Anders verhielt es sich 2008 in Berlin, wo ein Aktionsbündnis unter Einschluss von CDU und FDP für den Erhalt des Flughafens Tempelhof eintrat. Bei diesem Volksentscheid scheiterten die Flughafenfreunde trotz Unterstützung durch die Springer-Presse am Zustimmungsquorum von 25 Prozent, obwohl sich bei der Abstimmung eine deutliche Mehrheit für den Weiterbetrieb aussprach.

 

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte anschließend, die Motive der Tempelhof-Freunde, die aus historischen und emotionalen Gründen mit der Schließung des Flughafens nicht einverstanden waren, seien respektabel, allerdings hätten drei Viertel der Berliner entweder gegen den Erhalt des Flughafens gestimmt oder sich gar nicht erst an der Abstimmung beteiligt. Er hoffe nun, dass die Unterlegenen diese Mehrheit respektiere.

Der Berliner Fall wies noch eine weitere Besonderheit auf: normalerweise haben Volksentscheide eine unmittelbar wirkende Gesetzeskraft - sofern über Gesetzesvorlagen abgestimmt wird. Für den Flughafen Tempelhof galt das nicht; der Volksentscheid trug einen nur empfehlenden Charakter, weil die Schließung des Flughafens keines Gesetzes, sondern nur eines Verwaltungsaktes bedurfte.

Auch das Berliner Abgeordnetenhaus hätte den Flughafenbetrieb nicht per Gesetz einstellen, sondern nur eine entsprechende Empfehlung an den Senat aussprechen können. Wowereit hatte schon vor dem Plebiszit angekündigt, dass er Tempelhof auf jeden Fall dicht machen werde, weil sonst der Bau des geplanten Großflughafens Schönefeld gefährdet sei.

Ethikgegner unterlagen im Volksentscheid

Da für gewöhnliche Gesetze - in diesem Fall das Gesundheitsschutzgesetz - in Bayern kein Zustimmungsquorum gilt, erlangte das Volksbegehren Gesetzeskraft. In Baden-Württemberg wäre es am Quorum gescheitert, da lediglich knapp 23 Prozent der Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf stimmten.

Für den verfassungsändernden Volkswillen sieht aber auch Bayern ein Quorum vor; es liegt bei 25 Prozent. Dass diese Hürde überwindbar ist, bewies der Volksentscheid zur Abschaffung des bayerischen Senats im Jahr 1998. Damals kippten die Bayern sogar ein Verfassungsorgan: den ständestaatlich organisierten und deshalb als undemokratisch und außerdem als unnütz, weil weitgehend machtlos kritisierten Senat, der neben dem Landtag als zweite Kammer fungierte.

Dort saßen die Abgesandten von Landwirtschaftsverbänden, Industrie, Gewerkschaften, freien Berufen, Hochschulen, Religionsgemeinschaften und anderen Gruppen. Für die Abschaffung votierten knapp 28 Prozent der Wahlberechtigten. Das waren fast 70 Prozent der abgegebenen Stimmen. Der Senat hauchte sein Leben aus. Bayern aber existiert noch

Seite 2: Die Flughafenfreunde scheiterten

Anders verhielt es sich 2008 in Berlin, wo ein Aktionsbündnis unter Einschluss von CDU und FDP für den Erhalt des Flughafens Tempelhof eintrat. Bei diesem Volksentscheid scheiterten die Flughafenfreunde trotz Unterstützung durch die Springer-Presse am Zustimmungsquorum von 25 Prozent, obwohl sich bei der Abstimmung eine deutliche Mehrheit für den Weiterbetrieb aussprach.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagte anschließend, die Motive der Tempelhof-Freunde, die aus historischen und emotionalen Gründen mit der Schließung des Flughafens nicht einverstanden waren, seien respektabel, allerdings hätten drei Viertel der Berliner entweder gegen den Erhalt des Flughafens gestimmt oder sich gar nicht erst an der Abstimmung beteiligt. Er hoffe nun, dass die Unterlegenen diese Mehrheit respektiere.

Der Berliner Fall wies noch eine weitere Besonderheit auf: normalerweise haben Volksentscheide eine unmittelbar wirkende Gesetzeskraft - sofern über Gesetzesvorlagen abgestimmt wird. Für den Flughafen Tempelhof galt das nicht; der Volksentscheid trug einen nur empfehlenden Charakter, weil die Schließung des Flughafens keines Gesetzes, sondern nur eines Verwaltungsaktes bedurfte.

Auch das Berliner Abgeordnetenhaus hätte den Flughafenbetrieb nicht per Gesetz einstellen, sondern nur eine entsprechende Empfehlung an den Senat aussprechen können. Wowereit hatte schon vor dem Plebiszit angekündigt, dass er Tempelhof auf jeden Fall dicht machen werde, weil sonst der Bau des geplanten Großflughafens Schönefeld gefährdet sei.

Ethikgegner unterlagen im Volksentscheid

Ein Jahr später scheiterte in Berlin noch ein weiteres Volksbegehren, das bundesweit Aufmerksamkeit erlangt hatte, diesmal allerdings ganz ordinär mangels Mehrheit. Die Initiative "Pro Reli" und die Kirchen wandten sich gegen die von SPD und Linkspartei beschlossene schrittweise Einführung eines verbindlichen Ethikunterrichts in den Klassenstufen sieben bis zehn.

Der Religionsunterricht sollte weiterhin als freiwilliges Zusatzfach angeboten werden (in Berlin gilt eine Verfassungsregel, nach der Religionsunterricht kein Teil des Schulunterrichts ist, jedoch an den Schulen in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften auf freiwilliger Basis erteilt wird). Obwohl das Bundesverfassungsgericht den obligatorischen Ethikunterricht bestätigte, brachte ein breites Kirchenbündnis unter Führung der CDU ein Volksbegehren auf den Weg. Allerdings unterlagen die Ethikgegner im Volksentscheid. Dass sie das Zustimmungsquorum verfehlten, spielte keine Rolle mehr.

In Hamburg findet sich eine weitere Spezialität aus dem Erfahrungsraum direktdemokratischen Ringens, nämlich eine im Volksentscheid erfolgreiche Volksinitiative, die aber vom Senat der Stadt missachtet wurde. Dabei ging es um die Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser. 2004 sprach sich im Volksentscheid eine deutliche Mehrheit gegen den Verkauf aus (fast 77 Prozent).

Die Wahlbeteiligung lag bei fast 65 Prozent, was daraus resultierte, dass zugleich die Bürgerschaft gewählt wurde. Dennoch verkauft der Senat später eine Mehrheitsbeteiligung an dem Landesbetrieb an die Asklepios Kliniken. Das Hamburgische Verfassungsgericht entschied, der Volksentscheid sei weder für Bürgerschaft noch für den Senat verbindlich, der Antrag habe nur eine Aufforderung enthalten. Erfolgreich waren hingegen die Gegner der schwarz-grünen Schulreform im Hamburg. Sie setzten sich im Juli vergangenen Jahres im Volksentscheid durch.

Seite 3: Hintergründe

Volksbegehren: Der Weg zum Volksentscheid führt auf Landesebene über ein dreistufiges Verfahren. Die Regeln in Baden-Württemberg sehen so aus: Zunächst muss beim Innenministerium der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens gestellt werden. Dazu sind mindestens 10 000 Unterschriften vorzulegen. Sodann werden in den Gemeinden Eintragungslisten ausgelegt. Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn sich innerhalb von zwei Wochen mindestens ein Sechstel der Wahlberechtigten eingetragen hat. Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Geregelt ist das in der Landesverfassung, Artikel 59, sowie im Gesetz über Volksabstimmung und Volksbegehren aus dem Jahr 1984.

Volksabstimmung: Ist das Volksbegehren erfolgreich, kommt der Landtag ins Spiel. Er kann dem Volksbegehren zustimmen, dann wird es Gesetz. Wenn nicht, kommt es zur Volksabstimmung. In anderen Ländern ist von Volksentscheid die Rede. Auf kommunaler Ebene spricht man von Bürgerentscheid. Auf Länderebene sind nach Angaben des Vereins Mehr Demokratie inzwischen 19 Volksentscheide auf dem Weg des Volksbegehrens initiiert worden, in Bayern und Hamburg jeweils sechs.

Referendum: Die Volksabstimmung über Stuttgart 21 zählt da nicht mit, denn es handelt eigentlich um eine Referendum: Die Abstimmung kommt nicht durch ein Volksbegehren zustande, vielmehr legt die Regierung nach Artikel 60,3 der Landesverfassung einen im Parlament abgelehnten Gesetzentwurf den Bürgern zur Entscheidung vor. Auf Bundesebene ist ein Volksentscheid nur für die Neugliederung der Länder vorgesehen – und für eine neue Verfassung.