an das Leben in Freiheit gewöhnen. Einige Vögel bleiben nach ihrer Auswilderung in der Nähe, sodass Eberius sie noch eine Weile beobachten kann. Doch die meisten sind schnell auf und davon.

Die Vögel haben ein eigenes Zimmer

Doch einige Vögel bleiben für immer. Nämlich die, die draußen in der Natur keine Chance mehr hätten. Zum Beispiel der kleine Geck, eine Krähe, welcher der Oberschnabel fehlt. Oder der freche Star Augustin, der nur noch kurze Strecken fliegen kann. Und die Graugans Maxi, eine Handaufzucht, die viel zu sehr auf den Menschen fixiert ist, als dass sie selbst für sich sorgen könnte. Einige dieser Tiere leben in Eberius’ Vogelzimmer, wo sie auch fliegen dürfen. Andere haben ihre Volieren im Garten.

Mehr Vögel werden es nicht mehr werden. Denn an Eberius Gartentür hängt ein Schild, dass sie keine Tiere mehr annimmt. Ihre Gesundheit und ihr Alter würden das nicht mehr zulassen, sagt die Seniorin. Nun sucht sie einen Nachfolger. „Doch zu dieser Aufgabe gehört ein fester Wille“, sagt die 78-Jährige. Sie setzt darauf, dass wer Interesse hat, sie darauf anspricht. Mehr Werbung wolle sie dafür nicht machen. „So etwas muss aus einem selbst herauskommen“, findet Eberius und sichert zu: „Ich würde meinem Nachfolger aber selbstverständlich mit Rat und Tat zur Seite stehen.“