Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) geht die Bahn erneut an und kritisiert die Informationspolitik. Die Bahn reagiert verwundert.

Stuttgart - Kurz vor Beginn der Volksversammlung am Mittwochabend unter dem Motto "Wir reden mit" auf dem Stuttgarter Marktplatz hatte Gangolf Stocker vom veranstaltenden Verein "Leben in Stuttgart" noch skeptisch in den wolkenverhangenen Himmel geblickt. Nur 400 bis 450 Bürger, so die Zahlen der Polizei, kamen anfangs zu der Veranstaltung mit Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann; erst nach und nach füllte sich der Platz. Am Ende, als die Polizei schon aufgehört hatte zu zählen, sprach Stocker von 2500 bis 3000 Teilnehmern.

 

Das Thema des Abends hatte eigentlich "Der Stresstest - ein Verwirrspiel?" geheißen. Im Mittelpunkt standen aber zunächst die Ausschreitungen im Anschluss an die Montagsdemonstration auf dem Gelände des Grundwassermanagements - und besonders der Vorwurf an die Polizei, sie habe Provokateure eingeschleust. Den Beteuerungen des Landesvorsitzenden der Polizeigewerkschaft GdP, Rüdiger Seidenspinner, diese "Strategie von vorvorgestern" werde nicht angewandt, schenkten Mitglieder der Protestbewegung keinen Glauben. Die Regierung müsse sicherstellen, "dass die jetzige Polizeiführung nicht da weitermacht wo die vorherige aufgehört hat", forderte ein Anhänger.

Die Befürworter waren in der Unterzahl

Der Verkehrsminister erteilte dem eine klare Absage. Er erinnerte daran, wie groß die Empörung darüber gewesen war, dass sich die Vorgängerregierung in die Arbeit der Polizei eingemischt habe: "Diesen Fehler werden wir nicht begehen." Dem neuen Polizeipräsidenten Thomas Züfle vertraue er voll und ganz, er sei für diese Aufgabe "der Beste, den man sich vorstellen kann". Beide Seiten hätten sich aber an Regeln zu halten. Er habe keinen Zweifel an den Ausschreitungen und daran, dass ein Polizist "gewaltsam behandelt" worden sei. "Es ist keine gute Strategie, das zu leugnen." Die Bewegung müsse dafür Sorge tragen, dass der Protest gewaltfrei bleibe. Der Beamte, dessen schwere innere Verletzungen von Augenzeugen angezweifelt worden waren, ist am Mittwoch aus dem Krankenhaus entlassen worden.

Zu Zurückhaltung rief auch der Moderator der Volksversammlung, Jo Frühwirth, auf, der ein Zitat Mahatma Gandhis bemühte: "Ich glaube an Gewaltlosigkeit als einziges Heilmittel". Wenngleich er selbst keinen Hehl daraus machte, wie er zum Bahnprojekt steht, bat Frühwirth um einen respektvollen Umgang zwischen Gegnern und Befürworten, die bei der Veranstaltung deutlich in der Unterzahl waren. Dies fruchtete größtenteils. Die Polizei registrierte keine außergewöhnlichen Auseinandersetzungen. Für vereinzelte hitzige Diskussionen sorgten Plakate der Befürworter mit Parolen wie "gelöste Feierabendstimmung?" und "Grüner Montag" - in Anspielung auf das geflügelte Wort vom "schwarzen Donnerstag". Auch zwischen Projektgegnern und Vertretern der Polizei kam es zu Wortgefechten, bei denen zu spüren war, dass die Ereignisse des Montags noch nicht verarbeitet sind.

Die Bahn reagiert mit Unverständnis

Seine Kritik an der Informationspolitik der Bahn hielt Winfried Hermann derweil aufrecht. Es sei "ein Ärgernis", dass der Konzern die Ergebnisse des Stresstests den Projektpartnern erst drei Tage vor der öffentlichen Verkündung zur Bewertung überlassen wolle. Mehrfache Nachfragen von Mitgliedern der Interessengemeinschaft "Bürger für Stuttgart 21", ob ihm Resultate des Stresstests nicht doch bereits vorlägen, verneinte er. Mit den Daten, die er bislang kenne, "könnte man kein kommunales Projekt durchbringen".

 Die Bahn reagierte verwundert auf die Aussagen Hermanns und wies die Vorwürfe als "völlig unverständlich" zurück. In einer Pressemitteilung heißt es, man halte sich an alle Vereinbarungen aus dem Lenkungskreis und der Schlichtung, zuletzt habe man die Projektpartner in einer mehrstündigen Sitzung am 16. Juni über den Arbeitsstand informiert. Bereits Mittwochvormittag hatte der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG einstimmig beschlossen, die Baumaßnahmen fortzusetzen.

Hermann reagierte mit Spott auf die ablehnende Haltung der Bahn gegenüber seiner Forderung, auch den bestehenden Kopfbahnhof einem Stresstest zu unterziehen. Man habe wohl Angst davor herauszufinden, "dass der jetzige Bahnhof schon heute mehr kann als der neue jemals können wird". Gleichzeitig versuchte er, die hohen Erwartungen an die Landesregierung zu dämpfen. "Die Bahn", sagte er, "hat beim Stresstest die Hoheit. Wir sind abhängig von ihren Informationen."