Der Kampf um die Stimmen für oder gegen den Ausstieg aus S 21 beginnt erst noch. 14 Tage vor Urnengang wird er auf Höchsttouren kommen.

Stuttgart - Viel Zeit zur Vorbereitung der Volksabstimmung am 27. November war nicht. Schließlich ist sie erst am 28.September beschlossen worden. Trotzdem ist an alles gedacht. Die Hinweise des Landespolizeipräsidiums "für die Durchführung des Abstimmungskampfes um das S-21-Kündigungsgesetz" lassen keinen anderen Schluss zu. Selbst die Frage ist geklärt, ob vor einer Volksabstimmung Werbung per Lautsprecherwagen zulässig ist.

 

Nach Paragraf 33 (und so weiter) der Straßenverkehrsordnung ist der Betrieb von Lautsprechern "grundsätzlich verboten", weil Verkehrsgefährdung (und so weiter) stattfindet. Allein: "Bei Volksabstimmungen werden aber Ausnahmegenehmigungen vom Verbot der Lautsprecherwerbung erteilt." Das tun Landratsämter oder Gemeinden. Man sieht: bei einer Volksabstimmung ist es bei Weitem nicht damit getan, Stimmzettel zu drucken und Zählpersonal zu benennen.

Zahl der Aktionsgruppen nimmt zu

So weit ist es aber noch nicht. Denn der Abstimmungskampf - an das Wort muss man sich auch erst gewöhnen - fängt erst so langsam an. 14 Tage vor dem Urnengang wird er auf Höchsttouren kommen. "Wir starten so schnell es geht, schauen aber, dass die Maschine die letzten zwei Wochen auf 120 Prozent läuft", heißt es zum Beispiel bei Pro-Stuttgart-21. Auch auf Seiten der Ausstiegsbefürworter ist noch vieles am Wachsen: so nimmt täglich zum Beispiel die Zahl der Aktionsgruppen vor Ort zu. Der Kampf kommt auf Touren - aber noch erkennt man nicht, wie er aussehen soll. In den Kampagnenzentralen ist vieles vorläufig. Etwa die Geldfrage. Wer zahlt das alles, wie viel Geld setzt wer für seinen "Kampf" ein? Das Budget beim Verein Pro-Stuttgart-21 liegt bei 250.000 Euro. So viel werde an Spenden von Unternehmen und Privatleuten erwartet, sagt Matthias Wesselmann vom Befürworter-Kampagnenbüro. "Das ist extrem eng", sagt er.

Allerdings tourt emsig das Infomobil für die Sache der Projektbefürworter durchs Land - dereinst eine Spende von Südwestmetall. Die Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände (Selbstcharkterisierung: "Die mit den Arbeitsplätzen") hat einen 29-sekündigen Videoclip gesponsert, der seit Donnerstag in Kinos flächendeckend im Land und im Internet läuft. Kostenpunkt für die Produktion und das Abspielen: "unter 100.000 Euro". Schließlich finanzieren die regionalen Befürworterbündnisse draußen im Land ihr Tun weitgehend selbst.

Dutzend Partner verschiedenster Couleur

Die Liste der Vorständler des Vereins Pro-Stuttgart-21 liest sich wie das Alphabet der etablierten Landespolitik: 22 Mitglieder hat das Gremium, darunter der Freiburger Altoberbürgermeister Rolf Böhme (SPD), die OB aus Karlsruhe und Ulm, Heinz Fenrich (CDU) und Ivo Gönner (SPD). Der CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk ist drin ebenso wie sein SPD-Kollege Claus Schmiedel. Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl gehört dazu und die FDP-Landeschefin Birgit Homburger. Die Reutlinger Rathauschefin Barbara Bosch, der Hohenloher Landrat Helmut Jahn und Roger Kehle vertreten die Gemeinden, Städte und Landkreise. Die Präsidenten von Industrie- und Handelskammertag, Peter Kulitz, und Handwerkstag, Joachim Möhrle, geben sich die Ehre, auch Finanzminister Nils Schmid (SPD) und Ex-Ministerpräsident Lothar Späth (CDU).

Das sieht bei den Projektgegnern ganz anders aus. Hinter dem Bündnis Ja zum Ausstieg steht das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Darin haben sich ein Dutzend Partner verschiedenster Couleur zusammengetan, der Landesverband des BUND zum Beispiel, die Grünen mit ihrem Stuttgarter Kreisverband, Pro Bahn, der Verkehrsclub Deutschland (VCD), die Linke, die Parkschützer oder die Schutzgemeinschaft Filder. Weitere 38 Gruppierungen unterstützen das Bündnis, vom Stuttgarter Kreisverband des Deutschen Fahrrad-Clubs über die Gewerkschaft der Lokomotivführer im Bezirk Südwest, die Landesverbände von ÖDP und Piratenpartei bis zu den SPD-Ortsvereinen Botnang und Herrenberg.

Man hofft auf private Gaben

Das Startkapital des Aussteigerbündnisses betrug 300.000 Euro, eingebracht von den Grünen (15.0000 Euro), vom BUND und dem Aktionsbündnis gegen S21 (je 50.000). Man habe sonst keine institutionellen Spender, hofft aber auf viele private Gaben. "Wir sind auf die Bürger angewiesen. Wenn viele Spenden kommen, geben wir auch mehr Geld aus", heißt es in der Aussteigerzentrale.

Neben dem offenen Finanzrahmen ist auch das Misstrauen gegenüber dem Gegner ein Grund, warum nicht alle Informationen über die Kampagnen publik werden. Beispiel Prominentenauftritte. Die Terminliste der um Neinstimmen buhlenden Tiefbahnhoffreunde ist lang. Wenn man der glauben will, sind die ehemalige Agrarstaatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch (CDU), der Ex-CDU-Abgeordnete Winfried Scheuermann oder der Projektsprecher Wolfgang Dietrich die herausragenden Köpfe im Rednerpool der Befürworter. Dem ist freilich nicht so. Die Termine höherrangiger Politiker werden aber erst kurzfristig bekanntgegeben - aus Angst vor Störmanövern. "Wir haben noch einige Sachen in der Planung," heißt es nur.

Krimiautor Wolfgang Schorlau liest für die Ausstiegssache

Auf Seiten der Jasager, also der Ausstiegswilligen, gehen bereits aus frühen Widerstandstagen bekannte Persönlichkeiten auf Stimmenfang. Der Schauspieler Walter Sittler ist "recht aktiv". Der Grünen-Landesvorsitzende Chris Kühn tritt auf, Verkehrsminister Winfried Hermann nimmt nach eigener Auskunft "allerhand Einladungen wahr". Der Krimiautor Wolfgang Schorlau liest für die Ausstiegssache in Melchingen auf der Alb.

Für die Aussteiger wird - neben der regelmäßigen Montagsdemonstration, deren hundertste am Montag vor der Abstimmung stattfinden wird - der 12. November der Hauptaktionstag. Während Campact in Berlin und Frankfurt Banken und Regierungsgebäude umzingelt, finden in 63 Orten im Land Veranstaltungen statt, um Menschen für ein Ja zum Ausstieg aus Stuttgart 21 zu gewinnen.

Das unterstreicht, dass sich jenseits der hier wie da eingesetzten Plakate, Buttons und Luftballone mit den Neinsagern und den Jasagern zwei völlig unterschiedliche gesellschaftliche Lager gegenüberstehen.

Die IHK Ulm darf jetzt doch weiter mit Plakat für S21 werben

Urteil: Das umstrittene Stuttgart-21-Plakat der Ulmer IHK darf vorerst hängenbleiben. Das entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) am Freitag. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hatte entschieden, die IHK müsse unter anderem ein 100 Quadratmeter großes Plakat von der Fassade entfernen lassen, auf dem es heißt, es sei „Allerhöchste Eisenbahn“ für das Milliardenbahnprojekt.

Berufung: Die IHK beantragte beim VGH, Berufung gegen das Sigmaringer Urteil zuzulassen. Zudem wollte die IHK wissen, ob das Urteil vorläufig vollstreckbar ist. Dem VGH zufolge gilt dies lediglich für die Verfahrenskosten, die die IHK zu tragen hat. Über den Berufungsantrag muss der Verwaltungsgerichtshof noch entscheiden.