Eine Initiative in der Schweiz will die Geldschaffung durch Kredite eindämmen. Geld soll nur noch von der Notenbank kommen.

Stuttgart - Die Initiatoren der Volksabstimmung in der Schweiz werben mit Geschick für ihr Vorhaben. Denn die Initiative „Für krisensicheres Geld“ will von den in Finanzfragen konservativen Eidgenossen am Sonntag lediglich ein „Ja“ zu einem System, das die weit überwiegende Mehrheit der Menschen ohnehin für selbstverständlich hält. Thomas Mayer, der die Kampagne in der Schweiz leitet, stößt in Versammlungen immer wieder auf ungläubiges Staunen – dann, wenn der Bürgerrechtler und Buchautor das Ergebnis einer Umfrage aus Deutschland zitiert, die der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Richard Werner vor einigen Jahren in Frankfurt gemacht hat.

 

Danach haben 84 Prozent der etwa 1000 befragten Bürger geglaubt, dass das umlaufende Geld alleine von der Zentralbank oder vom Staat produziert werde. Und mehr als 90 Prozent der Befragten haben gesagt, dass sie ein System ablehnen würden, in dem die Geldmenge überwiegend durch meist private, auch profitorientierte Unternehmen produziert und verteilt wird und nicht durch staatliche Organe.

Geld entsteht durch Kreditgewährung – ganz einfach

Überall auf der Welt, nicht nur in der Schweiz, ist die Notenbank in Wahrheit aber nur für einen geringen Teil der Geldmenge zuständig, für die Scheine und Münzen. Das sind in den Ländern der Eurozone nicht mehr als 20 Prozent der Geldmenge, die gegenwärtig etwa 7,8 Billionen Euro beträgt. Den großen restlichen Anteil erzeugen die Banken – einfach, indem sie Kredite gewähren. Oder: aus dem Nichts, wie nicht nur die Initiatoren der Volksabstimmung sagen, sondern auch renommierte Ökonomen wie Richard Werner, der in Großbritannien lehrt und an der Universität Southampton den Lehrstuhl für International Banking innehat. Und damit schaffen sie sich ohne Aufwand die Basis für ihre Zinserträge selbst. Das soll sich zumindest in unserem Nachbarland ändern. „Geldschöpfung allein durch die Nationalbank!“, lautet deshalb der Zusatz der Initiative in der Schweiz.

Banken in der EU müssen gegenwärtig bei der Gewährung eines Kredits im Gegenzug lediglich ein Guthaben in Höhe von etwa einem Prozent bei der Zentralbank unterhalten; in der Schweiz sind es derzeit 2,5 Prozent. Beim Vollgeld nach Schweizer Vorstellung würde dieser Prozentsatz auf 100 Prozent steigen; Banken könnten dann nur noch das Geld verleihen, das sie vorher von den Kunden als Einlage bekommen haben.

Auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft erwartet größere Stabilität

Der deutsche Ökonom Max Otte, der einst den Ausbruch der globalen Finanzkrise vorausgesagt hat und hierzulande zu den prominenten Befürwortern der Vollgeld-Initiative gehört, beschreibt die Folgen: „Für die Schweizer Banken wäre das ziemlich dramatisch, ein massiver Einschnitt, denn sie müssten sich radikal umstellen“, sagt Otte, Leiter des Instituts für Vermögensentwicklung, das er 2003 gegründet hat. „Das würde aber zu mehr Sicherheit bei den Schweizer Banken führen.“ Folgen für das Kredit- und Zinsniveau anderswo auf der Welt erwartet er nicht. Auch das Institut für Weltwirtschaft in Kiel sieht in einer jüngst veröffentlichten Analyse neben Risiken diese Vorteile: „Banken wären in einem Vollgeldsystem deutlich weniger verwundbar für Liquiditätskrisen als früher“, heißt es da. Und: „Der Steuerzahler könnte `dem Treiben` privater Banken mit mehr Gelassenheit zuschauen. Dieser stabilisierende Effekt auf das Finanzsystem ist zweifellos ein schlagkräftiges Argument für ein Vollreservesystem.“

In der Tat ist die Furcht vor der nächsten Finanzkrise eine treibende Kraft hinter der Schweizer Initiative. So ist in dem Land die spektakuläre Rettung der Großbank UBS im Jahr 2008 noch nicht vergessen. Mit 60 Milliarden Franken (aktuell: 52 Milliarden Euro) mussten der Staat und die Zentralbank SNB das Kreditinstitut vor dem Untergang retten. Dass die Banken ihre Lektion gelernt haben und nun vorsichtiger Kredite vergeben, wird (nicht nur) in der Schweiz bezweifelt. Nach Angaben der EU-Kommission saßen Europas Banken Ende 2017 auf einem Berg fauler Kredite in Höhe von 910 Milliarden Euro.

Kurz vor der Abstimmung liegen die Gegner vorne

Dass zumindest den Schweizer Banken künftig die Geldschöpfung durch Kreditgewährung untersagt wird, ist aber eher unwahrscheinlich. Auch Max Otte mag trotz seiner Sympathien nicht recht an einen Erfolg der Initiative glauben. Nach der jüngsten Umfrage des Schweizer Fernsehens SRG von Ende Mai kommen die Gegner der Initiative auf einen Anteil von 54 Prozent, die Befürworter liegen bei 34 Prozent; zwölf Prozent der Wähler sind noch unentschieden gewesen. Nach einer Umfrage der Mediengruppe Tamedia sind die Verhältnisse klarer: 68 Prozent wollen mit Nein stimmen, 29 Prozent sind für die Vorlage; der Rest hat keine Angaben gemacht.

Die Idee einer vollständig von der Notenbank kontrollierten Geldmenge ist nicht neu und stammt keineswegs von Außenseitern der Nationalökonomie. So haben zum Beispiel in der Weltwirtschaftskrise der Dreißiger Jahre namhafte US-Ökonomen wie Irving Fisher den sogenannten Chicago-Plan vorgeschlagen, der im Kern der Schweizer Initiative entspricht: von der Mindestreserve sollte auf die Vollreserve umgestellt werden – also auf einen Reservesatz von 100 Prozent. Der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt hat das Konzept ebenso unterstützt wie der Nobelpreisträger Milton Friedman.

Max Otte übt vehement Kritik an seiner Zunft

Umgesetzt wurde das Konzept aufgrund des Drucks der Finanzlobby bisher nie, und es hätte nach Ansicht von Max Otte auch in der EU keine Chance. Warum? „Bei uns ist die Resonanz unter Wirtschaftswissenschaftlern eher gering“, stellt er fest, „weil die meisten Ökonomen abhängig von Staatsaufträgen sind; sie arbeiten für die Bundesbank oder für ein Forschungsinstitut.“ Hierzulande dominiert immer noch die Vorstellung, Banken würden lediglich die Einlagen ihrer Kunden in Kredite verwandeln. Für Otte ist klar, dass diese Wissenschaftler die Systemfrage nicht stellen können. „Sie sind in dieser Frage nicht objektiv, sie sind vielmehr Teil des Systems.“ Die Politik profitiere vom System des Gelddruckens, des Schuldenmachens und der Krisen, weil sich ihre Vertreter dann als Retter profilieren könnten.

Angst vor einer Übermacht der Notenbank in einem Vollreservesystem hätte der 53-Jährige im Gegensatz zu anderen Ökonomen nicht. „Mir sind Institutionen mit einem klaren gesetzlichen Auftrag lieber als Ministerien, wo ständig die politische Meinung wechselt“, sagt er. „Und es ist mir auch lieber als all die Manipulationen, die sich im jetzigen Finanzsystem durch die Finanzoligarchie abspielen – ein unkontrolliertes Machtgeflecht, das man gerne ´die Finanzmärkte´ nennt“, schimpft der Ökonom. „Das sind aber keinesfalls Märkte, sondern intransparente Netzwerke. Da gebe ich einer mächtigen, regelgebundenen Zentralbank klar den Vorzug.“

Furcht vor einer übermächtigen Notenbank

Anders Bankenprofessor Richard Werner, der unter anderem aus diesem Grund die Schweizer Initiative ablehnt: „Denn das Problem“, so sagt er, „ist ja die extreme Konzentration der Macht in den Händen von immer weniger Entscheidungsträgern, die de facto nicht rechenschaftspflichtig sind: die Zentralbanken. Man sollte ihnen nicht noch mehr Macht geben, wie dies in der Schweiz vorgeschlagen wird.“

Sein Gegenvorschlag: die Macht über die Geldschöpfung weiter dezentralisieren; Zentralplanungssysteme, so sagt er, seien nicht ratsam. Ähnlich sieht es auch der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Mayer (nicht identisch mit dem gleichnamigen Kampagnenführer in der Schweiz), der die Gelderzeugung via Kredit ablehnt, weil sie Finanzblasen erzeuge. Auch Mayer, der nach seiner Zeit bei der Deutschen Bank die Vermögensverwaltung Flossbach von Storch gegründet hat, befürchtet eine Übermacht von Staat und Notenbank. Das Szenario der Skeptiker: Der Staat setzt die Notenbank unter Druck und kann ungestört die Notenpresse anwerfen – mit der Gefahr einer dann grassierenden Inflation.

Richard Werner hält eine Vollgeld-Initiative in Deutschland auch deshalb für überflüssig, weil „hier Gott sei Dank die Mehrheit des Geldes von nicht-profitorientierten Banken, nämlich öffentlich-rechtlichen Sparkassen und Genossenschaftsbanken produziert wird“.