Warum der deutsche Volleyball-Meister Allianz MTV Stuttgart wochenlang auf seine am Rücken verletzte Zuspielerin Pia Kästner verzichten muss.

Stuttgart - Die Bilder aus dem Mai sind unvergessen: Ausgelassen feierte Pia Kästner, mit einer blauen Perücke auf dem Kopf, die Meisterschaft von Allianz MTV Stuttgart. Jetzt, ein halbes Jahr später, ist das Strahlen verschwunden. Die 21-Jährige hat im EM-Sommer 2019 zwar ihren Platz im Nationalteam gefestigt, der Preis, den sie selbst und ihr Verein dafür zahlen müssen, ist allerdings hoch. Sehr hoch. Zu hoch? „Tatsache ist“, sagt Kim Renkema, die Sportdirektorin des Volleyball-Bundesligisten, „dass wir sie kaputt zurückbekommen haben.“

 

Seit zwei Wochen ist Pia Kästner wieder in Stuttgart. Vor ein paar Tagen musste sie das Training abbrechen, ihr Körper machte nicht mehr mit. Nach den MRT-Aufnahmen folgte die Diagnose: Die Zuspielerin leidet unter Osteochondrose, einer Verschleißerkrankung der Wirbelsäule. Zumindest in den nächsten vier Wochen muss sie die Belastung herunterschrauben, Sprünge sind tabu. Stattdessen geht es vor allem darum, die Rückenmuskulatur zu stärken. „Die Situation ist übel, denn eigentlich wollte ich zu Saisonbeginn richtig durchstarten“, sagt Pia Kästner, „natürlich mache ich mir Sorgen um die Zukunft, doch Panik hilft jetzt auch nicht weiter. In zwei, drei Wochen kann ich besser einschätzen, wie die Lage ist.“

Über ihre gesundheitlichen Probleme während der Sommer-Monate bei der Nationalmannschaft will Pia Kästner nicht sprechen. Kim Renkema dagegen schon.

Die Kritik: kein MRT, keine Kommunikation

Die Sportchefin des Meisters ist sauer. Nicht auf Pia Kästner, die mit Schmerzen trainiert und gespielt hat, weil sie unbedingt zur EM wollte. Sondern auf die Verantwortlichen der deutschen Auswahl. Auf Teammanagerin Lisa Thomsen und den medizinischen Stab. „Wir alle haben die Aufgabe, die Spielerinnen zu schützen“, sagt Kim Renkema, „dieser Verantwortung ist man bei der Nationalmannschaft nicht gerecht geworden. Darüber bin ich sehr enttäuscht.“

Konkret geht es ihr um zwei Punkte. Zum einen habe Pia Kästner über Monate hinweg starke Schmerzen gehabt, die zwar von den Physiotherapeuten des Nationalteams behandelt worden seien, aus Sicht der MTV-Sportchefin aber stets nur mit dem Ziel, sie fürs nächste Training oder Spiel einigermaßen fit zu bekommen. „Ein MRT wurde nicht gemacht, was ich absolut nicht nachvollziehen kann“, sagt Renkema, „der Befund hätte klar ergeben, dass sie nicht mehr trainieren und spielen kann.“ Zum anderen stört den Bundesligisten, dass er über die Probleme seiner Zuspielerin nicht informiert worden ist. „Es gab keinerlei Kommunikation mit uns, die absolut Pflicht gewesen wäre. Schließlich sind wir der Verein, der die Spielerin abstellt und bezahlt“, erklärt Renkema, „bei uns war keinem bewusst, dass Pia Kästner monatelang unter großen Schmerzen gelitten hat. Das geht so einfach nicht.“

Kästner ist nun auch Vize-Kapitänin

Über ihren Frust hat Kim Renkema mittlerweile auch mit Lisa Thomsen gesprochen, die sie ganz gut kennt – beide standen in der Saison 2015/16 mit Allianz MTV Stuttgart im Pokalfinale und wurden Vizemeister. Seit diesem Sommer ist Ex-Libera Thomsen Managerin des Nationalteams, offiziell wollte sie am Dienstag nichts zu den Vorwürfen aus Stuttgart sagen: „Wir werden unsere Sicht der Dinge äußern, aber dazu benötigen wir noch etwas Zeit. Bisher haben wir noch ein riesengroßes Informationsdefizit, kennen nicht einmal die genaue Diagnose. Diese müssen wir dann erst intern mit unseren Ärzten und Physiotherapeuten besprechen.“

Dies ist beim MTV bereits geschehen. Nun hoffen die Beteiligten, dass Pia Kästner ihre Probleme möglichst schnell in den Griff bekommt. „Das alles ist kein Spaß“, meint Kim Renkema, „sie muss nun intensiv arbeiten, um wieder gesund zu werden.“ Wie wichtig Pia Kästner für den Bundesligisten ist, zeigt sich nicht nur daran, dass Giannis Athanasopoulos sie trotz ihrer erst 21 Jahre zur Stellvertreterin der neuen Kapitänin Krystal Rivers ernannt hat. „Sie besitzt das perfekte Gefühl für Volleyball, wir verstehen uns auch ohne Worte“, sagt der Meister-Trainer, „wenn wir auf ihre Qualitäten verzichten müssen, haben wir ein riesiges Problem.“

Und das nicht nur, weil Pia Kästner so fotogen und ausgelassen feiern kann.