Bundesliga-Spitzenreiter, Pokalfinalist, Champions-League-Teilnehmer: Die Belastung für Stuttgarts Volleyballerinnen ist diese Saison extrem hoch. Zu bestehen sind die Herausforderungen nur mit einem breiten Kader. Vor allem im Außenangriff.

Stuttgart - Außenangreiferinnen spielen im Volleyball eine besondere Rolle. Denn sie dürfen auf dem Feld nicht nur alles machen, sie müssen es auch. Annehmen, punkten, blocken, abwehren – diese Position bietet eine große Vielfalt. Einerseits. „Andererseits“, sagt Kim Renkema (31), „sind auch echte Allround-Qualitäten nötig.“ Die Sportchefin des Bundesliga-Tabellenführers Allianz MTV Stuttgart weiß, wovon sie spricht: Sie spielte in ihrer erfolgreichen Karriere selbst auf dieser Position. Und sie hat für die laufende Saison, in der erstmals das Double her soll, ein hochkarätiges Quartett für den Außenangriff verpflichtet, das sich nicht nur gegenseitig Konkurrenz macht, sondern sich auch bestens ergänzt.

 

Die Vielseitige: Jana Franziska Poll

Die wichtigen Spielerinnen im Team sind häufig diejenigen, deren Bedeutung allen erst bewusst wird, wenn sie mal nicht dabei sind. Jana Franziska Poll ist so ein Typ. Die deutsche Nationalspielerin, die vom griechischen Meister Olympiakos Piräus in den Neckarpark wechselte, glänzt zwar immer mal wieder mit spektakulären Angriffsschlägen, vor allem aber überzeugt sie durch ihre Ruhe und Cleverness. „Sie gibt unserem Spiel viel Stabilität und ist durch ihr vielseitiges spielerisches Repertoire unglaublich wichtig für uns“, sagt Renkema. Ihr großes Potenzial zeigt die gebürtige Meppenerin nicht nur durch ihre zuverlässige Annahme, sondern vor allem bei ihren Aufschlägen: In beiden Bereich liegt sie unter den Top Ten der Liga. Poll ist längst ein kaum zu ersetzender Eckpfeiler im Stuttgarter Team, sie hatte bisher die größten Spielanteile aller vier Außenangreiferinnen.

Die Erfahrene: Renata Sandor

Längere Einsatzzeiten hat Renata Sandor in dieser Saison trotz des vollen Terminplans eher selten. Die Ungarin musste in der Hinrunde aufgrund von Rückenbeschwerden und einer Fingerverletzung rund einen Monat zuschauen, sie arbeitete sich erst zuletzt wieder an das Team heran. „Sie hat unglaublich viele Angriffskombinationen drauf und kann mit ihrer Erfahrung noch ein wichtiger Faktor werden“, meint Renkema zu den Stärken der 28-Jährigen. Und obwohl die dienstälteste Stuttgarterin ihre überdurchschnittlichen Fähigkeiten seit ihrem Kreuzbandriss im November 2015 nicht mehr dauerhaft abrufen kann, spielt Sandor im Personalpuzzle von Trainer Giannis Athanasopoulos eine wichtige Rolle: „Jeder in Stuttgart weiß, was Renata kann – und das wird sie in den entscheidenden Spielen auch zeigen.“

Die Willensstarke: Julia Schaefer

Bei Julia Schaefer genügt ein Blick ins Gesicht, und schon ist klar, wie gerade das Ergebnis lautet und wie sie ihre eigene Leistung sieht. Die blockstarke Außenangreiferin steht ständig unter Strom. „Sie hat eine große Motivationsfähigkeit, kann mit ihrem Willen den Ausschlag geben“, sagt Renkema. Und Athanasopoulos erklärt: „Sie bringt alle Fähigkeiten mit, hat eine unglaubliche Energie.“ Diese energische Spielweise bedeutet aber auch eine stetige Gratwanderung: Lust und Frust liegen eng beieinander. Beim Duell in Potsdam gab Schaefer ihrem Team in der entscheidenden Phase den siegbringenden Schub, mitunter wirkte sie aber bei ihren Aufgaben in der Abwehr verkrampft und fahrig. Die positive Entwicklung in den vergangenen Monaten zeigt allerdings klar, dass die 22-Jährige auf einem guten Weg ist, die nötige Balance und Konstanz in ihrem Spiel zu finden – und so das Prädikat Talent vollends abzulegen.

Die Hochtalentierte: Sarah Wilhite

Wie ein Sturmlauf verlief die zweite Jahreshälfte für Sarah Wilhite. Mit dem US-Team verpasste die 23-Jährige das Halbfinale bei der WM in Japan zwar knapp, heimste aber den Titel der Spielerin ein, die sich 2018 am meisten verbessert hat. Auch in Stuttgart benötigte die 1,88 Meter große Wilhite keine lange Eingewöhnungszeit: Bereits im ersten Gruppenspiel der Champions League bei Vakifbank Istanbul glänzte sie mit knallharten Schmetterschlägen und starker Blockarbeit. „Sie setzt ihre Größe im Block und Angriff sehr gut ein, aber sie kann noch viel mehr“, sagt Athanasopoulos über seine zweitbeste Punktesammlerin (nach Diagonalangreiferin Krystal Rivers). Nachholbedarf hat die US-Nationalspielerin, die aus Italien von Busto Arsizio nach Stuttgart kam, noch in der Annahme. Nicht selten wird Wilhite von den aufschlagenden Gegnerinnen als Schwachstelle ausgemacht. „Da muss sie sich noch verbessern“, sagt Renkema.

Großer Konkurrenzkampf, keine Rivalität

Keine Frage: Im Außenangriff verfügt Allianz MTV Stuttgart über ein Quartett mit großer Qualität. Dass der Kampf um möglichst viel Spielzeit hart ist, war das Ziel der MTV-Verantwortlichen. „Wir sind auf jeder Position doppelt besetzt. Dadurch haben wir in jeder Trainingseinheit viel Intensität“, sagt Coach Athanasopoulos, der damit zufrieden ist, die Qual der Wahl zu haben: „Wir haben in den drei Wettbewerben viele Spiele, ich brauche alle vier.“ Und letztlich entscheidet das Leistungsprinzip.

Bei den Außenangreiferinnen sorgt der transparente Konkurrenzkampf für wenig Frust – im Gegenteil. „Wir fordern uns gegenseitig im Training, unterstützen uns aber auch untereinander“, sagt Julia Schaefer, „und die Spielzeit ist besser verteilt als im Vorjahr.“ Die Ausgeglichenheit auf der Position sieht Jana Franziska Poll als großes Plus: „Wir können auf diverse Spielsituationen reagieren, haben immer Qualität auf dem Feld. Und am Ende gewinnen wir sowieso als Team.“ Aktuell gibt es sogar Siege in Serie, und diese soll auch an diesem Mittwoch (19 Uhr/Scharrena) im Champions-League-Spiel gegen Maritza Plowdiw halten. An fehlender Qualität im Außenangriff wird das Vorhaben eher nicht scheitern.