Der Trainer des Volleyball-Bundesligisten Allianz MTV Stuttgart ist überzeugt, dass sein Team gut genug ist, um nächste Saison zwei Titel holen zu können. Und er erklärt, warum dafür auch schlechte Momente nötig sind.

Stuttgart - Volleyball-Bundesligist Allianz MTV Stuttgart startet an diesem Sonntag (17.15 Uhr) gegen die Roten Raben Vilsbiburg in die neue Saison. Giannis Athanasopoulos freut sich auf die Herausforderung, doch zugleich ist der Trainer ziemlich besorgt. Wegen der Corona-Lage.

 

Hallo Herr Athanasopoulos, die sportlichen Erwartungen vor dem Saisonstart sind extrem groß. Arbeiten Sie tatsächlich mit dem besten Kader, den es je in Stuttgart gab?

Es wäre schön.

Warum antworten Sie im Konjunktiv?

Die individuelle Qualität ist sehr hoch, das stimmt.

Aber?

Wir sind noch kein Team. Um uns zu entwickeln, brauchen wir Zeit, Trainingseinheiten, Spiele. Und schlechte Momente. Erst dann wird sich zeigen, wie stark wir als Mannschaft sind.

War das nach fünf Matchbällen verlorene Pokalfinale gegen den Dresdner SC im Februar so ein Moment?

Ein sehr gutes Beispiel.

Danach folgte der nächste Umbruch bei Allianz MTV Stuttgart, nur vier Spielerinnen blieben.

Fakt ist, dass ich als Trainer jetzt mehr Möglichkeiten habe – vor allem auch für die schwierigen Situationen.

Bisher landete der Ball dann stets bei Krystal Rivers.

Natürlich, sie war in den letzten zwei Jahren ja auch die beste Angreiferin der Bundesliga. Künftig haben wir den Vorteil, dass der Gegner nicht mehr weiß, über wen die entscheidende Attacke läuft. Andererseits muss sich die neue Hierarchie bei uns erst herausbilden. Wir müssen noch unsere Identität finden.

Wie schnell geht das?

Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es während der Spiele passieren muss. Für einen anderen Weg bleibt keine Zeit.

„Kein Trainer kann irgendetwas planen“

Die Saison endet diesmal schon Mitte April. Wer sind die Titelfavoriten?

Der SSC Schwerin und der Dresdner SC.

Warum?

Weil sie dasselbe jedes Jahr über uns sagen.

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Und im Ernst?

Ist ganz viel ziemlich unklar. In der Corona-Situation arbeiten alle Trainer von Tag zu Tag. Keiner von uns kann irgendetwas planen, weil keiner weiß, was morgen sein wird. Das ist die neue Realität.

Das Coronavirus . . .

. . . wird ganz sicher auch die Volleyball-Bundesliga infizieren.

Mit welchen Folgen?

Ich habe Angst davor, dass mein Team in Quarantäne muss. Weil danach noch einmal dieselbe Zeit nötig ist, um wieder das Niveau zu erreichen, das man vor der Zwangspause hatte. Mit einem fairen Wettbewerb hat das nichts zu tun, gleichzeitig muss allen klar sein, dass es keine normale Saison wird. Es könnte sein, dass sich am Ende nicht das beste Team durchsetzt – sondern das fitteste.

Was bedeutet das für Ihren Job?

Die Mannschaft hat hart gearbeitet. Und zugleich geht es darum, mentale Stärke zu vermitteln, immer positiv zu bleiben – und jede Minute zu genießen, die wir auf dem Feld stehen dürfen.

„Es zählt jedes Spiel, jeder Satz“

Die vergangene Bundesliga-Saison wurde Mitte März einen Spieltag vor dem Ende abgebrochen . . .

. . . und daraus haben wir unsere Lehren gezogen.

Welche?

Wenn mal ein, zwei, drei Teams in Quarantäne müssen, werden sich angesichts des engen Spielplans keine Ausweichtermine finden lassen. Im Umkehrschluss heißt dies, dass wir vom ersten Tag an voll da sein müssen. Heimniederlagen wie vergangene Saison gegen Münster oder Aachen können wir uns nicht mehr leisten - wenn die Bundesliga wieder vorzeitig endet, zählt jedes Spiel, jeder Satz, womöglich jeder Punkt.

Wie lauten die Saisonziele?

Wir wollen um die Meisterschaft und den Pokalsieg kämpfen. Das wird nicht einfach, war es aber noch nie.

Hört sich nicht gerade euphorisch an.

Das hängt mit der Konkurrenz zusammen. Beim SSC Schwerin gab es einen Umbruch, das Team ist aber trotzdem wieder sehr stark. Der Dresdner SC hatte schon viel Klasse, dank guter Transfers ist der Kader nun noch breiter. Und der SC Potsdam ist so gut, dass Überraschungen schon längst keine mehr sind. Einen Vorteil allerdings haben wir.

Welchen?

Wir verfügen über so viel Qualität, dass es auf uns selbst ankommt. Machen wir einen guten Job, können wir beide Titel holen.

„Es war hart und nicht fair“

Wie wichtig ist die Champions League?

Es gibt auf Clubebene nichts Wichtigeres. Die Gegner sind großartig, das genieße ich sehr. Für die Spielerinnen ist die Königsklasse eine extreme Motivation. Deshalb kommen sie nach Stuttgart – nicht wegen des Geldes.

Umso schmerzhafter muss es gewesen, als der SSC Schwerin nach dem Abbruch der Saison direkt für die Gruppenphase gemeldet wurde und klar war, dass Ihr Team in die Qualifikation muss.

Es war hart und nicht fair, ja. Allerdings hatte ich nichts anderes erwartet.

Warum?

Weil in der Vergangenheit jede Entscheidung am Verhandlungstisch pro Schwerin ausgefallen ist. Zum Beispiel auch, wer im Supercup spielen darf.

Am Sonntag hat der SSC Schwerin Pokalsieger Dresdner SC 3:0 geschlagen. Allianz MTV Stuttgart musste zuschauen.

In Italien, Russland, der Türkei, den Niederlanden oder Belgien wurde die Saison auch vorzeitig beendet. Dort gab es nun aber, statt eines Supercup-Duells, ein Turnier mit den vier besten Teams zum Zeitpunkt des Abbruchs. Das wäre auch für Deutschland eine perfekte Lösung und für alle Beteiligten eine gute Erfahrung gewesen.

„Wir saßen auf gepackten Koffern“

Zurück zur Champions League. In der entscheidenden zweiten Qualifikations-Runde geht es gegen Dinamo Moskau. Eine machbare Aufgabe?

Groß ist unsere Chance nicht. Das ist eines der besten Teams der Welt. Dinamo stellt die halbe russische Nationalmannschaft, verfügt über eine Diagonal- und eine Außenangreiferin der absoluten Extraklasse. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir auch diesen Gegner in Schwierigkeiten bringen können.

Sie befürchten, dass die Bundesliga nicht zu Ende gespielt werden kann. Ist die Corona-Lage für die internationalen Wettbewerbe nicht noch viel bedrohlicher?

Doch, natürlich. Das hat ja unser extrem kurzfristig abgesetztes Spiel in der ersten Quali-Runde gegen Minchanka Minsk gezeigt. Wir saßen schon auf gepackten Koffern, dann gab es im Minsker Team einen positiven Test – und plötzlich stand alles still.

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Wo ist die Lösung?

Entweder die Champions League wird um ein Jahr verschoben.

Oder?

Aus meiner Sicht hat der europäische Verband nur eine Chance: den Wettbewerb in Turnierform auszutragen. Innerhalb von ein paar Tagen, an einem Ort, in einer Blase. So wie es andere Sportarten vorgemacht haben. Ich würde diese Variante bevorzugen – schließlich kann ja nicht die Lösung sein, unseren Sport zu stoppen. Stattdessen müssen wir lernen, mit der neuen Realität zu leben, sie anzunehmen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Ihr Vertrag bei Allianz MTV Stuttgart läuft noch neun Monate. Was kommt danach?

In Corona-Zeiten ist alles unsicher. Für jeden Berufstätigen, und für einen Trainer erst recht. Als Coach im Sport muss man immer bereit sein für alles.

Auch für einen Wechsel?

Selbstverständlich. Zugleich kann ich mir aber natürlich sehr gut vorstellen, noch länger in Stuttgart zu bleiben – hier sind die Bedingungen für meine Familie und mich ideal.