Als klatschsüchtiger Mietshaus-Feger begeistert die Schauspielerin Monika Hirschle gerade in der Komödie im Marquardt das Publikum: „Tratsch em Treppahaus“ – und ist dabei wieder einmal ganz Volksschauspielerin. Grund genug, mit ihr unbekannte Tiefen zu erforschen. Ist die schwäbische Hausfrau an sich neugierig? Oder nimmt sie einfach gern Anteil?

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Eigentlich waren wir mit der Schauspielerin Monika Hirschle im Café Graf Eberhard zum Plaudern und Fotografieren verabredet. Dann aber meldet uns Google Maps beim Start unserer Smartphone-Aufnahme-App „Aktueller Standort: Tiefenpsychologie-Praxis Dr. Schmidt“. Da muss wohl gleich eine Wand weiter die Couch schon bereit stehen. Aber Monika Hirschle amüsiert die Vorstellung, dass es in der kommenden Stunde mit dem Journalisten mal richtig ans Eingemachte gehen könnte: „So ein bisschen Lebensberatung kann uns ja allen nur nützen.“ Als Aufwärmer bestellt sie gleich mal einen schönen Milchkaffee.

 

„Volksschauspielerin“ ist weder ein Fach, das man studieren kann, noch ein Titel, den der Staat vergibt. Allein das Publikum gewährt durch langjährigen steten Beifall jene Grundgunst, aus der heraus dann Kritiker eine solche Bezeichnung ableiten können. Es sind Schauspieler, in deren Kunst sich vielleicht weniger der große Gelehrte und der kritische Ästhet als der mehr oder weniger gewöhnliche Theaterbürger mit seinen Alltagssorgen und Wünschen gut wiederfindet – gern ein bisschen überspitzt, gern auch mal leicht verulkt, aber niemals bösartig verleumdet, damit der Zuschauer nicht nur über das Geschehen auf der Bühne lachen, sondern auch über sich selbst wenigstens heimlich schmunzeln kann.

Sie hüpft und wippt wie ein junges Mädle

Die 2010 verstorbene Hamburgerin Heidi Kabelwar solch eine Volksschauspielerin, in der niederdeutschen Komödie „Sluderkram in’t Treppenhus“ fand und gab sie eine ihrer Paraderollen. Und die Stuttgarterin Monika Hirschle steht jetzt ganz in ihrer Tradition, natürlich auf Schwäbisch: „Tratsch em Treppahaus“, seit Mitte November und noch bis zum 13. Januar fast jeden Abend zu erleben und zu genießen in der Komödie im Marquardt.

Wobei: Die norddeutsche TV-Tratschtante war damals, Anfang der 1960er Jahre und schwarz-weiß im Ersten, schon ein arg viel Gift versprühender Drache. „Ja, die Heidi Kabel hat die Figur wirklich richtig böse angelegt.“ Während die Stuttgarter „Frau Boldinger“ à la Hirschle deutlich differenzierter auf die Bühne kommt: „Ich wollte die Frau sympathischer wirken lassen. Die hat halt das Pech, mit diesem furchtbar faden Jürgen verheiratet zu sein. Sie ist ein bisschen naiv, aber vor allem ist sie unglaublich neugierig. Und dann plappert sie eben mal wieder drauflos.“ Hirschles Figur kommt aufgeregt die Treppe hochgehüpft, wippt hin und her, springt wie ein junges Mädle, wenn sie etwas Neues erfährt. „Sie ist nicht wirklich böse. Dass sie ihren Nachbarn mit ihrer Tratscherei schadet, das passiert ihr einfach.“

Monika Hirschle hat Vorbilder, zieht aber auch Grenzen

Das heißt, gerade wenn es bei der Rollengestaltung große Vorbilder gibt, muss man sich bewusst davon lösen? „Heidi Kabel und Grethe Weiser, das waren schon immer meine komödiantischen Vorbilder. Dazu aus der Peymann-Truppe die große Kirsten Dene, die wirklich alles kann, komisch oder tragisch oder beides zugleich. Aber wenn ich so wie jetzt eine Rolle spiele, die schon die Heidi Kabel gespielt hat, dann muss ich mich ganz davon lösen. Dann muss ich sagen: So, das ist jetzt meines! Sonst geht die Sache schief.“ Vorbilder haben, aber dennoch klare Grenzen ziehen – die Psychologin nebenan wäre begeistert.

„Ihre Brille ist echt okay.“ Ach danke, Frau Hirschle, wieso jetzt das? Ach ja, Sie haben ja mal Augenoptikerin gelernt. „Genau, bei Optik Martin in der Lehre und bei Kästner im Königsbau“. Das war Ende der 70er-Jahre, als Hirschle zwar schon wusste, dass sie gern Schauspielerin werden würde und privaten Unterricht nahm, aber das hätte ja auch schiefgehen können. „Deswegen die praktische Ausbildung – und auch, um Geld zu verdienen.“ Seitdem hat sie im Privaten einen Blick dafür, ob die Brille ihrem Gegenüber auch steht. „Wenn man mich nach einer Feier fragt, was hatten die Leut’ an, kann ich nix antworten, das interessiert mich null. Aber an die Brillen erinnere ich mich genau.“

Augen auf beim Brillenkauf!

Es sei eine Wissenschaft für sich, Kunden zum neuen Gestell zu verhelfen. „Man darf als Optiker nie das passendste Modell gleich am Anfang vorlegen. Das nimmt der Kunde niemals. Erst immer so etwas Durchschnittliches, dann als zweites was richtig Schlechtes. Und dann das Topmodell als Nummer drei. Dann hat es Chancen.“ Hirschle erkundigt sich nach der Dioptrienzahl des Journalisten. „Ach! Na, zum Glück gibt’s heute die stark brechenden Gläser. Früher musste man in Ihrem Fall ja so Marmeladengläser tragen.“ Großes Patientengelächter in der zusehends fidelen tiefenpsychologischen Praxis.

Zum Spiel auf Schwäbisch und mit dem Schwäbischen ist sie erst nach und nach gekommen. „Meine ersten Rollen am Alten Schauspielhaus waren immer Hochdeutsch; der damalige Intendant Elert Bode ist ja Preuße durch und durch. Der hat aufgepasst, dass da in der Artikulation nix verrutschte.“ Doch dann wurde es zunehmend regional, kam ein Soloabend mit Texten von Thaddäus Troll, kamen die Telefonate von Elfie Eisele mit der „beschten Freundin“ Margot im Südfunk-Radio, kamen Mundart-Hörspiele und eigene Stücke, kamen TV-Auftritte beim „Tatort“ und als „Dorffrisörin und Dauersingle“ Uschi Stammer in der SWR-Bäckerkriegs-Serie „Laible und Frisch“ – die es ja bekanntlich sogar bis ins Kino geschafft hat.

Auf dem Sprung zum Millionär

Was sie von alledem am liebsten macht? „Ach, eigentlich alles gerne, wobei mein Soloprogramm ,Gell, Sie sen’s?!’ die größte Herausforderung ist. Aber die Abwechslung ist wunderbar. Jetzt jeden Abend ,Tratsch’, an manchen Tagen sogar im Doppel. Da sagt man manchmal in der zweiten Vorstellung einen bestimmten Satz, stutzt und denkt: Hast du das nicht grad eben schon mal gesagt?“ In der Psychologie spricht man da wohl von Wiederholungszwang. „Dann komme ich Ende Januar mit meinem Soloprogramm zurück ins Theater der Altstadt. Und im März bin ich dort bei der schwäbischen Fassung des „Brandner Kaspar“ dabei. Da spiel’ ich den Tod.“ Kurze Pause. „Das wird dann mal eine ganz andere Moni.“ Weitere kurze Pause. „Aber das wird sicher auch ein ganz anderer Tod.“

Langsam geht die Therapiestunde zu Ende, wir können endgültig zum gemütlichen Teil übergehen. Gegen grippale Infekte, den Horror aller Schauspieler im Ensuite-Spielbetrieb, empfiehlt die Frau Hirschle Orthomol, „und dann ganz fest dran glauben“. An Frei- und Samstagen lacht das Publikum schneller und lauter als unter der Woche. Beim Optiker werden Kundinnen immer möglichst von männlichen Angestellten bedient und Kunden von Mädels, „das ist besser wegen der Eitelkeit“.

Ach ja, und ein Kollege aus dem „Tratsch“-Ensemble saß schon mal als Kandidat bei Günter Jauch im Millionenquiz. „Aber er hat in der Vorrunde zwei Mal zu spät die Tasten gedrückt, da war’s dann gleich wieder vorbei“. Sie selbst würde gern mal als Kandidatin bei „Wer weiß denn sowas“ oder bei „Genial daneben“ mitmachen. „Aber es kommen einfach keine Anfragen. Können Sie das nicht mal schreiben?“ Können wir, Frau Hirschle. Geht hier heute schließlich alles auf Kasse.