Steuersünder lassen sich nur stoppen, wenn die Schlupflöcher geschlossen werden, sagt die Volkswirtin Brigitte Bertelmann.

Stuttgart - Wie ist ein gerechteres Finanz- und Steuersystem in Europa möglich? In der Evangelischen Akademie in Bad Boll suchen Experten und Interessierte am 16. /17. Februar Antworten.

 
Frau Bertelmann, wo sehen Sie die größten Probleme in puncto?
Wir haben national und international Strukturen, die es erleichtern, Steuern zu hinterziehen oder zu vermeiden – von Steuersenkungswettbewerb über komplexe Steuergestaltung bis hin zu mangelnden Kontrollen.Dadurch gehen der öffentlichen Hand erhebliche Einnahmen verloren. Das schwächt bei uns die Gestaltungsfähigkeit des Staates und vergrößert Ungleichheit. Aber auch Entwicklungsländern, die als Steueroasen genutzt werden, entgehen Einnahmen, die sie dringend bräuchten. Das macht schätzungsweise 100 Milliarden Euro pro Jahr aus, fast so viel wie die jährliche Entwicklungshilfe.
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Steuerdumping und -betrug zu unterbinden. Was braucht es dafür?
Nötig ist ein öffentliches Transparenzregister. Transnational tätige Unternehmen sollten genau belegen, wo sie welche Gewinne erwirtschaften. Zudem sollten wirtschaftlich Begünstigte offengelegt werden und erkennbar sein, damit sie besteuert werden können. Das ist bei manchen Stiftungskonstruktionen etwa in Liechtenstein oder Luxemburg nicht der Fall.
Irland lockt mit niedrigen Steuern Konzerne wie Facebook oder Amazon an…
Als man in Irland vor vielen Jahren die Steuern senkte, betrachteten das manche als eine Art „Entwicklungshilfe“ für ein kleines, wirtschaftlich relativ unbedeutendes Land – man wollte den Wirtschaftsstandort stärken. Dass das auch eine Kehrseite hat – dass etwa Unternehmen und Banken aus anderen Ländern ihren Sitz dorthin verlegt haben, um Steuern zu vermeiden –, hat man angeblich nicht gewollt und nicht bedacht. Besonders fragwürdig ist die kombinierte Nutzung von Steuerschlupflöchern in verschiedenen Ländern, wie der „Double-Irish-with-a-Dutch-Sandwich“, der das rechnerische Verschieben von Gewinnen eines Konzerns verbindet mit Steuervergünstigung für bestimmte Einkunftsarten, z.B. aus Lizenzen oder Patenten, um schließlich fast überhaupt keine Steuern zu zahlen.
Wie lässt sich das künftig verhindern?
Sinnvoll sind Instrumente wie die schwarze Liste der EU-Finanzminister oder die Sanktionierung von Unternehmen, die beim Informationsaustausch nicht kooperieren. Doch diese Instrumente müssen auch richtig genutzt werden. Die Tatsache, dass Länder wie Liechtenstein, Holland, Luxemburg oder Irland nicht auf der schwarzen Liste stehen, weil sie EU-Länder sind, ist heuchlerisch. Das Gleiche gilt für Panama und andere, die im Januar allein deshalb wieder von der Liste genommen wurden, weil sie zugesagt haben, zukünftig zu kooperieren. Das zeigt die Halbherzigkeit oder vielleicht auch den Lobbydruck, dem sich Regierungen und die EU-Kommission ausgesetzt sehen.
Was erwarten Sie von der Bundesregierung?
Sie müsste auf europäischer Ebene stärker und konsequenter für mehr Transparenz eintreten. Die Bundesregierung hat sich gegen den steuerrelevanten Informationsaustausch mit Entwicklungsländern ausgesprochen, wenn diese nicht auch in gleicher Weise Daten liefern. Dabei verkennt sie leider, dass vielen Ländern eine entsprechende Finanzverwaltung fehlt und die Zusammenarbeit helfen könnte, diese endlich aufzubauen.
Sie vermissen im Koalitionsvertrag die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Wieso?
Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung und anderen Untersuchungen wird oft betont, dass die Ungleichheit in Deutschland in den letzten Jahren nicht wesentlich gestiegen sei. Dabei werden aber häufig nur die Einkünfte verglichen, nicht das Vermögen, wo die Spreizung deutlich größer ist. Ein weiteres Problem ist, dass über Steuern meist nur negativ gesprochen wird. Ihr Wert für die Gemeinschaft wird unterschlagen und so getan, als ob private Angebote und Wettbewerb per se besser seien. Dabei sehen wir etwa beim Wohnungsbau, dass das nicht klappt und bezahlbare Wohnungen immer knapper werden. Ähnliches gilt für Bildung oder Infrastruktur. Außerdem geht mit der Vermögenskonzentration eine Machtkonzentration einher, die die Demokratie gefährden kann.
Braucht es eine bessere Finanzverwaltung?
Hilfreich wäre eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung und einheitliche Regeln. Wir haben in allen 16 Ländern eigene Finanzverwaltungen, die auch Standortpolitik machen können. Wenn die Verwaltung schlecht ausgestattet ist, Mitarbeiter fehlen und nur mit laxen Kontrollen zu rechnen ist, kann das schon ein Signal an Investoren sein. Auch der Steuerwettbewerb mit unterschiedlichen Hebesätzen etwa bei der Gewerbesteuer und der Grundsteuer kann problematisch sein, weil er die Ungleichheit der Lebensverhältnisse zwischen armen und reichen Kommunen festigt und verschärft.