Für die historische Krimiserie „Babylon Berlin“ lieferte sein Kommissar Gereon Rath die Vorlage. Bei der Esslinger Lesart stellte Volker Kutscher sein Buch „Transatlantik“ vor.

Die vielen Parallelen zwischen der Weimarer Zeit und der heutigen Krise erschrecken den Krimiautor Volker Kutscher. Seit dem Krieg in der Ukraine spitzt sich die Lage weiter zu. In seinem Roman „Transatlantik“, dem neunten Teil der Reihe seines Kriminalkommissars Gereon Rath, läuft in Deutschland die Gleichschaltung. Damals kippte die demokratische Gesellschaft in den Faschismus. Die Nationalsozialisten peitschten das Land in den Zweiten Weltkrieg. 1937 flüchtet der Kommissar mit dem Zeppelin in die USA. Deutschland wurde ihm zu gefährlich.

 

Beim Esslinger Literaturfestival Lesart, das die Stadtbücherei und die Esslinger Zeitung mit Unterstützung der Stiftung Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen veranstalten, stellte der erfolgreiche Autor im Neckar-Forum sein neues Buch vor. Unter dem Titel „Babylon Berlin“ hat ein Team um Star-Regisseur Tom Tykwer den Polizeiroman verfilmt – inzwischen gibt es vier Staffeln. Die Serie war in der ARD zu sehen. Gereon Rath ermittelt in der Großstadt Berlin, die auf einem Vulkan tanzt. Alexander Maier, Redakteur unserer Zeitung, sprach mit dem Autor auch über den spannenden Prozess, wie ein Bestseller verfilmt wird. „Tom Tykwer hatte da seine eigenen Vorstellungen“, sagte der 59-Jährige. „Beim Schreiben habe ich meine eigenen Bilder im Kopf, eine etwaige Verfilmung hat man da nicht im Blick.“ Und er wünscht sich, dass das Lesepublikum seine eigenen Assoziationen findet.

Mutig und durchsetzungsfähig

Nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichtswissenschaft hat Kutscher als Lokalredakteur in Wipperfürth angefangen. Gründliches Recherchieren, das hat ihn immer gereizt. Mit „Bullenmord“ veröffentlichte er 1995 seinen ersten Krimi. 2008 erschien unter dem Titel „Der nasse Fisch“ der erste historische Kriminalroman um den Kommissar Gereon Rath. Diese Figur eines mutigen und durchsetzungsfähigen Kriminalisten hat den Autor immer fasziniert. Sie zu entwickeln, reizt ihn auch nach neun Romanen noch: „Einen zehnten wird es noch geben, dann wende ich mich anderen Projekten zu“, verriet er dem Publikum.

Dass seine Gereon-Rath-Krimis das Publikum fesseln wie eh und je, war bei der zweistündigen Lesung deutlich zu spüren. Kutscher las einige Passagen und entführte das Publikum in die neue Welt über dem Atlantik, in die der Kommissar vor den Nationalsozialisten flieht. Während sich der Kriminalist da ein neues Leben aufbaut, bleibt seine Partnerin Charlotte Ritter von der Mordinspektion in Berlin. Über diese Frauenfigur wollte Moderator Alexander Maier mehr wissen. Als angehende Juristin arbeitete sie an ihrer Karriere – die demokratische Gesellschaft der Weimarer Republik hat Frauen diese Perspektiven geöffnet. Nach der Machtergreifung aber blieben ihr Wege versperrt. Denn die Ideologen Hitlers wollten Frauen als Mütter am Herd sehen. „Da ermittelt Charlotte auf eigene Faust, geht ihren Weg weiter“, sagte der Autor. Die Figur entfaltet gerade im neuen Roman „Transatlantik“ eine große, unerschütterliche Kraft.

Getäuscht von Blendern

Kenner der Gereon-Rath-Reihe erleben den Kommissar seit dem Jahr 1929. Das war die Zeit, in der die Gesellschaft der Weimarer Republik von radikalen Kräften durchsetzt wurde. Die Menschen in der Massengesellschaft lebten im Luxus, flüchteten sich in Exzesse und ließen sich vom Blendern täuschen. Dass die Stützen der Gesellschaft aus Politik und Justiz vielfach Verfechter des Kaiserreichs waren und nach dessen Ende im Jahr 1918 in den demokratischen Staat übernommen worden waren, trug dazu bei, dass das System von innen ausgehöhlt wurde. Diesen schleichenden Prozess zeigt der Historiker Kutscher in seinen Kriminalromanen, die den Blick auf Menschen am Rand der Gesellschaft lenken. Zu weiten Teilen arbeitet Kutscher mit fiktiven Charakteren – eine Ausnahme bildet der morphiumsüchtige Hermann Göring, der ab Mai 1935 Oberbefehlshaber der Luftwaffe war und später die Führung der deutschen Wirtschaft übernahm. In der schillernden Figur dieses Kriegsverbrechers zeigt sich für Kutscher, wie gefährlich das System war.

Demokratie braucht feste Säulen

Dass eine Demokratie ihre festen Säulen braucht, steht für Kutscher außer Frage: „Es ist erschreckend, wie schnell diese stürzen können.“ Das haben ihm seine historischen Studien für die Romane gezeigt. Und der ehemalige Redakteur hob hervor, wie wichtig die Medien für das staatliche Gefüge sind: „Ohne guten Journalismus gibt es keine Demokratie.“

Dass der Bestseller-Autor zur Lesart nach Esslingen kommt, war ein großer Wunsch der scheidenden Bücherei-Leiterin Gudrun Fuchs. Am Ende der kurzweiligen Lesung dankte Moderator Alexander Maier dem Bücherei-Team. Dass Volker Kutscher die Lesart bereichert, ist nach seinen Worten auch eine schöne Anerkennung für das Bücherei-Team, das dieses Literaturfestival organisiert. „Diese Wertschätzung bekommt unsere Bibliothek in jüngster Zeit nicht immer.“ Die aufgeschobene Erweiterung des Gebäudes und das abgespeckte Sanierungspaket legen solche Gedanken zumindest nahe.