Die Landesregierung macht die Konsequenzen der Volkszählung zum Thema. Der Zensus erzwingt Korrekturen beim Länderfinanzausgleich, aber auch bei den Zahlungsströmen zwischen Land und Kommunen. Da haben sich etliche gewaltig in ihren Melderegistern verhauen.

Stuttgart - Das Ergebnis der Volkszählung beschäftigt jetzt die Landesregierung. Nach der Sommerpause will das Kabinett diskutieren, „welche Konsequenzen wir ziehen müssen“, wie der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte. Die Ergebnisse des Zensus „müssen wir sehr ernst nehmen“, sagte er weiter. Dabei gehe es nicht nur um finanzielle Folgen für den Südwesten und seine Kommunen. Um die Staatsfinanzen zu sanieren, plant die Landesregierung Stellenkürzungen. Dafür dürften die Ergebnisse der statistischen Erhebung maßgeblich sein. Kretschmann will aber auch das Meldewesen unter die Lupe genommen wissen.

 

Bei den am Freitag bekanntgegebenen Ergebnissen der Volkszählung zum Stichtag 9. Mai 2011 war zu Tage getreten, dass das Land 274 000 oder 2,5 Prozent weniger Einwohner hat als angenommen. Das ist mehr als im bundesdeutschen Durchschnitt. Nur die Stadtstaaten Berlin und Hamburg haben größere Verluste zu verbuchen. Dafür verantwortlich gemacht hat Carmina Brenner, die Präsidentin des Statistischen Landesamtes die hohe beruflich bedingte Mobilität im Land verbunden mit einem nachlässigen Meldeverhalten der Wegziehenden.

35 Prozent der Einwohner übersehen

Tatsächlich wirft die Differenz zwischen dem Volkszählungsergebnis und den Melderegistern bei Städten und Gemeinden Fragen auf. Bei Durchsicht der Ergebnisse für die Kommunen fällt auf, dass die Verschiebungen viel größer sind, als es der aufaddierte Einwohnerverlust nahelegt. Denn immerhin ein Viertel der Kommunen im Land hat beim Zensus sogar eine höhere Einwohnerzahl attestiert bekommen als man dort zu haben glaubte.

Das bewegt sich meist in überschaubarem Rahmen. So hatte Reichenbach an der Fils (Kreis Esslingen) 50 Einwohner mehr als amtlich geführt, in Weilheim/Teck waren es 73, in Süßen (Kreis Göppingen) immerhin 259. Nicht nur größere Städte sind von Meldeungenauigkeiten betroffen. Mannheim hat den größten absoluten Verlust hinzunehmen mit einem Minus 23 500 der Bürger (7,45 Prozent). In dem Ort Moosburg am Federsee (Kreis Biberach) hat man sich locker um 35,7 Prozent vertan, mit 228 Einwohnern hat man 60 mehr als gedacht. Forchheim (Kreis Emmendingen) hat sich um fast neun Prozent oder 111 Einwohner unterschätzt.

Baden-Württemberg verliert Geld

Diese Kommunen haben etwa bei den Schlüsselzuweisungen weniger Geld abrufen können als ihnen zugestanden hätte. Dafür haben andere mehr abgerufen. Altshausen im Kreis Ravensburg etwa hat 12,93 Prozent mehr Einwohner geltend gemacht als wirklich vorhanden waren. In Isny (Kreis Ravensburg) waren es knapp zehn Prozent, in Breitnau (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) sogar 14,45, in Gaiberg (Rhein-Neckar-Kreis) 13,22 Prozent.

2016 sollen diese Werte die Grundlage für die Berechnung der Finanzzuweisungen werden. Womöglich denkt das Kabinett auch über den kommunalen Finanzausgleich nach. Wenn es 2,5 Prozent weniger Einwohner gibt, könnte man auf die Idee kommen, auch weniger in den kommunalen Finanzausgleich zu geben, um so der Etatkonsolidierung näher zu kommen.

Zusätzliches Kürzungspotenzial muss Grün-Rot auf jeden Fall erschließen, denn die Volkszählung macht das Ausgleichssystem zwischen den Ländern teurer. Bei sinkenden Einwohnerzahlen wächst die Steuerkraft pro Kopf. Vorläufigen Berechnungen des Finanzministeriums in Stuttgart zufolge würde der Südwesten nach Umsatzsteuer- und Länderfinanzausgleich zusammen 177 Millionen Euro mehr an andere abgeben müssen.

Nur vier Länder müssen leiden

Nur vier Länder – neben Baden-Württemberg noch Hamburg und Sachsen, vor allem aber Berlin – würden durch die korrigierten Zahlen leiden. Berlin würde im laufenden Jahr insgesamt 473 Millionen Euro weniger bekommen. Die neben dem Südwesten beiden anderen Zahlerländer Bayern und Hessen würden profitieren. Die Nachbarn im Osten müssten der Aufstellung zufolge 245 Millionen Euro weniger abführen, die im Norden immerhin rund 50 Millionen Euro weniger.

Die Tücke beim Länderfinanzausgleich ist, dass hier über nachträgliche Korrekturen nachgedacht wird. Das Land müsste also für 2011 und 2012 nachzahlen. Das Mehr für 2013 ist schon im Haushaltsplan verankert, so dass das nicht auch noch zum Tragen kommt. Das Ganze, sagt Kretschmann, „zeigt noch einmal klar, wie reformbedürftig der Länderfinanzausgleich ist“.