Voith-Chef Hubert Lienhard, der auch Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses ist, will mit Technologien die Entwicklung in China unterstützen. Der Maschinenbauer investiert in Innovationen wie eine Internetplattform für Altpapier oder in Fernüberwachung.

Heidenheim - Voith rüstet sich für die digital vernetzte Welt von Morgen. Wie der Konzern dabei vorgeht, erläutert Voith-Chef Hubert Lienhard. Er sagt auch, warum er eine firmeneigne VC-Gesellschaft für ihn nicht in Frage kommt.

 
Herr Lienhard, Unternehmen schmücken sich derzeit gerne mit Startups. Wann gründen Sie eine firmeneigene VC-Gesellschaft?
Tatsächlich genießen Startups derzeit eine große Aufmerksamkeit. Viele Konzerne investieren in solche Aktivitäten. Ich beobachte die Entwicklung, stelle aber fest, dass sich Startups innerhalb großer Unternehmen doch sehr schwer tun. Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden. Wir haben den Bereich Digital Solutions gegründet und zentralisieren dort alle Aktivitäten, die sich mit der digitalen Industrie beschäftigen. Alle IT-Fachkräfte, Software-Ingenieure und Automatisierungsingenieure gehören nun zu diesem Bereich.
Was ist der Vorteil?
Es geht vor allem um Geschwindigkeit. Wir glauben, dass wir mit einem starken Konzernbereich, in dem wir alle Digitalisierungsaktivitäten für den Konzern mit heute rund 1300 Mitarbeitern bündeln, schneller voran kommen, als mit vielen dezentralen Einzelinitiativen auf Divisionsebene. Wir konzentrieren uns zunächst auf die Digitalisierung unserer heute bereits existierenden Produkte. Uns geht es zunächst also weniger um die Digitalisierung unserer Fertigung in den Werken, als um digitale Erweiterungen unseres Angebotes, die die Wertschöpfung unserer Kunden verbessern. Dort sehen wir die größeren Wachstumschancen für Voith. Unsere Digitalisierungsspezialisten arbeiten deshalb eng mit unseren klassischen Ingenieuren zusammen.
Sie bringen Software- und IT-Spezialisten mit ihren Maschinenbauingenieuren zusammen. Können die miteinander arbeiten?
Es ist außerordentlich wichtig unterschiedliche Qualifikationen zusammenzubringen. Nur so können sie die Daten, die in einer Maschine oder Anlage generiert werden, auch wertbringend auswerten. Es reicht nicht, die Daten zu haben, sondern ich muss auch wissen, was sie bedeuten, also: Was sich verändert, wenn ich an einer Schraube drehe. Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
Wie viel schneller wurde die Entwicklung?
Wir haben deutlich an Tempo zugelegt. Nehmen Sie unsere neue Handelsplattform MerQbiz, die wir selbst entwickelt und von Stand null innerhalb von zwölf Monaten auf den Markt gebracht haben. Im April ist die Plattform in den USA an den Markt gegangen – bisher wurden bereits 1100 Tonnen Altpapier darüber gehandelt. Stark wachsend.
Wieso bringen Sie die Plattform in den USA, die Deutschen sind doch die Sammler.
Der US-Papiermarkt ist riesig. Und die Amerikaner sammeln ähnlich fleißig Altpapier wie die Deutschen. Jährlich werden in den USA etwa 90 Millionen Tonnen Papier hergestellt – nach China ist dies der zweitgrößte Markt weltweit. Und knapp 65 Prozent davon wird recycelt. Zudem haben wir mehr als 3000 Papiermaschinen in den USA installiert und damit einen großen Bedarf an Altpapier für die Beimischung in der Papierproduktion. Wir planen die Plattform im nächsten Schritt auch in weiteren Regionen auszurollen.
Wieso braucht man eine Altpapier-App?
Wir sind über die Papiermaschine auf das Thema gekommen. Wir haben mit Kunden gesprochen. Dabei wurde als Problem immer wieder Altpapier genannt. Nun muss man wissen, dass eine mittelgroße Papiermaschine 200 große US-Trucks voll Altpapier pro Tag benötigt. Der Altpapiermarkt in Amerika ist um es vorsichtig zu sagen: sehr unübersichtlich. Es gibt viele kleine und große Händler und Zwischenhändler. Käufer und Verkäufer direkt und transparent zusammenzubringen war bisher mühsam. Und Altpapier ist nicht gleich Altpapier. Qualität ist ein großes Thema, es geht um die Feuchtigkeit im Papier und den Plastik-Anteil. Auch der Transport ist ein wichtiges Kriterium. Mit unserer Handelsplattform haben wir Transparenz in den Markt gebracht und können einen Marktpreis bilden. Dies ist ein disruptiver Ansatz.
Und der Erfolg?
Wir sind der Meinung, dass es noch dieses Jahr mit der gehandelten Tonnage richtig steil nach oben geht. Wir gehen davon aus, dass bald über 100 Handelspartner auf der Plattform aktiv sind; derzeit ist es eine zweistellige Zahl. Unser Ziel ist es, dem Kunden künftig per iPad mitzuteilen, wann und in welcher Qualität sein Altpapier angeliefert wird. Dann können wir ihm auch gleich sagen, wie er seine Papier-Maschine optimal einstellen muss, um den besten Produktionseffekt zu erzielen.
Kommen alle Innovationen aus Ihrer zentralisierten Entwicklung?
Wir entscheiden künftig sehr viel konsequenter als bisher, was wir kaufen, was wir selbst machen und was wir von dritten Unternehmen erledigen lassen. Technologien, die bereits auf dem Markt und erprobt sind, wollen wir kaufen. Man muss nicht alles selbst entwickeln. Das bringt Geschwindigkeit.
Was bedeutet das konkret?
Ein Beispiel: Traditionell liefern wir im Großanlagenbereich Maschinen, einschließlich Automatisierung. Doch bisher haben wir die Daten, die in diesen Anlagen angefallen sind, kaum genutzt. Ray Sono hat genau in diesem Bereich spezielles Wissen. Vereinfacht ausgedrückt: dort wo Voith bisher aufgehört hat, fängt Ray Sono an. Wir kommen schneller mit Partnern wie Ray Sono mit seinen 200 Mitarbeitern voran , als selbst bei null anzufangen. Für uns ist sehr wichtig, dass Ray Sono unabhängig bleibt und sein existierendes Geschäft weiterentwickelt, um permanent neue Entwicklungen mit seinen Kunden auf den Markt zu bringen. Das hilft auch uns, wenn es um unsere Bedürfnisse geht.
Was bietet Ray Sono den Voith-Kunden?
Künftig wird ein Mitarbeiter am Bildschirm von Heidenheim aus die Maschinen, die irgendwo auf der Welt stehen, überwachen. Er hat von dort aus Zugriff auf alle Daten. Das Getriebe teilt unserem Mitarbeiter mit, ob es problemlos läuft. Er sieht die Daten der Maschine im Zeitverlauf und kann sie zudem mit anderen Maschinen vergleichen. Wenn wir etwas feststellen, können wir dem Kunden konkrete Handlungsanweisungen geben. Oder wir sagen ihm, welche Einstellungen er verändern muss, um die Produktion zu steigern.
Konzentrieren Sie sich auf neue Maschinen oder sind die alten nachrüstbar?
Wir werden in diesem Jahr 150 Jahre und haben zehntausende Voith-Maschinen, Komponenten und Anlagen im Markt auf der ganzen Welt. Im Prinzip lassen sich alle Maschinen nachrüsten; aber das ist nicht immer wirtschaftlich sinnvoll. Aber ich glaube schon, dass man bis in die 1980er Jahre zurückgehen kann.
Sind Ihre Kunden einer digitalen Nachrüstung gegenüber aufgeschlossen?
Ich bin absolut sicher, dass wir dank Digitalisierung den Ausstoß einer Maschine um mindestens zehn Prozent erhöhen können. Wenn wir dies nachweisen, ist es ein unschlagbares Argument, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Und für Voith ist es ein Wachstumsprogramm.
Hoffnungen setzen Sie auch in die maschinelle Fertigung von Bauteilen aus carbonfaserverstärktem Kunststoff.
Kohlefaserverstärkte Kunststoffe beschäftigen uns schon lange. Aus meiner Sicht haben wir nun aber den industriellen Durchbruch geschafft. Uns ist es gelungen, erstmals diesen Werkstoff industriell herzustellen. Dank kohlefaserverstärkten Kunststoffe können wir sehr leichte und sehr steife Werkstoffe herstellen. Bisher war die Fertigung schlicht zu teuer. Wir können dies jetzt mit unserem patentierten Verfahren zu Preisen, die mit Stahl oder Aluminium konkurrieren können.
Also steht der Durchsetzung des Verfahrens nichts im Weg.
In München haben wir eine industrielle Produktion mit derzeit 80 Mitarbeitern aufgebaut. Und wir haben Audi als Großserien-Kunden gewonnen. Aber die Durchdringung ist noch nicht so schnell, wie wir uns das wünschen. Die Autoindustrie hat neben dem Leichtbau derzeit viele andere Herausforderungen.
Herr Lienhard, Sie sind auch Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses. Wie beurteilen Sie China derzeit?
China steht an einem wichtigen Wendepunkt. Die Löhne dort sind mittlerweile zu hoch, um länger Werkbank der Welt zu sein. Das Land braucht deshalb Technologie. Deutsche Unternehmen bieten ihnen diese Hochtechnologie an. Wir trainieren und qualifizieren auch chinesische Unterlieferanten, wir beschäftigen chinesische Mitarbeiter, zahlen unsere Steuern in China und reinvestieren Gewinne im Land. Ich halte es für einen Fehler, wenn China Unternehmen in ausländischem Besitz schlechter stellt als chinesische Firmen. Maßnahmen wie der Jointventure-Zwang haben noch nie richtig funktioniert.
Was erwarten Sie?
Die Regierung hat einen 20-Punkte-Plan veröffentlicht, der einige richtige Ansätze beschreibt, die allerdings jetzt noch umgesetzt werden müssen. Wir hoffen auch auf den Parteikongress im November. Wir wollen in China so anerkannt werden, wie chinesische Unternehmen in Deutschland.
Sie haben keine Angst, dass China Deutschland technologisch überholt?
Das liegt doch an uns selbst. Bisher haben wir uns auf der Welt immer gut geschlagen, wenn die Bedingungen fair waren. Je fortschrittlicher China wird, desto mehr Produkte können wir dorthin verkaufen. Die deutschen Exporte gehen doch vor allem in Hochtechnologieländer.
Würden Sie China den EU-Marktwirtschaftsstatus geben?
Aus meiner Sicht sind die Verträge, die vor 15 Jahren geschlossen wurden, so formuliert, dass China der Marktwirtschaftsstatus zusteht. Das kritische Thema ist aus deutscher Sicht: Wie gehen wir mit Dumping um? Hier glaube ich, ist die EU auf einem guten Weg, neue Antidumping-Regeln auszuarbeiten, die unseren Sorgen Rechnung tragen. Damit wäre dann beiden Seiten gedient.