Für die SPD ist dieser Dissens zwischen Landtag und Landesregierung die formale Möglichkeit, zu einer Volksabstimmung zu kommen. "Wenn die Landesregierung eine Volksabstimmung herbeiführen will, kann sie es machen, weil das der verfassungsmäßig vorgesehene Weg zur Volksabstimmung ist", sagte Georg Hermes, der von der SPD beauftragte Jurist von der Universität Frankfurt, nach der Präsentation der Regierungsgutachter.

Paul Kirchhof und Klaus-Peter Dolde sehen das ganz anders. Das Gesetz diene dazu, einen möglichen Konflikt zu lösen, den gebe es aber gar nicht. "Es wäre ein Missbrauch des Initiativrechts der Regierung, wenn sie einen Gesetzentwurf entgegen ihrer Auffassung einbringen würde", betonte Dolde. Regierung und Landtagsmehrheit seien vielmehr einig. "Die Regierung will das Projekt, die Mehrheit des Parlaments will es, sogar die SPD-Fraktion will es mehrheitlich", rief Kirchhof in Erinnerung. Damit sei ausgeschlossen, sich auf Artikel 60 zu berufen. Dolde nannte es "verfassungswidrig, wenn die Landesregierung den Entwurf eines Ausstiegsgesetzes einbringt, der ihren erklärten politischen Zielen widerspricht".

SPD stellt Formalien in den Vordergrund


Die SPD stellt dagegen in dem Fall mehr die Formalien als den Inhalt in den Vordergrund. "Die Landesregierung ist nicht verpflichtet, vollinhaltlich eine Gesetzesvorlage zu unterstützen", verteidigt Nils Schmid die Hilfskonstruktion. Das sei keine Umgehung der Verfassung. Schmid bleibt dabei, "ein Weg zur Volksabstimmung ist politisch möglich". Seine Fraktion will ihren Antrag Ende Oktober in den Landtag einbringen. Dazu kündigt sie weitere rechtliche Gutachten an. Sollte die SPD nach der Landtagswahl im März 2011 selbst an die Regierung kommen, werde es die Volksabstimmung über Stuttgart 21 sicher geben, das betont Schmid immer wieder. Allerdings können dann je nach Baufortschritt die Entschädigungszahlungen immer höher werden. Zurzeit sind 1,4 Milliarden Euro im Gespräch.

Kirchhof und Dolde sehen noch andere Hinderungsgründe für eine Volksabstimmung. Der Bund und nicht das Land sei für Eisenbahnstrecken und Bahnhöfe zuständig, also dürfe das Land keine Volksabstimmungen darüber machen. Ein Ausstiegsgesetz würde wegen der finanziellen Auswirkungen eine Änderung des Haushaltsplans bewirken. Die Landesverfassung verbiete aber ausdrücklich eine Volksabstimmung über den Etat. Die Juristen verwiesen auch darauf, dass die Frist zum Ausstieg aus den Verträgen Ende des Jahres 2009 abgelaufen sei. Kirchhofs Fazit lautet, ob der Bahnhof oben oder unten liegt, entscheidet der Bund, die Verträge zu Stuttgart 21 und zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm können auch durch eine Volksabstimmung nicht gekündigt werden. "Der Antrag der SPD ist deutlich unzulässig". Ein Plebiszit wäre aber auf kommunaler Ebene zu städtebaulichen Fragen in Stuttgart möglich.

Die SPD und ihr Rechtsberater Hermes zeigten sich wenig beeindruckt. Es handle sich um einen einmaligen Vorgang, "alle betreten juristisches Neuland", sagte der Rechtsprofessor Georg Hermes. Es sei klar, dass das Eisenbahnrecht beim Bund liege, das Land trage aber erhebliche Kosten, damit sei es mit zuständig. Hermes lässt auch nicht gelten, dass Verträge ewig unkündbar sein sollen. "Das verstößt gegen das Demokratieprinzip." Neue Parlamente hätten dann keine Möglichkeiten, aus langfristigen Verträgen herauszukommen, argumentierte Hermes. Auch den Einwand, gegen den Haushalt sei keine Volksabstimmung möglich, lässt Hermes nicht gelten. "Dann wäre eine Abstimmung über jedes Gesetz, das Geld kostet, ausgeschlossen."

Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) gestand am Dienstag ein, dass er von Anfang an skeptisch gewesen sei, was ein Ausstiegsgesetz angehe. Er betonte aber, der Vorschlag sei ernsthaft geprüft worden. Das sei geboten, wenn es eine große Landtagsfraktion fordere. Die FDP hatte eine Prüfung rundweg abgelehnt. Ehe Ende des Monats der Gutachterstreit in die nächste Runde geht, will Mappus (CDU) am Mittwoch mit "einer Reihe von Vorschlägen" aufwarten, um die verfahrene Situation "über den Dialog" zu überwinden.