Felix Koslowski reist mit sieben Debütantinnen zur EM nach Aserbaidschan und Georgien – weshalb schon das Erreichen des Viertelfinals ein Erfolg wäre. Im Interview kritisiert der Bundestrainer die enormen Belastungen im Volleyball: „Das ist respektlos.“

Stuttgart - Die deutschen Volleyballerinnen starten an diesem Freitag (18.30 Uhr) gegen Polen in die EM in Aserbaidschan und Georgien. Vor dem Turnier spricht Bundestrainer Felix Koslowski über die Ziele, seine Doppelrolle und die neue Stärke des Pokalsiegers Allianz MTV Stuttgart.

 
Herr Koslowski, die deutschen Männer haben eine sensationelle EM gespielt und Silber geholt. Ist das ein Ansporn für Ihr Team?
Sicher. Die Männer sind toll aufgetreten, das motiviert auch uns. Wir haben richtig Lust auf die EM. Allerdings müssen wir auch realistisch sein.
Inwiefern?
Wir haben ein sehr junges Team, das seine Nerven in den Griff bekommen muss. Unser Ziel ist, das Viertelfinale zu erreichen – das wird schon schwierig genug.
An diesem Freitag (18.30 Uhr) geht es in Baku gegen Polen, Sie haben sieben EM-Debütantinnen im Kader. War dieser Umbruch nötig?
Es ist Zeit für eine neue Generation. Irgendwann muss man anfangen, junge Spielerinnen ans internationale Top-Niveau heranzuführen. Das Team, das 2011 und 2013 EM-Silber geholt hat, wurde auch fünf, sechs Jahre vorher ins kalte Wasser geworfen.
Deshalb . . .
. . . wäre es schon ein Erfolg, ins Viertelfinale zu kommen.
Wie lief die Vorbereitung?
Anfangs hatten wir nicht die ganz großen Kaliber als Gegner, weshalb es wichtig gewesen ist, am Ende gegen die EM-Mitfavoriten Türkei und Niederlande zu spielen. Das hat uns als Mannschaft spielerisch nach vorne gebracht. Es war aber auch lehrreich.
Warum?
Weil wir gesehen haben, was uns fehlt, um dorthin zu kommen, wo wir hinwollen.
Welches Potenzial hat Ihr Team?
Ein Großteil der Gruppe kann noch drei, vier, fünf EM-Turniere und bis zu den Olympischen Spielen 2024 zusammen spielen. Das sind gute Aussichten.
Wie wichtig ist die Ex-Stuttgarterin Maren Brinker, die seit ihrer Hochzeit Fromm heißt, für Ihr Team?
Unglaublich wichtig. Sie hat 290 Länderspiele gemacht, ist unser Leitwolf. Deshalb bin ich sehr froh, dass sie bei dieser EM und eventuell der WM 2018 noch mal vorangeht. Sie hat bei der EM 2007 als 21-Jährige erlebt, was nun auf unsere jungen Spielerinnen zukommt. Sie kann ihnen die Nervosität nehmen. Maren Brinker hat die Erfahrung und Qualität, ihre Mitspielerinnen gut aussehen zu lassen und besser zu machen.
Nur eine Woche nach dem Ende der EM beginnt mit dem Supercup zwischen Meister SSC Palmberg Schwerin, den Sie ebenfalls trainieren, und Pokalsieger Allianz MTV Stuttgart die Saison in Deutschland. Ein Wahnsinn?
Ich finde diese Planung respektlos gegenüber den Spielerinnen.
Weil sie keine Pausen haben.
Richtig. Eine Woche nach der Bundesliga-Saison ging es zur Nationalmannschaft, außer zwei Wochen im Sommer gab es keine Erholungsphase. Die Belastung ist derart extrem, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es zu schweren Verletzungen kommt.
Was lässt sich daran ändern?
Nichts. Wir sind da völlig machtlos. Es wird schon viele Jahre über den internationalen Terminkalender diskutiert, doch die einzige Veränderung ist, dass es immer noch mehr Spiele werden. Und bleibt nichts anderes übrig, als unsere Energie dafür zu verwenden, das Beste aus der Situation zu machen.
Wie viele Einheiten haben Sie in der Vorbereitung in Schwerin geleitet?
Eine oder zwei. Wenigstens habe ich einen Teil unserer Neuzugänge kennenlernen können, weil wir mit dem Nationalteam einige Lehrgänge in Schwerin hatten. Doch klar ist: Die erste Hälfte der Bundesliga-Saison werden wir benötigen, um uns einzuspielen.
Schwerin hat sechs Spielerinnen bei der EM, darunter vier Deutsche, Stuttgart stellt ein Quartett. Was bedeutet das für den Supercup?
Allein schon die Terminierung nur eine Woche nach dem EM-Finale in Baku zeigt seine Wertigkeit. Klar ist: Je besser die EM für die beteiligten Spielerinnen läuft, desto schlechter ist es für ihre Vereine.
Sie trainieren das Nationalteam und den Meister. Wie sehr belastet Sie diese Doppelrolle?
Ich habe mich an den Stress gewöhnt. Und wenn ich doch mal frei habe, versuche ich, nicht an Volleyball zu denken. Das fällt mir nicht leicht – auch wenn mir meine drei Kinder mit ihren Problemen dabei helfen (lacht).
Wie klappt es in Schwerin, wenn der Cheftrainer nicht da ist?
Ich habe dort ein gutes Betreuerteam, das weiß, wie ich ticke und was ich will.
Weil auffallend viele Nationalspielerinnen in Schwerin aufschlagen, gibt es immer wieder Kritik an Ihrer Doppelrolle, auch aus Stuttgart.
Darüber kann ich nur müde lächeln, weil dies sehr engstirnig gedacht ist. Aus meiner Sicht sind wir in Schwerin auf dem Transfermarkt genau so unterwegs wie alle anderen Vereine auch. Und schon lange, bevor ich nach Schwerin kam, gab es dort das Konzept, auf deutsche Spielerinnen zu setzen. Aus den Kritikern spricht da ein bisschen der Neid. Ich kann nur sagen, dass ich mich gegenüber allen Vereinen absolut loyal verhalte. Und dass meine Doppelrolle für Schwerin eher Nachteile hat, weil ich wegen des Nationalteams oft nicht da sein kann.
Warum stellt der Deutsche Volleyball-Verband nicht einfach einen Bundestrainer ein, der sich nur ums Nationalteam kümmert?
Weil er sich das nicht leisten kann. Ich habe einen Honorarvertrag für ein halbes Jahr, das ist natürlich wesentlich günstiger.
Die Stuttgarter Neuzugänge Femke Stoltenborg und Nika Daalderop aus den Niederlanden sowie die Serbin Teodora Pusic treffen in der Gruppe D auf ihre tschechische Teamkollegin Michaela Mlejnkova. Beobachten Sie, wie sich die Stuttgarterinnen bei der EM schlagen?
Nein, ich schaue nur auf uns. Zudem spielen die Nationalteams der vier taktisch auch anders als die Mannschaft in Stuttgart – von der ich übrigens sehr viel erwarte.
Warum?
Weil der Verein sehr gut eingekauft hat. Außenangreiferin Nika Daalderop ist ein großes Talent, Libera Teodora Pusic spielt schon den ganzen Sommer auf Top-Niveau. Stuttgart hat einen extrem guten Kader, der noch viel stärker ist als vergangene Saison.
Und was ist in Schwerin passiert?
Wir wollen unseren DM-Titel verteidigen, haben allerdings gemerkt, dass eine Meisterschaft nicht automatisch dazu führt, dass man mehr Geld zur Verfügung hat.
Sie haben in Maren Fromm und Lenka Dürr, die künftig in der Türkei und Rumänien spielen, zwei erfahrene Kräfte verloren.
Stimmt. Kein deutscher Verein kann Gehälter wie in der Türkei bezahlen. Unser Etat in Schwerin ist kleiner geworden, aber wir haben trotzdem ein, zwei Spielerinnen gefunden, die uns sehr gut verstärken.
Die EM-Spiele Ihres Teams werden von Sport 1 live im TV übertragen – anders als bei der Männer-EM. Sehen Sie das als Wertschätzung?
Wollen Sie eine ehrliche Antwort?
Immer.
Es ist super für den Volleyballsport und die deutschen Fans, aber wir versuchen, dieses Thema auszublenden. Ich habe viele Spielerinnen, die wenig Erfahrung im Umgang mit Medien haben. Das ist ein neuer Faktor, mit dem wir uns möglichst wenig beschäftigen wollen.