Steffen Müller (Name geändert) hat alles richtig gemacht, als er die Fragen für die aktuelle Volkszählung, den Zensus 2022, beantwortet hat. Und trotzdem ist er angemahnt worden. Weil das vielen Volksgezählten so geht, ist die Geschichte von Steffen Müller eigentlich keine besondere. Und dennoch ist es gerade diese Tatsache, die fragen lässt: Ist das, was Steffen Müller und die vielen anderen erlebt haben, wirklich nichts Besonderes? Oder ist gerade das das Besondere? Steffen Müller, der Ende 50 ist und in Vaihingen/Enz lebt, jedenfalls sagt inzwischen: „Ich finde es sehr merkwürdig, wie da mit Daten umgegangen wird.“
Alles erledigt – und trotzdem angemahnt
Seine Zensus-Geschichte beginnt Ende Mai mit dem Besuch einer Interviewerin bei sich und seiner Familie zuhause. Steffen Müller, seine Frau und seine Tochter geben jeweils Auskunft zu Alter, Staatsangehörigkeit, Familienstand und anderen demografischen Angaben. Und später am Tag beantworten alle drei – online am Computer – weitere Fragen. Zu Bildungsstand, Berufstätigkeit, weiteren Immobilien und anderen Bereichen, aus denen sich ableiten lässt, wie viele Menschen in Deutschland leben, wie sie wohnen und arbeiten. Müllers senden ihre Angaben elektronisch ab, bekommen die Eingangsbestätigung und haken die Sache ab. Zu früh, wie sich zeigen sollte.
Nach etwa drei Wochen liegt bei Müllers die erste Mahnung im Briefkasten. Ihre Zensus-Daten würden fehlen. Sie möchten doch bitte daran denken, die Fragebögen auszufüllen und abzugeben. Enthalten sind auch fünf Codes zur Freischaltung der Fragen am Computer. Verwundert ruft Steffen Müllers Frau im Landratsamt an, das auf Kreisebene für die Befragung zuständig ist. „Ein Versehen“, heißt es dort. Familie Müller werde fix aus dem Anmahnwesen eliminiert.
Es gibt sogar eine zweite Mahnung
Doch dann, etwa drei weitere Wochen später, kommt wieder ein Schreiben. Dieses Mal ist es nur an Steffen Müller gerichtet. Seine Daten würden fehlen. Steffen Müller ist verunsichert. Immerhin kann bei einer Auskunftsverweigerung ein Bußgeld über 5000 Euro drohen. Und er ist verärgert. „Was haben Sie mit meinen Daten gemacht?“, fragt er im Landratsamt nach. Und überhaupt: Was könnte er mit seinen Daten machen? Könnte er mit den Freischaltcodes etwa weitere Male an der Umfrage teilnehmen, womöglich mit beliebigen Angaben?
Der Zensus 2022 ist das größte Projekt, das die amtliche Bürokratie zurzeit beschäftigt. Jahrelang ist es vorbereitet worden, und bis es Ende 2023 abgeschlossen ist, werden weitere Monate vergehen. Steffen Müller hätte sich auch gar nicht so sehr gewundert, dass nicht alles flutscht – hätte er nicht gelesen, dass die Probleme mit der Mahnung nur jene Befragten beträfen, die die Fragebögen handschriftlich ausgefüllt und mit der Post versendet hätten. Im fraglichen Fall ging es um eine Frau aus Stuttgart, die auch alles richtig gemacht hatte, allerdings in Papierform. Er aber war ja online aktiv.
Die Kommunen sorgen sich
Das wiederum dürfte den Deutschen Städtetag und den Deutschen Landkreistag nicht überraschen. Die kommunalen Spitzenverbände hatten bereits im Juli Alarm geschlagen. Die eigens entwickelte Software sei nicht genug erprobt. In der Praxis gebe es erhebliche Performanceprobleme – und darum auch erhebliche Probleme bei den Mahnverfahren. Städtetag wie Landkreistag äußerten große Sorgen, am „zeitlich geordneten Ablauf“ und vor allem am Ergebnis.
Für Kommunen sind die Ergebnisse der Befragung deshalb so wichtig, weil von ihnen unter anderem die Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich abhängen. Stimmt zum Beispiel die Einwohnerzahl nicht, stimmt auch das Geld nicht.
Diese Sorge kann Alexander Grund den Spitzenverbänden wie auch Steffen Müller nehmen. „Die Ergebnisse sind zuverlässig!“ Grund ist Pressesprecher beim Statistischen Landesamt – und er kann sich nur zu gut vorstellen, welches Klischee sich da gerade wieder mal zu bestätigen scheint: Das vom Bürokratiemonster, bei dem die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Trotzdem, versichert, Alexander Grund: Es ist ein Klischee.
200 000 Anrufe in der Hotline
Rund 3,5 Millionen Haushalte seien angeschrieben worden, die Zahl der problematischen Rückmeldungen dabei sei so gering, dass Grund von Einzelfällen spricht. Mitnichten sei es so, dass Online-Nutzer davor gefeit wären, aber tatsächlich seien sie weniger gefährdet. Jeder Einzelfall jedoch werde sehr bedauert, sagt Alexander Grund.
Rein rechnerisch hätten die Statistiker viel zu tun. Bei der Hotline des Amts wurden seit Beginn des Zensus rund 200 000 Anrufe gezählt. Aber nicht immer ist ein Problem der Grund des Anrufs, sagt Grund. Oft gebe es nur eine Nachfrage. Apropos: Das mehrfache Ausfüllen des Online-Fragebogens ist nach amtlichen Angaben nicht möglich.
Eine freundliche Entschuldigung
Und: Bei Steffen Müller war es wahrscheinlich so, dass seine Daten noch in der virtuellen Ablage lagen – und die Mahnung rausging, ehe die Angaben bearbeitet wurden. Seither hat Müller allerdings kein Schreiben mehr bekommen, dafür eine freundliche Entschuldigung.
Der nächste Zensus im Jahr 2031 soll sehr viel bürgerfreundlicher werden. Dann sollen die Daten aus vorhandenen Quellen der Verwaltung oder Statistik weitgehend automatisiert gewonnen werden. Zusätzliche Befragungen wären dann nicht mehr nötig. Die Vorbereitungen dafür laufen schon.