Der Ministerpräsident sieht keinen Änderungsbedarf für mehr direkte Demokratie in der Landesverfassung. Auch für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof die SPD mit ihrem Volksbegehren abweist.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich von Äußerungen des stellvertretenden Grünen-Fraktionschefs Hans-Ulrich Sckerl distanziert, bei einem Scheitern des Volksbegehrens zur kostenfreien Kinderbetreuung vor Gericht eine Verfassungsänderung zu prüfen. Nach der Kabinettssitzung am Dienstag sagte Kretschmann: „Was ich vom Kollegen Sckerl gehört habe, darüber hat in der Fraktion keine Debatte stattgefunden, jedenfalls keine, bei der ich dabei war.“ Zuvor hatte Sckerl zur Ablehnung des von der SPD beantragten Volksbegehrens durch das Innenministerium unserer Zeitung angemerkt: „Sollte der Verfassungsgerichtshof die sehr weitreichende Einschätzung des Innenministeriums teilen, müssen wir Änderungen prüfen. In anderen Worten: Es kann nicht sein, dass die Bürgerinnen und Bürger nur Volksabstimmungen über Sonnenschein und Regen abhalten.“

 

Dem hielt Kretschmann entgegen: „Für mich besteht an der Plausibilität der Entscheidung kein Zweifel.“ Es gehe um die Grundarchitektur des Verfassungsrechts. Zudem sei zu überlegen, „ob das gerade der richtige Zeitpunkt ist, in Zeiten des Rechtspopulismus, solch eine weitgehende Änderung der Verfassung noch einmal zu machen, das möchte ich mal infrage stellen“.

Nach dem Ablehnungsbescheid des Innenministeriums hatte die SPD Klage vor dem Verfassungsgerichtshof des Landes angekündigt. Zuvor hatte die SPD deutlich mehr als die 10 000 Unterschriften eingereicht, die nötig sind, um die Zulassung eines Volksbegehrens zu beantragen. Über den Antrag befindet das Innenministerium. Sollte die SPD vor Gericht obsiegen, müsste sie für ein erfolgreiches Volksbegehren 770 000 Unterschriften sammeln. Dann käme es zur Volksabstimmung, bei der die SPD neben der Mehrheit eine Zustimmungsquorum von 20 Prozent der Wahlberechtigten erreichen müsste.

Innenministerium nennt drei Ablehnungsgründe

Das Innenministerium macht im Kern drei Ablehnungsgründe geltend. Erstens verfüge das Land in der Frage der Gebühren für Kinderbetreuung über keine Gesetzgebungskompetenz mehr. Diese habe der Bund mit dem Gute-Kita-Gesetz im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung an sich gezogen. Das Gesetz verpflichtet die Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen, die Elternbeiträge sozial zu staffeln. Von einer Befreiung von Elternbeiträgen ist nicht die Rede. Dagegen macht der SPD-Prozessbevollmächtigte Joachim Wieland geltend, die Gesetzesbegründung belasse die Gebührenfrage ausdrücklich bei den Ländern. Eine Kostenbefreiung sei ohne weiteres möglich, es gehe dem Bund darum, Kinderbetreuung nicht am Geld scheitern zu lassen.

Zweitens, darauf hob Regierungschef Kretschmann ab, ziele das Volksbegehren unzulässigerweise auf ein Abgabengesetz, genauer: auf die „Umgehung eines Abgabengesetzes“. SPD-Rechtsbeistand Wieland argumentiert, wenn gar keine Abgaben verlangt würden, könne es auch nicht um ein Abgabengesetz gehen.

Drittens sagt das Innenministerium, über Fragen mit wesentlicher Finanzwirkung für den Haushalt könne es keine Volksgesetzgebung geben. Dagegen argumentiert die SPD im Einklang mit der Kommentarliteratur zur Landesverfassung, von der Volksgesetzgebung ausgeschlossen sei nach Artikel 59 der Landesverfassung lediglich das aktuelle Staatshaushaltsgesetz. Wären alle finanzwirksamen Beschlüsse der Volksgesetzgebung entzogen, fände sich in der Verfassung eine anderen Formulierung. So sind in der Verfassung von Nordrhein-Westfalen zum Beispiel „Finanzfragen“ der direkten Demokratie nicht zugänglich.

Ende 2015 hatte der Landtag in dem Bestreben, direkte Demokratie zu erleichtern, die Verfassung geändert. Dabei waren das Unterschriftenquorum für Volksbegehren und das Zustimmungsquorum bei Volksabstimmungen gesenkt worden.