Wie feiert es sich ohne Alkohol in den Festzelten auf dem Wasen? Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht.

Bad Cannstatt - Die Maß Bier gehört zum Volksfest wie der Wasen zu Bad Cannstatt. Kaum eine Veranstaltung ist in den Köpfen so untrennbar mit dem Konsum alkoholischer Getränke verknüpft. Aber muss das wirklich so sein? Kann man auf Stuttgarts größter Bier-Sause nicht auch nüchtern Spaß haben? Maira Schmidt und Annina Baur wollten es wissen. Die Autorinnen haben einen Abend im Bierzelt verbracht: Während Maira Schmidt Alkohol trank, blieb Annina Baur beim Mineralwasser. Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht.

 

19.30 Uhr, kein Alkohol

Annina Baur: Schön ist der Festplatz, wenn sich langsam die Dämmerung über den Wasen senkt und sich das beleuchtete Riesenrad gemächlich dreht. Weniger schön: Vor den Festzelten haben sich bereits lange Schlangen gebildet, aus den Zelten dröhnt wummernd der Bass. Die Aussicht, einen Abend stocknüchtern in einem dieser Moloche zu verbringen, steigert die Vorfreude nicht. Dennoch steuern wir zielstrebig auf den Eingang zu. Im Zelt schlägt uns Hitze, abgestandene, von Zigarettenrauch und menschlichen Ausdünstungen geschwängerte Luft entgegen. Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrtmachen.
Maira Schmidt: Auch ich habe mich draußen auf dem Platz wohler gefühlt. Das Festzelt ist überfüllt, die Suche nach zwei freien Plätzen wird zur Geduldsprobe. Ich beneide meine Kollegin, um die Wasserflasche mit Schraubverschluss. Die Maß in meiner Hand scheint von Minute zu Minute schwerer zu werden. Zudem muss ich bei jedem Anrempler fürchten, dass der fast zehn Euro teure Inhalt verschüttet wird.

20 Uhr, eine Maß

Annina Baur: Erste Aufgabe erfolgreich gemeistert: Wir haben im proppenvollen Zelt zwei Plätze an einem Tisch ergattert. Das Sahnehäubchen: Unsere Nebensitzer sind noch nicht allzu betrunken und sowohl von der Volljährigkeit als auch vom Renteneintrittsalter weit genug entfernt, so dass ein Gespräch möglich erscheint. Als ich meine Wasserflasche auf den Tisch stelle, werden die Augen allerdings groß. Es wird gemutmaßt, dass ich noch Auto fahren muss oder schwanger bin. Weder noch. Zum Gegenbeweis stecke ich mir eine Zigarette an. Warum nur muss ich mich rechtfertigen, wenn ich keinen Alkohol möchte? Zum Glück kommt unser Göggele und ich kann mich mit Messer und Gabel beschäftigen.
Maira Schmidt: Ich freue mich ebenfalls über mein Göggele. Von dem jungen Mann neben mir bereits in einen netten Plausch verwickelt, komme ich allerdings kaum zum Essen. Die Maß ist bereits zur Hälfte geleert und meine Stimmung steigt. Die lauten Menschenmassen stören mich schon lange nicht mehr. Ich fühle mich entspannt, genieße das freudige Treiben um mich herum.

20.45 Uhr, die erste Schnapsrunde

Annina Baur: Mit unseren Nebensitzern haben wir das große Los gezogen: Wann immer das fesche Mädel mit dem großen Korb voller Schnäpse vorbei kommt, langen sie zu. Wir sind längst fester Bestandteil dieser Runde, nur die Erkenntnis, dass ich keinen Alkohol trinke, scheint sich nicht in den Köpfen festzusetzen. Ich muss mich der gut gemeinten Angebote regelrecht erwehren. Die Prosits der Gemütlichkeit fangen an, mir auf den Wecker zu gehen, die ungläubigen Blicke derer, denen ich mit meinem Wässerchen zuproste, tun es schon lange.
Maira Schmidt: Mit dem Flaschendeckel auf der Nase prosten wir uns die Schnäpse zu. Ich bin endgültig Teil dieser geselligen Gruppe. Man denkt an mich, wenn die nächste Runde Maß geordert wird. Man stellt mich selbstverständlich vor, wenn verspätete Freunde eintreffen und verteidigt meinen Sitzplatz gegen Fremde, wenn ich kurz auf die Toilette entschwinde. Ich gehöre dazu.

21.15 Uhr, die zweite Schnapsrunde

Annina Baur: Während die nächste Runde Schnaps durch die Kehlen meiner Tischnachbarn rinnt, beschließe ich, einfach gar nichts mehr zu trinken. Nach einem halben Liter Mineralwasser ist der Durst ohnehin gestillt, und vielleicht erspart mir diese Maßnahme die mitleidigen Blicke der anderen Gäste. Während meine Laune sinkt, steigt die Stimmung im Zelt. Es muss etwas passieren. Sonst muss ich diesen Selbstversuch abbrechen. Insofern erscheint es mir im Nachhinein selbst unglaublich, dass ausgerechnet die einzig Nüchterne am Tisch ihre Nebensitzer animiert, auf die Bank zu steigen.
Maira Schmidt: Na endlich! Es geht rauf auf die Bank. Auf die Idee hätte ich auch selbst kommen können. Doch zwischen all den Prosits und neuen Gesprächspartnern war einfach keine Zeit. Dann also jetzt: aufgestanden, mitgetanzt und vor allem mitgesungen. Auch wenn ich kein Schlagerfan und dementsprechend nicht unbedingt textsicher bin, für „Hey, wir wollen die Eisbären sehen!“ reicht es allemal.

21.30 Uhr, zwei Maß

Annina Baur: Ob die Leute eigentlich realisieren, wie lächerlich sie aussehen, wenn sie „Malle ist nur einmal im Jahr“ grölend in einer Polonaise durchs Zelt hopsen? Wahrscheinlich nicht. Mir aber beginnt die Sache langsam Spaß zu machen. Links, rechts, vor zurück, das bringt Spaß, das bringt Glück, ist eine gesungene Weisheit, die sich bewahrheitet. Nach wenigen Minuten auf der Bank habe ich mich akklimatisiert und spätestens bei „Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle“ gröle ich einfach munter mit – meine Banknachbarn werden ohnehin nicht mehr merken, dass meine Sangeskünste sich in engen Grenzen bewegen.
Maira Schmidt: Mein Sitznachbar ist im Gewühl verschwunden, stattdessen steht nun eine junge Frau im Dirndl neben mir auf der Bank. Einmal zugeprostet und schon lassen wir im Gleichtakt die Hüften schwingen. Meine Laune ist super. So könnte es die ganze Nacht weitergehen. Dementsprechend wehmütig stimmt mich der Blick auf die Uhr. Schon halb elf, in 30 Minuten ist auf dem Wasen Schluss. Aber daran will ich jetzt nicht denken. Ich gebe noch mal Vollgas: Schwinge die „Hände zum Himmel“ und singe laut mit.

22.45 Uhr, Abschiedsschnaps

Annina Baur: Dass ich den angebotenen Schnaps ablehne, stößt auch am Ende des Abends noch auf ungläubige Blicke. ‚Das machst du nicht noch einmal nüchtern mit, oder?’, will mein Nebensitzer zum Abschied wissen. Meine Antwort überrascht mich selbst: Doch, das würde ich jederzeit wieder machen. Gelingt es einem, sich von der Stimmung mitreißen zu lassen, kann so ein Abend im Bierzelt auch bierfrei eine Riesengaudi sein.
Maira Schmidt: Klar, ich freue mich schon auf den nächsten Besuch im Bierzelt. Worauf ich mich in diesem Moment allerdings weniger freue, ist der nächste Morgen: Ist die Partystimmung erst einmal verflogen, hinterlässt der Alkohol bekanntlich unangenehme Spuren. Es ist mitten in der Woche, kein Ausschlafen in Sicht. Das bedeutet: Mit Kopfweh zur Arbeit, keine schöne Vorstellung. Jetzt beneide ich meine nüchterne Kollegin schon ein bisschen.